Lost Girls & Love Hotels

15 Jahre hat es gedauert. Aber nun ist die Verfilmung von Catherine Hanrahans sinnlichem Spannungsroman LOST GIRLS & LOVE HOTELS da. Ob sich der Film auf der Prominenz seiner Vorlage und Hauptdarstellerin Alexandra Daddario ausruht, verraten wir in unserer Kritik.

OT: Lost Girls and Love Hotels (JPN/USA 2020)

Der Plot

Margaret (Alexandra Daddario) ist alleinstehend und auf der Flucht vor ihrem alten Leben. Tagsüber arbeitet sie in Tokio als Englischlehrerin in einer Ausbildungsstätte für angehende Flugbegleiterinnen, nachts irrt sie durch das glitzernde Labyrinth, das das Nachtleben der japanischen Metropole darstellt. Ihre Landsleute Ines (Carice van Houten) und Liam (Andrew Rothney) stellen für Margaret einen gelegentlichen Orientierungspunkt dar, wenn sie gemeinsam Kneipen unsicher machen und sich gegenseitig auf den neusten Stand der Dinge bringen. Doch vor allem sind es Flüchtigkeiten, die Margaret erfüllen: Das flüchtige Gefühl eines Alkoholrausches. Der kurzlebige Nervenkitzel, einen schüchternen Fremden im Vorbeigehen heftig anzuflirten. Und die vergängliche, harte Befriedigung eines One-Night-Stands in einem Liebeshotel. Bloß, dass zu Margarets Bedauern die Männer, die sie aufreißt, allesamt zurückhaltend sind, und mit ihrer Sehnsucht, dominiert zu werden, nicht umzugehen wissen. Dann lernt sie den schneidigen, ominösen Kazu (Takehiro Hira) kennen. Bei ihm stellt sich nur die Frage: Ist es bei ihm sexuelles Rollenspiel oder ist er gar wirklich gefährlich?

Kritik

2006, also fünf Jahre, bevor E. L. James’ „Fifty Shades of Grey“ einen neuen Boom an Erotikliteratur auslöste, eroberte Catherine Hanrahans „Lost Girls & Love Hotels“ die Buchläden. Überragende Verkaufserfolge waren dem Roman zwar nicht vergönnt, dafür aber deutlich wohligere Pressekritiken als sie später James‘ BDSM-Trilogie oder Anna Todds „After“-Reihe generieren sollten. 2009 sicherte sich „Blue Crush“-Star Kate Bosworth die Filmrechte an „Lost Girls & Love Hotels“ und plante, die Adaption des Buches als Grundlage für ihr Debüt als Produzentin zu nutzen und obendrein die Hauptrolle zu übernehmen. Mit Jean-Marc Vallée („Dallas Buyers Club“) überzeugte sie zudem einen vielversprechenden Regisseur von der Idee. Die Bosworth/Vallée-Zusammenarbeit sollte allerdings nicht zustande kommen. Die Filmrechte an „Lost Girls & Love Hotels“ kamen 2017 daher erneut unter den Hammer. Dieses Mal schlugen Produzent Lawrence Inglee und Produzentin Lauren Mann zu und gaben William Olsson das Anrecht auf den Regieposten. Mit ihm waren sie zuvor an „Swiss Army Man“ beteiligt. Das Trio fand mit Alexandra Daddario („Songbird“) zudem eine Hauptdarstellerin, die sich gerade im Karriereaufwind befand, und noch vor Jahresende war der Film im Kasten. Und dann ..? Dann war es lange still um „Lost Girls & Love Hotels“.

Die Hauptrolle in „Lost Girls & Love Hotels“ verkörpert Alexandra Daddario.

Zwischen Drehschluss und Veröffentlichung des Films brodelte es in Gerüchteküche: Verbucht ist, dass einige Szenen auf dem Boden des Schneideraums landeten – aber das ist Alltag im Filmgeschäft. Bei „Lost Girls & Love Hotels“ kursieren allerdings Gerüchte, dass der Film, nachdem ein Verleih feststand, massiv gestutzt wurde. Angeblich fehlen 45 Minuten an Szenen, die moralisch komplexer sind sowie ein drastischeres Bild der Einsamkeit und des Hedonismus der Protagonistin Margaret zeichnen. Und vor allem seien zahlreiche, deutlichere Nackt- und Sexszenen gekürzt worden. Das Problem: Es lassen sich keinerlei Belege für diese von Usern der IMDb in die Welt gesetzte Behauptung finden. Und so bekommt es einen bitteren Beigeschmack, wann immer der Film allein mit der Begründung „Ich will den Extended Cut mit mehr blanker Haut sehen!“ in Userkritiken abgestraft wird. Es ist letzten Endes ungerecht gegenüber Hanrahan, die ihren eigenen Roman ins Drehbuchformat adaptierte, Olsson und vor allem Daddario, diesen Film danach zu bewerten, ob auf irgendeinem Studioserver eine Fassung mit drastischeren Sexszenen gespeichert ist oder nicht. Denn „Lost Girls & Love Hotels“ mag nicht der ganz große Wurf sein. Aber es ist ein Film, der sehr gekonnt eine sehr spezifische Atmosphäre erzeugt und sie durchzieht.

„‚Lost Girls & Love Hotels‘ mag nicht der ganz große Wurf sein. Aber es ist ein Film, der sehr gekonnt eine sehr spezifische Atmosphäre erzeugt und sie durchzieht.“

Als wäre es eine Art sexuell begieriges, in einer heruntergekommenen Kneipe abseits der Touristen-Hotspots abgestürztes „Lost in Translation“ (mit dem sich dieser Film Cutterin Sarah Flack teilt, was man ihm auch zweifelsohne anmerkt), lebt „Lost Girls & Love Hotels“ vom Gefühl der Ziellosigkeit: Margaret ist zwar sexuell umtriebig, sonst jedoch völlig antriebslos. Olsson und Hanrahan fangen die von Alkohol, Schlafmangel und sexuellem Frust (vor ihrem Treffen mit Kazu) respektive frisch verliebter, sexueller Dauergier (nach ihrem Treffen mit Kazu) vernebelte Wahrnehmung ihrer Protagonistin ein, indem sie das Publikum auf dezente Weise desorientieren: Das Sounddesign ist sehr klinisch, von langer, erdrückender Stille erfüllt. Dialogszenen sind lückenhaft. Es gibt nur sehr sporadische Hinweise über die vergangene Zeitspanne zwischen einzelnen Sequenzen. Und die Charakterzeichnung Margarets ist bestenfalls brüchig: Wir erhalten kaum Anhaltspunkte, weshalb sie derart unmotiviert ist, im Job so verantwortungslos handelt, oder was sie (abgesehen von einem dominanten Sexualpartner) überhaupt sucht. All dies fängt Kameramann Kenji Katori („I Hate Love“) in stimmungsvollen Bildern ein, die von großen Leerbereichen dominiert sind – wie blendend weiße, karge Wände, tiefschwarze Schatten oder die kühlen „Stimmungslichter“ der Stundenhotels, die den Leuten schmeicheln, die in ihnen Zimmer gebucht haben, nicht im Geringsten schmeicheln.

Die Stimmung erinnert unweigerlich an Sofia Coppolas „Lost in Translation“.

Katori und Olsson vermeiden zudem gezielt Sehenswürdigkeiten Tokios und Umgebung, die aus Touristik und westlichen Filmen bekannt sind, um stattdessen durch die verlassenen, unscheinbaren oder unseriös wirkenden Ecken zu streunen. Das ergibt zusammengenommen ein Stimmungsstück, das kein Interesse daran hat, Margarets Charakter zu erörtern, geschweige denn sie zur sympathischen, allgemeinverständlichen Identifikationsfigur hochzustilisieren. Wir sollen ähnlich ratlos vor Margaret stehen, wie Margaret vor dem unvollendeten Puzzlebild ihres Lebens steht. Sie fühlen, nicht verstehen. Dieses filmische Konzept geht nicht zuletzt dank Alexandra Daddario auf, die in „Lost Girls & Love Hotels“ die beste schauspielerische Leistung ihrer bisherigen Karriere abliefert. Frei von den beengenden Fesseln ihrer üblichen Rollen, gelingt ihr hier eine beiläufig-komplexe Darbietung. Sie lässt einerseits tief in Margaret blicken, nutzt etwa ihre ausdrucksstarken Augen, um ungewollte Einsamkeit, provozierte emotionale Isolation, Überwältigung oder auch Apathie auszudrücken. Gleichwohl bewahrt Daddario Margarets Status als Enigma – ihr Gestus bleibt, ganz gleich der emotionalen Lage, zumeist unverändert und daher undurchschaubar. Umso größer ist dann die Wirkung in diesem konstant kühlen, von (manchmal nur vorgetäuschter) Contenance bestimmten Film, wenn Margaret Regung zeigt. Sei es ein nervös bebendes Atmen, ein zitternder Kiefer oder ähnliche verräterische Bewegungen, wenn man fälschlicherweise meint, keine Reaktion zu zeigen – unbewusste Mikrohandlungen bedeuten in Margarets Tokio-Sinnsuche die Welt.

„Frei von den beengenden Fesseln ihrer üblichen Rollen, gelingt Alexandra Daddario in ‚Lost Girls & Love Hotels‘ eine beiläufig-komplexe Darbietung.“

Schade ist bloß, dass der Film gelegentlich die erzählerische Perspektive von Margaret auf Kazu verschiebt. Takehiro Hira spielt ihn zwar mit magnetisch-einschüchternder Ausstrahlung, jedoch wird er zu konkret skizziert, um so rätselhaft zu wirken, wie ihn Margaret wahrnimmt. Zugleich bleibt Kazu zu nah an Yakuza-Stereotypen, als dass das Wissen über ihn faszinierend wäre. Ganz davon abgesehen, dass der ganze Film stilistisch danach schreit, allein Margarets Perspektive abzubilden. Selbst wenn Margaret sich abseits der Love Hotels gern treiben lässt: Skript und Regie hätten sie packen und zurück in den ihr gebührenden Fokus zerren sollen.

Fazit: Erzählerisch nicht so konsequent, wie er sein sollte, atmosphärisch aber umso stringenter, ist „Lost Girls & Love Hotels“ eine stimmungsvolle Anti-Charakterstudie mit einer glänzenden Alexandra Daddario als orientierungslose Frau, die unbefriedigt, erregt und vor Erkenntnissen scheuend durch Tokio irrt.

„Lost Girls and Love Hotels“ ist ab sofort bei Amazon Prime streambar.

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