Cruella

Der Teufel trägt Dalmatiner-Pelz: „I, Tonya“-Regisseur Craig Gillespie erzählt in CRUELLA, wie die gleichnamige „101 Dalmatiner“-Schurkin zu dem wurde, was sie ist. Das Ergebnis ist ein extravaganter Mix aus „Der Teufel trägt Prada“, „Joker“ und natürlich seiner Zeichentrickvorlage. Mehr dazu verraten wir in unserer Kritik.
Der Plot
London in den 1970er Jahren: Inmitten der Punkrock-Revolution versucht sich die clevere Trickbetrügerin Estella (Emma Stone) mit ihren kreativen Looks einen Namen zu machen. Gemeinsam mit den zwei jungen Dieben Jasper (Joel Fry) und Horace (Paul Walter Hauser) als „Partner in Crime“ streift sie durch Londons Straßen, bis sie eines Tages durch ihre auffälligen Designs das Interesse der Baroness von Hellman (Emma Thompson) auf sich lenkt. Eine Modelegende – umwerfend schick und an Eleganz kaum zu übertreffen. Doch die Begegnung der beiden ungleichen Frauen setzt eine Reihe von Ereignissen und Enthüllungen in Gang, die dazu führen, dass Estella ihre dunkle Seite nach Außen kehrt und sie zur gefürchteten und rachsüchtigen Cruella de Vil werden lässt, der im Konkurrenzkampf um das perfekte Design alle Mittel recht sind.
Kritik
Der Disney-Konzern hat mit dem Konzept, seine bekanntesten Zeichentrickklassiker als Realfilm neu aufzulegen, eine echte Goldgrube aufgetan. Zwar erweist sich nicht jedes Remake der Mäusefirma als derart erfolgreich wie etwa die lebensecht animierte Neuinterpretation von „Der König der Löwen“, doch entgegen vieler Skeptiker:innen, die Disney vorwerfen, „immer nur das Gleiche“ zu machen, geht das Produktionshaus immerhin angenehm variantenreich vor. Während sich etwa ein „Cinderella“ oder auch ein „Aladdin“ weitestgehend eng an ihrer animierten Vorlage orientieren, genehmigte man für „The Jungle Book“ oder auch Tim Burtons „Dumbo“ in Gänze neue Erzählansätze. Und im qualitativ leider eher missratenen „Maleficent – Die dunkle Fee“ (und seiner noch schwächeren Fortsetzung) legte man sogar den Schwerpunkt völlig neu, indem man darin nicht den Lebensweg der im Disney-Märchen „Dornröschen“ im Mittelpunkt stehenden Prinzessin nacherzählte, sondern jenen der bösen Fee und Dornröschens Widersacherin Malefiz. „I, Tonya“-Regisseur Craig Gillespie und das Drehbuchautorenduo aus Dana Fox („How to be Single“) und Tony McNamara („The Favourite – Intrigen und Irrsinn“) gehen für „Cruella“ ähnlich vor. Sie erzählen die Vorgeschichte der „101 Dalmatiner“-Schurkin Cruella De Vil, sehr frei basierend auf den Ereignissen des Trickfilms von 1961. Eine von Original derart losgelöste Neuinterpretation birgt für die Macher:innen viele Freiräume und Möglichkeiten der freien Entfaltung, da sie sich jedoch nie vollends von der Vorlage lösen, können manche Entscheidungen auch für Irritationen sorgen. Im Großen und Ganzen funktioniert „Cruella“ aber vor allem dank eines herausragenden Hauptdarstellerinnen-Duos, das sich im London der Siebzigerjahre einen bizarr-extravaganten Modekrieg liefert.
Zwei Inspirationsquellen für „Cruella“ liegen im Anbetracht der Inszenierung auf der Hand: David Frankels Oscar-nominierte Tragikomödie „Der Teufel trägt Prada“, die einen fiktionalisierten Blick hinter die Kulissen eines der einflussreichsten Modemagazine der Welt wirft (bei der im Film betitelten „Runway“ handelt es sich in Wirklichkeit um die „Vogue“ und Meryl Streeps Miranda Priestley ist ein Abbild der „Vogue“-Chefin Anna Wintour), und das 2019 erschienene Superschurken-Portrait „Joker“, rund um den gleichnamigen Batman-Widersacher. Beide zum Vergleich herangezogenen Filme respektive ihre Einflüsse lassen sich in „Cruella“ ausmachen. Im Falle des „Joker“ sind sie allerdings eher negativer Natur. Wie schon Todd Phillips‘ hochgelobtes Crime-Drama bisweilen ein wenig zu gewollt die Verbindungen ins Batman-Universum suchte, obwohl der Film auch ohne eine direkte Bezugnahme darauf und das Auftauchen der Wayne-Familie funktioniert hätte, entschieden sich Todd Phillips und sein Co-Autor Scott Silver („The Finest Hours“) dafür, dennoch derartig offensichtliche Querverweise in ihrem Film unterzubringen, allerdings ohne dabei auf eine konkrete Leinwandadaption zu verweisen. Ähnlich verfahren nun auch die Autor:innen von „Cruella“, die in ihrer Geschichte ebenfalls bereits bekannte Figuren auftreten lassen, ohne damit direkt an den Zeichentrickfilm anzuknüpfen. Das größte Indiz dafür: Aus der im Original als weiße Blondine gezeichneten Anita Darling wird im „Cruella“-Originalfilm eine afroamerikanische Journalistin, gespielt von Kirby Howell-Baptiste („Happily“), während ihr ohnehin nur kurz zu sehender Freund Roger, gespielt von „5 Zimmer, Küche, Sarg“-Star Kayvan Novak, ebenfalls seine blonden Haare und sein hageres Erscheinungsbild einbüßen musste. Kurzum: „Cruella“ ist nur bedingt vorlagengetreu, sodass die Frage aufkommt: Will/Soll der Film überhaupt als direktes Prequel zum Zeichentrickfilm verstanden werden, oder eine für sich stehende Origin-Story der Disneyschurkin erzählen?
„‚Cruella‘ ist nur bedingt vorlagengetreu, sodass die Frage aufkommt: Will/Soll der Film überhaupt als direktes Prequel zum Zeichentrickfilm verstanden werden, oder eine für sich stehende Origin-Story der Disneyschurkin erzählen?“
Wir sagen klar: Letzteres, denn nicht nur das Äußere dieser zwei Nebenfiguren unterscheidet sich zu eklatant von der Vorlage, als dass man hier direkt an den „101 Dalmatiner“-Zeichentrickfilm anknüpfen könnte. Es gibt noch viele weitere Hinweise darauf, dass sich Craig Gillespie und sein Team für „Cruella“ ausschließlich am Repertoire der Dalmatiner-Filme bedienten, aber nie direkt ihre Fortführung beabsichtigten. Wie etwa die Charakterisierung von Cruellas Schurkenfreunden Jasper und Horrace, die – ihrem Comic-Relief-Charakter zum Trotz – im Original verdammt finstere Zeitgenossen sind, in „Cruella“ dagegen fast schon das gute Gewissen ihrer Bossin verkörpern, der sie mehrmals den Weg von der schiefen Bahn herunterzuweisen versuchen. Weitere Details wie Cruellas Leidenschaft für Dalmatiner-Pelze oder ihre Freundschaft zu Anita werden in der Neuverfilmung zwar angedeutet, allerdings nie so sehr bedient, wie man es von einem geradlinig auf die Ereignisse in „101 Dalmatiner“ hinarbeitenden Prequel erwarten würde. Was manch ein/e Zuschauer:in schwammig finden könnten, ermöglicht den Kreateuren enorme Freiheiten. „Cruella“ ist die meiste Zeit über weniger ein Film über eine ihren großen Coup, zig Dalmatinerwelpen zu stehlen, vorbereitende Bösewichtin, sondern handelt von einer leidenschaftlichen Modeschöpferin, deren Kleinkrieg mit der einflussreichen Designerin Baroness von Hellmann den Tonfall des Films maßgeblich prägt. Emma Thompson („Late Night“) mimt die enorm von sich selbst überzeugte und gleichermaßen extravagante Baroness als konsequent weitergedachte Fieslingsversion von Meryl Streeps Miranda Priestley, die von Mode und Modedesign jede Menge Ahnung hat, für das Erreichen ihrer Ziele jedoch im wahrsten Sinne des Wortes über Leichen geht. So etwas wie einen (wenn auch winzig kleinen) „weichen Kern“, wie Miranda Priestley ihn hatte, sucht man in der Baroness vergebens. Etwas, was die betont affektiert aufspielende Thompson sichtlich genießt und damit selbst der Hauptdarstellerin Emma Stone mehr als einmal die Show stiehlt.
An ebenjener „Show“ sind neben Emma Thompson maßgeblich zwei Dinge beteiligt: Auf der einen Seite ist da Emma Stones egozentrische Darstellung der Cruella, die im Laufe der rund zwei Stunden authentisch ihren Wandel von der guten Estella hin zur fiesen Cruella vollzieht. Zwar bleiben die Umstände aus Cruellas Kindheit weitestgehend rudimentär und fallen in der zweiten Filmhälfte einem Twist zum Opfer, den es inhaltlich nur bedingt gebraucht hätte. Doch der „La La Land“-Darstellerin gelingt ein feiner Spagat zwischen großgestikulierendem Schurkinnendasein und einem Hauch Verletzlichkeit, die über weite Strecken des Films eine Menschlichkeit in ihrer Figur verankert, die deutlich glaubhafter erscheint als etwa noch in „Maleficent“, in dem der Versuch, Malefiz eine gute Seele zuzugestehen, allzu bemüht und beliebig wirkte. Auf der anderen Seite ist da die Inszenierung selbst, die den Film mit ihrer düsteren Punkrock-Attitüde weit vom familientauglichen Kino wegführt (die FSK-Freigabe ab 6 Jahren erachten wir an dieser Stelle für arg fragwürdig, zumal bereits einige Trailer eine höhere Freigabe erhalten hatten). Craig Gillespie setzt auf einen absoluten Overkill an spektakulären Kostümen und Frisuren; Vor allem Cruellas Vorliebe für aus dem Boden gestampfte Guerilla-Aktionen – seien es nun spontan auf offener Straße stattfindende Modenschauen oder die metaphorische Sprengung anderer gesellschaftlicher Großereignisse durch Cruellas plötzliches Auftreten als neue Designer-Sensation – verleiht dem Film eine gehörige Portion Anarchie. Das macht „Cruella“ gerade im Mittelteil angenehm unberechenbar, sorgt aber auch dafür, dass die bisweilen überambitionierte Aneinanderreihung möglichst vieler Seventies-Pop- und Rocksongs unter diesen Umständen ein wenig zu aufdringlich wirkt; Zumal der Inhalt der Titel nicht immer zu der entsprechenden Situation passt, in der sie platziert werden. „Suicide Squad“ lässt grüßen!
„Die Inszenierung führt den Film mit ihrer düsteren Punkrock-Attitüde weit vom familientauglichen Kino weg. Craig Gillespie setzt auf einen absoluten Overkill an spektakulären Kostümen und Frisuren.“
Neben der hin und wieder aufdringlichen Musikauswahl wirken auch die tricktechnischen Effekte in „Cruella“ oft nur wenig überzeugend. Zwar ist der Film insgesamt deutlich weniger auf CGI angewiesen als diverse andere Disney-Realfilme; Schließlich ist die Handlung die meiste Zeit direkt in der Realität verwurzelt. Doch wann immer die Verantwortlichen auf Computertricks zurückgreifen müssen, sind sie auch als solche erkennbar. Das ist vor allem deshalb so ärgerlich, weil es die animierten Details in den meisten Fällen gar nicht gebraucht hätte. „Cruella“ ist immer dann am stärksten, wenn einfach nur der Krieg zwischen den beiden Designerinnen im Mittelpunkt steht. Schon wesentlich gelungener sind da die vielen eingestreuten Details, die den Ursprung der Geschichte als Zeichentrickfilm unterstreichen. Wie sich etwa Cruellas Vorliebe für gefleckte Hunde erklärt, woher ihr Name stammt oder wie das legendäre Auto der Superschurkin in der Realität aussieht, veranschaulicht die Geschichte auf süffisante Weise. Da verzeiht man dem Film auch manch einen größeren Schönheitsfehler.
Fazit: „Cruella“ ist ein gelungenes Porträt der „101 Dalmatiner“-Schurkin, das sich allerdings nur vage an der Zeichentrickvorlage orientiert und nicht immer ganz ersichtlich macht, ob es sich hierbei nun um ein direktes Prequel, oder aber eine für sich allein stehende Origin-Story handeln soll. Betrachtet man den Film als Letzteres, eröffnet sich einem ein tricktechnisch nicht immer ganz überzeugender, dafür inszenatorisch und darstellerisch mitreißender Modekrieg zwischen zwei Designerinnen, bei dem die berauschenden Kostüme und Frisuren genauso beeindrucken wie die spektakuläre Two-Women-Show der beiden Emmas.
„Cruella“ ist ab dem 28. Mai als Premium-VOD-Titel bei Disney+ abrufbar.