I Care a Lot

Rosamund Pike mimt einmal mehr eine unberechenbare Wahnsinnige und beweist in in der Netflix-Thrillerkomödie I CARE A LOT, dass ihr genau diese Rollen am besten zu Gesicht stehen. Was J Blakesons Regiearbeit sonst noch für Qualitäten hat, das verraten wir in unserer Kritik.

OT: I Care a Lot (UK 2020)

Der Plot

Die mit dem Selbstbewusstsein eines Hais ausgestattete Marla Grayson (Rosamund Pike) arbeitet als professionelle und bei Gericht akkreditierte Betreuerin für zahlreiche Senioren, deren Vermögen sie sich auf höchst zweifelhafte, aber legale Weise unter den Nagel reißt. Ihre gut geölte Maschinerie setzen Marla und ihre Geschäftspartnerin und Liebhaberin Fran (Eiza González) mit brutaler Effizienz auch bei ihrer neuesten „Eroberung“ Jennifer Peterson (Dianne Wiest) ein – einer schwerreichen Seniorin, die keine lebenden Verwandten oder Erben hat. Als jedoch herauskommt, dass auch Jennifer ein ähnlich fragwürdiges Geheimnis mit sich herumträgt und Verbindungen zu einem unberechenbaren Gangster (Peter Dinklage) pflegt, muss Marla einen Gang höher schalten, um in einem Kampf unter Widersachern bestehen zu können, der weder fair noch ehrlich abläuft.

Kritik

Die Lernkurve manch eines Filmschaffenden ist beispiellos: Drehbuchautor Eric Heisserer zeichnete etwa für das Science-Fiction-Meisterwerk „Arrival“ verantwortlich, nachdem er die Skripte zu „Final Destination 5“ und dem (immerhin leicht unterschätzten da die Faszination für Freddy Kruger gleichermaßen aufrecht erhaltenen als auch leicht verdüsternden) „Nightmare on Elm Street“-Remake verfasste. Bevor Adam McKay sowohl für „The Big Short“ als auch „Vice – Der zweite Mann“ ins Awardrennen geschubst wurde, verantwortete er seichte Komödien wie „Die etwas anderen Cops“ oder „Stiefbrüder“. Und bevor Peter Berg seinen hochintensiven Terrorthriller „Boston“ veröffentlichte, inszenierte er… „Battleship“. Doch es geht auch andersherum. Man kann sich beispielsweise kaum vorstellen, dass die Drehbücher zu Paul Verhoevens „Elle“ sowie zum Horror-Rohrkrepierer „Slender Man“ von David Birke und damit von ein und demselben Autor stammen. Welche Richtung Schreiber und Regisseur J Blakeson einmal einschlagen wird, wissen wir heute noch nicht. Bisher sieht es für den gebürtigen Briten allerdings ziemlich gut aus: Nach dem mehr schlechten als rechten Skript zu „The Descent 2 – Die Jagd geht weiter“ und der Regiearbeit für die misslungene Teenie-Dystopie „Die 5. Welle“ folgt „I Care a Lot“. Und es scheint ihm in die Karten zu spielen, dass er nach „Spurlos“ nun ein weiteres Mal Regie und Drehbuch in Personalunion verantworten durfte denn die dramaturgische Taktung des Skripts und die impulsive Inszenierung ergänzen einander hervorragend.

Martha (Rosamund Pike), zusammen mit ihrem Schützling Jennifer Peterson (Dianne Wiest).

Wenn man es nicht besser wüsste, würde man glatt davon ausgehen, die in „I Care a Lot“ erzählte Geschichte beruhe auf wahren Begebenheiten. So sehr erinnert die gleichermaßen temporeiche wie extrem bissige Nacherzählung fiktiver Ereignisse an Filme wie „Molly’s Game“ über die illegale Pokerspiele veranstaltende Geschäftsfrau Molly Bloom oder das Eiskunstläuferinnenporträt „I, Tonya“. Beide Filme – und mit ihnen noch diverse ähnliche Genrevertreter – zeichnet eine große persönliche Nähe zu den hier porträtierten Figuren aus, die im starken Kontrast zu den von ihnen begangenen Taten steht. Das beschwört eine vielschichtige Faszination herauf; sowohl für die Figur an sich als auch für die kriminelle Karriere, indem das eine das andere nährt. „I Care a Lot“ erarbeitet sich eine derartige Faszination in den ersten zehn Filmminuten im Eilverfahren, wenn J Blakeson die Protagonistin Marla Grayson als toughe Kämpferin (oder wie sie sich selbst im Voice-Over nennt: Löwin) etabliert, die ihrem herablassenden Gegenüber schon mal radikal mit dessen Frauenfeindlichkeit konfrontiert. Rosamund Pike („Gone Girl – Das perfekte Opfer“), die seit David Finchers Thriller-Meisterwerk selten besser war und für ihre Rolle in „I Care a Lot“ für einen Golden Globe nominiert worden ist, kaschiert ihre hochkriminellen Energien nicht bloß mit einem enormen Selbstbewusstsein, sondern auch mit feministischem Kampfgeist. Da spielt es zunächst überhaupt keine Rolle, was für schreckliche Dinge die mit einem schnurgeraden Kurzhaarschnitt versehene Seniorenbetreuerin bereits begangen hat – wenn Marla zum Sexismus entlarvenden Rundumschlag ausholt, steht die Verachtung für ihre Taten erst einmal hintenan.

„Rosamund Pike, die seit „Gone Girl“ selten besser war und für ihre Rolle in „I Care a Lot“ für einen Golden Globe nominiert wurde, kaschiert ihre hochkriminellen Energien nicht bloß mit einem enormen Selbstbewusstsein, sondern auch mit feministischem Kampfgeist.“

Gleichwohl beschränkt sich die heraufbeschworene Faszination auf die ersten zehn Minuten von „I Care a Lot“ – kurz darauf gibt uns der Film bereits einen allumfassenden Einblick in die penibel durchgetakteten Mechanismen hinter Marlas Erfolg als ihre alternden Schützlinge schröpfende Betrügerin. Dadurch verpufft die Anerkennung für ihr extrovertiert-selbstsicheres Auftreten zwar noch lange nicht, doch es erhält einen Dämpfer, denn „I Care a Lot“ ist nicht das Porträt einer feministischen Rebellin, sondern einer skrupellosen Kriminellen, die mit eisernem Lächeln Seniorinnen und Senioren zu Pflegebedürftigen erklärt, sie in Altersresidenzen unterbringt und sich anschließend ihr Vermögen unter den Nagel reißt. Je intensiver J Blakeson die gut geölten Abläufe, in die neben ihren eigenen Angestellten auch berufsfremde Helfer:innen wie eine Ärztin involviert sind, beleuchtet, desto unbehaglicher wird einem als Zuschauer:in in Marla Graysons Gegenwart – erst recht, weil man das Gefühl nicht loswird, dass keiner in „I Care a Lot“ am Ende des Tages besser und ruhiger schlafen kann als sie selbst. Umso bedauerlicher ist es, dass man über die Person hinter der Businessfrau-Fassade nur wenig erfährt. Die Beziehung zwischen Marla und ihrer Freundin Fran wirkt nur wenig ausgereift, da sie immer bloß dann eine Rolle zu spielen scheint, wenn sie für den Fortverlauf der Story nötig ist. Und so faszinierend es auch sein mag, einer Frau „mit dem Selbstbewusstsein eines Hais“ zuzuschauen, so wenig nahbar machen sie die fehlenden Schwächen. Marla Grayson ist einfach eine Frau, mit der man sich nicht anlegen will – das ist zwar zweckdienlich für die Tonalität des Films und gibt seine eiskalte Atmosphäre vor, doch für mehr Tiefgang benötigte es Menschlichkeit, die „I Care a Lot“ leider nicht vorweisen kann.

Rukov (Peter Dinklage) lässt sich nicht die Butter vom Brot respektive den Strohhalm aus dem Shake nehmen…

Sobald sich jedoch abzeichnet, dass „I Care a Lot“ in Ermangelung emotionaler Involvierung früh die Puste ausgeht, wechselt J Blakeson den erzählerischen Schwerpunkt. Aus einer Geschichte über die faszinierend-unausstehliche Marla Grayson wird ein Crime-Thriller, in dem Marla eine (wenngleich tragende) aber nicht mehr die einzige Rolle spielt. Gleichwohl muss man dafür in Kauf nehmen, dass der Fokus von ihren eigenen kriminellen Machenschaften abrückt, sie zeitweise gar als eine Art Opfer zeichnet, eh sich in „I Care a Lot“ schließlich jedwede Grenzen zwischen Gut und Böse auflösen. Während Blakeson das hohe Tempo seines Films beibehält, verlagert er den Fokus auf ein genrekonformes Katz-und-Maus-Spiel zwischen Marla und der Mafia mit „Game of Thrones“-Star Peter Dinklage als betont spleenigem Anführer, für das die eigentliche Prämisse einer auf kriminellen Energien fußenden Pflegeagentur irgendwann kaum noch relevant ist. Ein Wehrmutstropfen, den Blakeson mit der Inszenierung selbst weitestgehend wettmachen kann. Kameramann Doug Emmet („Die Hochzeit unserer dicksten Freundin“) folgt der immer auf schnellem Fuß unterwegs seienden Marla im Eiltempo, hält sich nie lange an einem Ort auf, ohne dabei an Übersicht einzubüßen und ergötzt sich an den gleichermaßen farbsatten wie cleanen Kulissen, in dem immer alles an seinem vorgesehenen Platz zu stehen scheint. J Blakeson überlässt inszenatorisch nichts dem Zufall – genauso wenig sie die Protagonistin selbst.

„Während Blakeson das hohe Tempo seines Films beibehält, verlagert er den Schwerpunkt auf ein genrekonformes Katz-und-Maus-Spiel zwischen Marla und der Mafia mit „Game of Thrones“-Star Peter Dinklage als betont spleenigem Anführer, für das die eigentliche Prämisse einer auf kriminellen Energien fußenden Pflegeagentur irgendwann kaum noch eine Rolle spielt.“

Diese hat in Rosamund Pike ihre Idealbesetzung gefunden. Die bereits für ihre Hauptrolle in „Marie Curie – Elemente des Lebens“ aufgrund ihrer Intelligenz gecastete Britin zeigt sich in „I Care a Lot“ nicht einfach bloß von ihrer kaltblütigen Seite. Ihre mit breiter Brust zur Schau gestellte Überlegenheit resultiert grundsätzlich aus ihrer mentalen Stärke: Sobald Marla einen Raum betritt, ist sie die schlauste Person im Raum und dadurch erst recht gefährlich. Umso mutiger ist J Blakesons Entscheidung, „I Care a Lot“ mit einem streitbaren Paukenschlag zu beenden, der im ersten Moment wie mangelnde Courage gegenüber seiner Hauptfigur erscheint, bei genauerem Hinsehen allerdings den moralischen Kompass wieder geraderückt, den seine Marla zuvor so gewitzt für sich zu vereinnahmen wusste.

Fazit: Die faszinierende Geschichte einer kaltblütigen Frau – J Blakeson gelingt mit „I Care a Lot“ das mörderisch unterhaltsame Porträt einer Kriminellen, das keine falschen Sympathien schürt. Gleichwohl fällt die etwas generischere zweite Hälfte mit ihren typischen Thrillerentwicklungen im Vergleich zur ersten ab, in der es ganz und gar um Marla Grayson und ihre perfiden Machenschaften geht.

„I Care a Lot“ ist ab dem 19. Februar bei Netflix streambar.

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