The Big Short

Es geht wieder an die Wall Street: Nach Martin Scorseses irrwitzigem Jordan-Belfort-Biopic „The Wolf of Wall Street“ befasst sich Regisseur Adam McKay in THE BIG SHORT nun ebenfalls mit den feuchtfröhlichen Seiten der Börsenspekulation. Seine Wirtschaftskomödie ist nicht bloß ein Schaulaufen der derzeit angesagtesten Hollywoodstars, sondern auch eine pulsierende Nachhilfestunde darüber, wie es 2007 zur US-amerikanischen Wirtschaftskrise kam. Meine Kritik zum Film lest Ihr hier.
Der Plot
New York im Jahr 2005: Der Dollar ist stark, die Wirtschaft boomt. An der Wall Street werden jeden Tag aufs Neue Börsen- und Wertpapiergeschäfte in gigantischem Umfang getätigt. Mit immer komplexer werdenden Immobilienprodukten, hervorragenden Renditen und vermeintlich minimalem Risiko werden selbst Arbeitslose zu Villenbesitzern und den Maklern, Versicherern und Bankenbossen winkt das schnelle Geld. Was die Finanzbosse, die Medien und die Regierung nicht erkennen, durchschaut der eigenwillige Hedgefonds-Manager Michael Burry (Christian Bale) sofort: Er prognostiziert schon in wenigen Jahren das Platzen der amerikanischen Immobilienblase und den daraus resultierenden Zusammenbruch der Weltwirtschaft, der Millionen Menschen heimat- und arbeitslos machen wird. Als Burry vor der großen Katastrophe warnt, will niemand auf ihn hören – zu sicher fühlen sich die Bankenbosse und tun seine Prognosen ab. Daraufhin entwickelt Burry einen perfiden Plan: den „Big Short“. Durch sogenannte „Shortings“, Leerkäufe von Aktien großer Investmentbanken, wettet er gemeinsam mit weiteren risikofreudigen Spekulanten, wie dem unbeirrbaren Trader Steve Eisman (Steve Carell), dem geldgierigen Deutsche-Bank-Makler Greg Lippmann (Ryan Gosling) und dem früheren Star-Investor Ben Rickert (Brad Pitt), gegen das Finanzsystem, um selbst das unfassbar große Geld zu machen. Das Desaster und der absolute Wahnsinn jenseits aller moralischen Grenzen hat begonnen…
Kritik
Als Leonardo DiCaprio 2013 mit der Rolle des Jordan Belfort die Performance seines Lebens ablieferte, dachten viele, dass Martin Scorsese mit seinem pervers-vergnüglichen Blick auf die Wall Street das Optimum an Unterhaltsamkeit aus der US-amerikanischen Finanzbranche herausgeholt hatte. Orgien in Börsenmaklerbüros, Polizistenbestechung auf Luxusyachten und Drogenkonsum in solchen Mengen, dass man sich als Zuschauer fragte, wie genau die Beteiligten das alles überhaupt unbeschadet überleben konnten, legten den Verdacht nah, dass jemand, der sich später einer ähnlichen Thematik bedient, allenfalls als Nachahmer verschrien werden würde. Manche Dinge funktionieren eben nur ein einziges Mal, da sie wie im Falle von Jordan Belfort eben auch nur einmal passieren. Ausdenken kann man sich derartig abgehobene Eskapaden wohl ohnehin nicht, sodass Regisseur Adam McKay („Anchorman – Die Legende kehrt zurück“) mit seiner Wall-Street-Posse „The Big Short“ genau den richtigen Schritt gewagt und sich eines Themas bedient, dem in seiner wahren Existenz eigentlich keine ausschließlich komische Betrachtung gebührt. So inszeniert der Komödienexperte nicht die Folgen der US-amerikanischen Finanzkrise 2007, sondern widmet sich den zwei Jahren, bevor es zum Platzen der Immobilienblase kam. Der Grund für diese Betrachtungsweise könnte simpler und doch gewiefter nicht sein: Zum damaligen Zeitpunkt wurde allein der Gedanke daran, dass der Immobilienmarkt in Übersee irgendwann zusammenbrechen würde, für irrwitzig erklärt. Es bedarf also keinerlei Überstilisierung, um die Jahre 2005-2007 zu einer Farce zu machen, wie es McKay in „The Big Short“ vollführt.
Adam McKay macht während seines 130 minütigen (und dabei keine Sekunde zu lang geratenen) Films nicht einmal einen Hehl daraus, dass die Wall-Street- und Immobilien-Thematik in „The Big Short“ eine ganz eigene Philosophie besitzt. Wer hier einen Moment nicht aufpasst, der ist verloren. Im Sekundentakt lassen die Protagonisten unter der Aufsicht der Drehbuchautoren Charles Randolph („Love and Other Drugs“) sowie McKay selbst Fachvokabular und Insiderwissen auf die Zuschauer los, sodass es fachunkundigem Publikum bisweilen schwer fallen wird, dem zu folgen. Doch der Regisseur weiß darum und hat sich für diese Problematik etwas einfallen lassen: in unregelmäßigen Abständen bringen die Macher feine Cameos im Film unter, die Schritt für Schritt erklären, was es mit einzelnen Begriffen, Handlungen und deren Folgen auf sich hat. „The Big Short“ macht dabei so viele verschiedene Schauplätze auf, dass der Film eine Dynamik an den Tag legt, der man sich als Publikum nur unschwer entziehen kann. Die technische Umsetzung ist nicht nur makellos, sondern verhilft „The Big Short“ obendrein auch zu einer Musikvideo-Ästhetik, die ihn wie einen Rausch erscheinen lässt. Auch die Hauptfiguren selbst sind alles andere als seelenlose Wall-Street-Spekulanten. Sie alle repräsentieren unterschiedliche Menschentypen, die mit der bevorstehenden Finanzkrise ganz unterschiedlich umgehen. Das reicht vom ungläubigen Staunen (Christian Bale) über die nahende Verzweiflung (Steve Carell) bis hin zum kalkulierenden Profiteur (Ryan Gosling), doch aus allen ziehen die Macher ihren ganz eigenen, teilweise zwar fragwürdigen aber nie mit Häme ausgestatteten Unterhaltungswert.
Es basiert sicherlich auch auf dem Gedanken, dass Menschen, die dann zu Reichtum kommen, wenn andere ihren im Gegenzug verlieren, per se nicht zu den sympathischsten Zeitgenossen gehören, sodass die eigentliche Tragik innerhalb des tonal sehr gewitzten Films nie zu ihrer vollen Entfaltung kommt. „The Big Short“ war nicht ohne Grund in diesem Jahr als „Beste Komödie“ für den Golden Globe nominiert. Der Film macht auf humoristischer Ebene keine Gefangenen, was zur Folge hat, dass Adam McKay die andere Seite der Geschichte – die Leidtragenden der Finanzkrise – nur am äußersten Rande seiner Geschichte betrachtet. Seine Darsteller, aber auch der Regisseur selbst stellen sich ganz in den Dienst eines Films, der ähnlich „The Wolf of Wall Street“ als absolut radikales Sehvergnügen funktioniert, das zwar mit weitaus weniger nackter Haut gesegnet ist, in Tempo, emotionaler Härte und seiner anklingenden Dreistigkeit jedoch auf ähnlichem Parkett spaziert. Auch die Darstellerleistungen kratzen an der Exzentrik, sind bei aller unbedarften Attitüde jedoch von solch einem optimistischen Trotz, dass es Spaß macht, die Situation schleichend eskalieren zu sehen.
Sein Herz hängt man als Zuschauer wohl an keine der Figuren; wenn Steve Carrell gen Ende des Films verzweifelt auf einer Bordsteinkante sitzt und über die Zukunft sinniert, geht einem das nicht wirklich nahe. Doch das ist auch nicht das Ziel, das Adam McKay mit „The Big Short“ verfolgt. Mithilfe von den allesamt genial aufspielenden Darstellern, von einem brillant-extravaganten Christian Bale („Knight of Cups“), einem kühnen Ryan Gosling („Only God Forgives“), dem zwischen Beherrschung und Hoffnungslosigkeit changierenden Steve Carrell („Foxcatcher“) und einem sich weitestgehend im Hintergrund haltenden Brad Pitt („Herz aus Stahl“) erwecken die Macher ein eigentlich so trockenes Thema zum Leben, ohne sich dabei auf eine ähnlich provokative Machart zu verlassen, wie sie Martin Scorsese in „The Wolf of Wall Street“ an den Tag legte. Trotzdem ist „The Big Short“ bei aller Konzentration auf die Branche an sich nicht weniger amüsant; aufgrund seiner weitaus geerdeteren Betrachtungsweise entsteht zum Großteil gar der Eindruck, so und nicht anders muss sich das alles vor einigen Jahren wirklich zugetragen haben. Hier steht keine ikonische Figur im Mittelpunkt – und gerade das macht „The Big Short“ so beeindruckend: Wenn kurz vor dem Abspann schließlich nackte Zahlen eingeblendet werden, sind diese für den Zuschauer viel schockierender, als ein Koks vom Arsch einer Nutte schniefender Leonardo DiCaprio alias Jordan Belfort.
Fazit: Wer dachte, nach den Eskapaden von Jordan Belfort wäre die Sexiness innerhalb der US-amerikanischen Finanzwelt ausgeschöpft, der irrt. Die namhaft besetzte Wall-Street-Komödie „The Big Short“ ist bei aller realitätsbezogener Tragik ein irrwitziges Vergnügen, das beweist, dass Geld die Welt regiert und man sich davon dennoch nicht unterkriegen lassen sollte. Schauspielkino aller erster Klasse und nicht umsonst einer der Award-Favoriten der aktuellen Filmpreis-Saison.
„The Big Short“ ist ab dem 14. Januar bundesweit in den deutschen Kinos zu sehen.
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