Marie Curie – Elemente des Lebens

„Nicht noch ein Marie-Curie-Biopic!“ denkt man im ersten Moment im Anbetracht dessen, dass es schon diverse Filme über die Wissenschaftlerin und Radioaktivitätsentdeckerin gibt. Doch Marjane Satrapi nähert sich der interessanten Frau in MARIE CURIE – ELEMENTE DES LEBENS auf neue Weise. Mehr dazu verraten wir in unserer Kritik.

OT: Radioactive (UK/HUN/CHN/FR/USA 2019)

Der Plot

Paris, Ende des 19. Jahrhunderts: In der akademischen Männerwelt der Universität Sorbonne hat Marie Skłodowska (Rosamund Pike) als Frau und auf Grund ihrer kompromisslosen Persönlichkeit einen schweren Stand. Allein der Wissenschaftler Pierre Curie (Sam Riley) ist fasziniert von ihrer Leiderschaft und Intelligenz und erkennt ihr Potential. Er wird nicht nur Maries Forschungspartner sondern auch ihr Ehemann und die Liebe ihres Lebens. Für ihre bahnbrechenden Entdeckungen erhält Marie Curie als erste Frau 1903 gemeinsam mit Pierre den Nobelpreis für Physik. Sein plötzlicher Tod erschüttert sie zutiefst, aber Marie gibt nicht auf. Sie kämpft für ein selbstbestimmtes Leben und für ihre Forschung, deren ungeheure Auswirkungen sie nur erahnen kann und die das 20. Jahrhundert entscheidend prägen werden.

Kritik

Es gibt bereits Filme über die Chemikerin Marie Curie, die im Paris des 19. Jahrhunderts lebte und dort gemeinsam mit ihrem Ehemann Pierre, ein von der Gesellschaft geachteter Physiker, unter anderem radioaktive Strahlung entdeckte. Regisseurin Marjane Satrapi („The Voices“) reichte die Art, wie die Forscherin in ebenjenen Filmen porträtiert wurde, allerdings nicht aus, um ihr Gesamtwesen zu erfahren. Erst recht, weil Curie neben Simone de Beauvoir seit jeher eines der großen Vorbilder der gebürtigen Iranerin ist. Das Skript zu „Marie Curie – Elemente des Lebens“, das Jack Thorne („Wunder“) auf Basis von Lauren Redniss‘ gleichnamiger Marie-Curie-Biographie verfasste, entsprach da schon eher den Vorstellungen der Regisseurin. Und die hat sich das Leben der Forscherin nun vollständig zu eigen gemacht und nicht als banales Abhaken chronologischer Wikipedia-Stationen inszeniert, sondern einen Film mit Genreelementen kreiert, der Curie als Wissenschaftlerin, Ehefrau, Mutter, unabhängige Feministin und damit eben in ihrer Gänze erfasst. Viel auf einmal und Einiges davon bleibt in seinen Anfängen stecken. Aber auch um sich einmal anzuschauen, wie man Biographien über bekannte Persönlichkeiten abseits biederer Nacherzählung anfühlen kann, ist „Marie Curie“ definitiv einen Blick wert.

Marie (Rosamund Pike) und Pierre Curie (Sam Riley) ergänzen sich bei ihren Forschungen perfekt.

Wenngleich der Originaltitel „Radioactive“ auf den ersten Blick nur eines der vielen Bestandteile Curies erfasst – nämlich jenen rund um ihre Karriere als Chemikerin – bringt er doch den tonalen Kern des Films wesentlich besser zur Geltung. Denn natürlich beeinflusst die Entdeckung der Radioaktivität Curie in all ihren Lebensbereichen, andersherum genauso. Denn durch diesen entscheidenden, wissenschaftlichen Schritt wurden ja überhaupt erst Erfindungen wie die Atombombe möglich, die der Menschheit im Nachhinein viel Leid eingebracht haben. Doch sollte man die Entdeckerin eines eigentlich natürlichen Elements für ihre Forscherleistung verurteilen, bloß weil im Nachhinein andere Leute damit Unfug angestellt haben? Marjane Satrapi war es wichtig, diesen moralischen Zwiespalt auszuloten, stellt sich dabei aber klar auf die Seite der Forscherin. Wenn diese von den Dorfbewohnern verfolgt und für ihre Krankheit und Unheil bringende Entdeckung beschimpft wird, erkennt man überhaupt erst ihr Ausmaß. Auch ihre Beziehung zu ihrem sie liebenden und sie für ihren Intellekt schätzenden Ehemann Pierre wird maßgeblich von Curies Forschungsergebnissen beeinflusst – und führt über Umwege zu einem frühen Ableben ihres Gatten, wodurch sich „Marie Curie – Elemente des Lebens“ in zwei Parts unterteilen lässt. Der Teil vor seinem Tod veranschaulicht kurzweilig und fast schon kriminalistisch die ehrgeizigen Experimente des Forscherpaares, die emotional aufwühlende, triste Zeit nach Pierres Tod verhelfen dem Film dagegen zu seinem Dramastatus – und machen ihn im Nachhinein zudem zu einer großen Liebesgeschichte.

„Marjane Satrapi hat sich das Leben der Forscherin vollständig zu eigen gemacht und nicht als banales Abhaken chronologischer Wikipedia-Stationen inszeniert. „Marie Curie“ ist ein Biopic mit Genreelementen, das Curie als Wissenschaftlerin, Ehefrau, Mutter, unabhängige Feministin und damit in ihrer Gänze erfasst.“

Marjane Satrapi macht von Anfang an keinen Hehl daraus, dass „Marie Curie“ nicht bloß von der Titelheldin, sondern auch von ihrem Ehemann erzählen soll. Da die Eheleute sich in ihren Forschungen hervorragend ergänzten, war die Entdeckung der Radioaktivität auch nur dank beider möglich. Dass es aufgrund der starren gesellschaftlichen Norm im Nachhinein vor allem Pierre war, der für seine Leistungen geehrt wurde (so wurde zum Beispiel ausschließlich er mit dem Nobelpreis ausgezeichnet), machte Marie Curie zudem zu einer der ersten, für die Gleichberechtigung von Frauen einstehende Person der Öffentlichkeit. Dass das Skript ihren Kampf gegen die Konventionen auf eine einzige Wutrede reduziert, ist letztlich dem ohnehin sehr vollen Film geschuldet, in dem manche erzählerischen Parts nicht zur Genüge zur Geltung kommen. Stattdessen eröffnet sich diese Thematik auch wieder eher über die Interaktion zwischen ihr und ihrem Ehemann, der seine Gattin aufopferungsvoll darin unterstützt, dass ihre Leistungen ebenso anerkannt werden wie seine.

Ein Leben für die Wissenschaft: Marie Curie.

Während die sich gleichermaßen auf einer intellektuellen wie emotionalen Ebene abspielende Lovestory zwischen Marie und Pierre verhältnismäßig geradlinig verläuft, erlauben sich die Macher bei der Veranschaulichung dessen, wie sich die Entdeckung der Radioaktivität auf die Menschheit ausgewirkt hat, einige inszenatorische Kabinettstückchen. Satrapi kreiert einige düstere Albtraumsequenzen, in denen Curies innere Zerrissenheit hervorragend zur Geltung kommt. Darüber hinaus zeigen Szenen einer Krebsbestrahlung und die Auswirkungen einer gezündeten Atombombe, auf welch vielfältige Weise Curies Entdeckung später ge- und vor allem missbraucht wurde. Obwohl diese Szenen stilistisch klar hervorstechen und bisweilen sogar Videoclip-Charakter besitzen, sind sie alles andere als Effekthascherei, sondern funktionieren hervorragend als visuelle Entsprechung von Marie Curies Gemütszustand.

„Marjane Satrapi macht keinen Hehl daraus, dass „Marie Curie“ nicht bloß von der Titelheldin, sondern auch von ihrem Ehemann erzählen soll. Da die Eheleute sich in ihren Forschungen hervorragend ergänzten, war die Entdeckung der Radioaktivität auch nur dank beider möglich.“

„Gone Girl“-Darstellerin Rosamund Pike, die von Satrapi in erster Linie aufgrund ihrer Intelligenz gecastet wurde, gelingt es mit ihrer Performance, sehr subtil zwischen der Leidenschaft für ihre Forschung und ihren unzähligen schmerzhaften Spätfolgen zu changieren, wodurch Curie nie perfekt, sondern menschlich und nahbar wirkt – obwohl sie zu Lebzeiten als komplizierte und schwer durchschaubare Frau beschrieben wurde. Vor allem im Zusammenspiel mit Sam Riley („Maleficent: Mächte der Finsternis“) lernt man die junge Frau immer auch von ihrer zerbrechlichen Seite kennen. Dem Film gelingt es also tatsächlich, Marie Curie in all ihren Facetten zu zeigen.

Fazit: Regisseurin Marjane Satrapi wird den vielen, in „Marie Curie – Elemente des Lebens“ aufgegriffenen Themen über weite Strecken gerecht und inszeniert unter Zuhilfenahme von Genreelementen ein außergewöhnliches Biopic über eine außergewöhnliche Frau, das sämtliche ihrer Facetten einfängt.

„Marie Curie – Elemente des Lebens“ ist ab dem 16. Juli in den deutschen Kinos zu sehen.

Und was sagst Du dazu?