The Voices

Auf den ersten Blick wirkt die Grundidee von THE VOICES ziemlich absurd: Ein Mann spricht mit seinen Haustieren und wird von diesen regelmäßig in blutige Schandtaten gequatscht. Doch Regisseurin Marjane Satrapi macht aus diesem tiefschwarzen Spaß ein waschechtes Charakterdrama mit Thrillerelementen, das schon in wenigen Monaten Kult sein könnte. Meine Kritik zum Film gibt es hier zu lesen.
Der Plot
Von außen wirkt das Leben von Jerry (Ryan Reynolds) höchstens ein wenig sonderbar. Seine Kollegen lassen den Außenseiter vorzugsweise links liegen, was den stets in einen rosafarbenen Overall gekleideten Badewannenverkäufer jedoch nicht davon abhält, mit der attraktiven Fiona (Gemma Arterton) aus der Buchhaltung anzubändeln. Niemand ahnt etwas von den traumatischen Kindheitserlebnissen und den Sitzungen bei seiner Psychotherapeutin Dr. Warren (Jacki Weaver), die Jerry gebetsmühlenartig an die Einnahme seiner Psychopharmaka erinnert. Doch ausgerechnet die kleinen bunten Pillen sind es, die den Patienten so schwer hemmen, dass dieser darüber Depressionen entwickelt. Kurzum setzt Jerry seine Tabletten eigenhändig ab – und alles ist gut. Von nun an führt der Tierliebhaber ausführliche Gespräche mit seinem Kater Mr. Whiskers und seinem treudoofen Hund Bosco, die ihm mal mit mehr, mal mit weniger Rat und Tat zur Seite stehen. Nach einem unfreiwilligen Date mit seiner Angebeteten Fiona kommt es durch mehrere absurde Zufälle dazu, dass Jerry plötzlich ihren abgetrennten Kopf in den Händen hält. Er beschließt, diesen in seinem Kühlschrank zu verstecken – und führt fortan ebenfalls Gespräche mit ihr. Als Jerry die hübsche Lisa für sich entdeckt, muss er sich endgültig seinen inneren Dämonen stellen, um aus dieser Situation heile rauszukommen.
Kritik
Für die Inszenierung der tiefschwarzen Komödie „The Voices“ betritt Regisseurin Marjane Satrapi („Persepolis“, „Huhn mit Pflaumen“) echtes Neuland. Die aus dem Iran stammende Filmemacherin befasste sich jahrelang ausgiebig mit gesellschaftspolitischen Themen, eh sie sich mit ihrer Serienmörder-Groteske nun endgültig ins absurde Fach begibt. Gleichsam eint all ihre Werke die Verschmelzung unterschiedlichster Einflüsse, denn so urkomisch die Prämisse von „The Voices“ auf den ersten Blick auch anmutet, so makaber und todtraurig ist die Geschichte über einen durch Halluzinationen mit seinen Haustieren sprechenden Killer doch im Kern. Nach mehreren beispiellosen Flops wie „R.I.P.D.“ oder dem halbgaren Superheldenfilm „Green Lantern“ bietet Satrapi dem von den Kritikern bisweilen gescholtenen Schauspieler Ryan Reynolds eine ideale Bühne, sich in einer waschechten Tour-de-Force-Performance zu profilieren. An der Seite von Anna Kendrick („Into the Woods“) und Gemma Arterton („Hänsel & Gretel: Hexenjäger“) stemmt er die Mischung aus augenzwinkerndem Horrorthriller und Charakterdrama nahezu im Alleingang. Die kuriosen Einfälle und die hohe Schlagzahl an visuellem Slapstick tun ihr Übriges, um aus „The Voices“ ein unverschämt unterhaltsames Kinoerlebnis zu machen, mithilfe dessen sich Jerry in eine Riege mit Patrick Bateman und Norman Bates mordet und dadurch schon in wenigen Monaten Kult sein könnte.
Trotz des eigentlich so ernsten Grundthemas ist es gerade die visuelle Farbenpracht, einhergehend mit den vielen komischen Komponenten, auf die sich Regisseurin Marjane Satrapi lange Zeit verlässt. Dabei liegt das Hauptaugenmerk auf der Interaktion zwischen Jerry und seinen beiden Haustieren, die hier als abgeänderte Variante des typischen Engelchen-gegen-Teufelchen-Schemas funktionieren. Der selbstsichere und nicht selten derb fluchende Kater Mr. Whiskers versucht Jerry immer wieder, von der Attraktivität eines lasterhaften Lebens zu überzeugen, während der in sich ruhende Bronco – in bester Hundemanier – für das leibliche Wohl seines Herrchens zu sorgen versucht. Um den Charakter der Halluzination zu unterstreichen, kommen die Stimmen dabei stets aus ein und demselben Mund; in der Originalfassung spricht Ryan Reynolds sowohl Mr. Whiskers als auch Bronco, in der deutschen Synchronisation behält man diesen Kniff bei und besinnt sich ebenfalls auf Gerrit Schmidt-Foß als alleinigen Sprecher sämtlicher eingebildeter Gesprächspartner Jerrys. Die teils ins Karikatureske abdriftenden Dialoge zwischen Jerry und seinen beiden Schützlingen, die sich auch untereinander kaum ausstehen können, bieten über lange Zeit Highlight um Highlight. Doch auch die Szenen auf der Arbeit sowie Jerrys Versuche, ein geregeltes Leben in menschlicher Gesellschaft zu führen, gehören zu den großen Pluspunkten von „The Voices“. Der Umgang mit Jerrys Außenseiterdasein ist eine treffsichere Parabel auf die gesellschaftlichen Missstände, in denen andersartige Menschen ausgegrenzt und absonderliches Verhalten nur selten hinterfragt wird. Wenn sich der mittlerweile mehrere abgetrennte Köpfe besitzende Jerry in Gegenwart seines Bosses fast verplappert und dieser ebenjenen Versprecher mit einem Grinsen als typische Jerry-Art abtut, führt ein solches Verhalten dem Zuschauer vor Augen, mit welchem Desinteresse wir unseren Mitmenschen entgegen treten.
Während der Fokus in der ersten Hälfte von „The Voices“ auf der Absurdität der Prämisse liegt, entscheidet sich die Regisseurin an entscheidender Stelle für einen krassen Bruch – und somit dafür, ihrem Film eine weitere, noch viel wichtigere Ebene hinzuzufügen. Das Publikum wird Zeuge, wie sich Jerrys Wahrnehmung mit der Einnahme der Medikamente verändert. Aus der schräg-bunten Szenerie wird ein tristes Grau-in-Grau, das sich durch die Verwahrlosung innerhalb Jerrys Wohnung und der betont melancholischen Einsamkeit bis ins Unerträgliche steigert. Von nun an beginnt auch die bislang stets ironische Stimmung zu kippen. Aus dem netten Jerry, der im Rahmen seiner nächtlichen Mordexzesse bislang lediglich von einem Fettnäpfchen ins nächste zu stapfen schien, wird ebenjener waschechte Psycho, den der Zuschauer bislang zwar erahnen konnte, sich aufgrund der Sympathie für Jerry, einhergehend mit einem Schuss Mitleid, jedoch nicht eingestehen wollte. Das Spiel mit Jerrys verschiedenen Persönlichkeiten scheint dem smarten Ryan Reynolds wie auf den Leib geschrieben. Er ist es, der die unterschiedlichen Facetten seiner Rolle hervorragend zusammenhält und der sich trotz seines sich nach und nach aufklärenden, tieftraurigen Schicksals nie auch nur im Ansatz das Augenzwinkern nehmen lässt, geschweige denn durch seine teils exzessiven Handlungen zum Zerrbild seiner selbst verkommt. Und obwohl man es Jerry zu Beginn kaum zutraute, dem Publikum tatsächlich das Fürchten zu lehren, so vermag man spätestens ab der ultimativen Konfrontation mit der Therapeutin kaum mehr erahnen, wohin seine Reise denn nun gehen mag.
Neben Ryan Reynolds beeindrucken vor allem Gemma Arterton als Femme Fatale, die sich mit Jerry kaum ernsthaft abgeben mag, sowie eine einmal mehr zuckersüße Anna Kendrick, die sich als eine der ersten Personen ernsthaft für ihren sie anschmachtenden Kollegen zu interessieren scheint. Außer den Darstellern ist jedoch auch die technische Komponente wichtig für das runde Erscheinungsbild von „The Voices“: Komplett in den Filmstudios Barbelsberg und Umgebung gedreht, nutzt der horroraffine Kameramann Maxime Alexandre („Alexandre Ajas Maniac“) die für US-amerikanische Filmverhältnisse ohnehin befremdlichen Kulissen, um die abstrusen Gedankenwelten des Protagonisten noch gekonnter hervorzuheben. Plotbedingt in den USA angesiedelt, wirken die Szenerien wie aus Zeit und Ort gefallen und sorgen damit für den Zusatz der völligen Desorientierung. Mithilfe dieser visuellen Idee und dem bewussten Spielen mit unterschiedlichen Farbgestaltungen wird aus „The Voices“ ein unberechenbares Stück Indie-Kino, das all jenen Kritikern ein Schnippchen schlägt, die sich stets über mangelhafte Kreativität der internationalen Filmlandschaft beschweren.
Fazit: In „The Voices“ lässt Regisseurin Marjane Satrapi zwei vollkommen unterschiedliche Genres aufeinanderprallen: Der von einem großartigen Ryan Reynolds verkörperte Jerry wandelt auf den Spuren von namhaften Serienkillerikonen und reichert seine exzessiv wahnhafte Performance mit dem skurrilen Humor typischer Brit-Komödien an. „The Voices“ hält die stete Balance zwischen Psychothriller und Komödie, fesselt den Zuschauer gekonnt an den Kinosessel und konfrontiert das Publikum mit den eigenen Moralvorstellungen. Nie waren abgetrennte Köpfe, sprechende Haustiere und rosafarbene Overalls so urkomisch und angsteinflößend zugleich. Dieser Film hat das Zeug dazu, in wenigen Monaten bereits Kult zu sein!
„The Voices“ ist ab dem 30. April in ausgewählten Kinos Deutschlands zu sehen!
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