Gott, du kannst ein Arsch sein

Wie fühlt es sich an, wenn man eine tödliche Krankheitsdiagnose erhält? In GOTT, DU KANNST EIN ARSCH SEIN erzählt André Erkau die Geschichte einer Krebspatientin, die gar nicht einsieht, sich von ihrem Schicksal herunterziehen zu lassen. Mehr zum Film verraten wir in unserer Kritik.

OT: Gott, du kannst ein Arsch sein (DE 2020)

Der Plot

Steffis (Sinje Irslinger) Leben könnte nicht schöner sein: Sie ist jung, hat einen tollen Freund, den Schulabschluss in der Tasche und eine Ausbildungsstelle in Aussicht. Die Abschlussfahrt soll nach Paris gehen. Doch dann erhält die 16-Jährige unerwartet eine niederschmetternde Diagnose: Ihr bleibt nicht mehr viel Zeit zum Leben. Der Bus nach Paris fährt ohne sie… Genau jetzt tritt Zirkusartist Steve (Max Hubacher) in Steffis Leben. Er hat einen Führerschein und bietet an, sie kurzerhand nach Paris zu fahren. Mit geklautem Auto, ohne Geld und verfolgt von den besorgten Eltern (Til Schweiger und Heike Makatsch) brechen die beiden zu einem einzigartigen Roadtrip auf. Im Nordseewind fliegen, auf Kühen reiten, oder Snowboardfahren im Hochsommer – angetrieben von unbändiger Lebenslust stürzt sich Steffi in ein unglaubliches Abenteuer.

Kritik

Es ist die große Frage, was die deutsche Kinolandschaft daraus macht, dass die Lichtspielhäuser respektive das Angebot der großen Filmverleiher aktuell so gut wie brach liegt. Die Big Player der Szene – Disney, Warner Bros. und Co. – verschieben ihre (US-amerikanischen) Produktionen Monat für Monat. „Black Widow“, „Wonder Woman 1984“, „The King’s Man – The Beginning“: Das Kinojahr 2021 wird definitiv eine proppenvolle Angelegenheit. Wer dagegen dieser Tage ins Kino gehen und die schwer angeschlagene Branche unterstützen will, schaut in die Röhre. Es wäre die Chance für Verleiher, deutsche Kinofilme dort zu platzieren, wo sonst Superhelden und Geheimagenten agiert haben – in großen Marketingkampagnen, mit langer Verweildauer in den Kinosälen und der Chance, dass die Mundpropaganda so etwas wie einen oder mehrere Sleeperhits hervorbringt: All das wäre theoretisch möglich. Und vielleicht gelingt es ja André Erkaus Romanverfilmung „Gott, du kannst ein Arsch sein“. Was dafür spricht: die Kombination aus zielgruppenübergreifender (Familien-)Geschichte und ein namhafter Cast. Schade ist nur, dass der Film insgesamt nicht über ein durchschnittliches Roadmovie hinausgeht.

Steffi Pape (Sinje Irslinger) und ihre Familie ahnen noch nicht, dass in der jungen Frau ein Tumor heranwächst.

Regisseur André Erkau kennt sich auf dem Themengebiet der Tragikomödie auf Basis schlimmer Schicksalsschläge aus: Sein Wotan-Wilke-Möhring-Vehikel „Das Leben ist nichts für Feiglinge“ aus dem Jahr 2012 erzählt von einem Vater, dessen Ehefrau unerwartet verstirbt, woraufhin die gemeinsame Tochter Kim gemeinsam mit einem Freund Reißaus nach Dänemark nimmt – ihr besorgter Vater hinterher. In der Buchverfilmung „Gott, du kannst ein Arsch sein“ ist nun nicht Dänemark das Ziel der Ausreißerin Steffi, sondern Frankreich. Und der Grund dafür ist auch nicht eine verstorbene Mutter, sondern die tödliche Diagnose Krebs. Davon abgesehen rührt Erkau seinen Film aus ganz ähnlichen tonalen wie inszenatorischen Zutaten zusammen, sodass dabei am Ende Film dabei herauskommt, der sich hervorragend in eine Reihe mit „Vincent will Meer“, „Hin und weg“ oder „Der geilste Tag“ einreiht.  In all diesen Geschichten, die seit Josh Boons Bestsellerverfilmung „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ Hochkonjunktur zu haben scheinen, geht es darum, das Leben trotz (oder gerade wegen) eines schlimmen Schicksalsschlags – Krankheit, Tod, Verlust – so richtig zu genießen. Im Mittelpunkt stehen dabei die betroffenen jungen Erwachsenen (der jüngste deutsche Emporkömmling dieses Trends, „Dem Horizont so nah“, ist noch nicht mal ein Jahr alt), aber auch ihr Umfeld – häufig ist ihr ganz unterschiedlicher Umgang mit der Diagnose nur schwer miteinander vereinbar.

„In all diesen Geschichten, die seit Josh Boons Bestsellerverfilmung „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ Hochkonjunktur zu haben scheinen, geht es darum, das Leben trotz (oder gerade wegen) eines schlimmen Schicksalsschlags – Krankheit, Tod, Verlust – so richtig zu genießen.“

So weit, so bekannt. Und an dieser Formel halten die Drehbuchautoren Thomas Vass alias Tommy Wosch („Beck is Back!“) und Katja Kittendorf („Die Pfefferkörner“) auch fest, wenn es darum geht, die eigentlich auf einem wahren Schicksal basierende Geschichte von Hauptfigur Steffi in eine massentaugliche Handlung zu pressen. Denn ausgerechnet der Roadtrip selbst fand so in Wirklichkeit nie statt. Da fragt man sich schon, weshalb man sich nun einmal mehr genau ein solches Szenario ausgesucht hat, um eine eigentlich einzigartige Geschichte so zu erzählen, wie ähnliche Geschichten schon dutzendfach im Kino erzählt wurden. Also folgt das Publikum in „Gott, du kannst ein Arsch sein“ einmal mehr zwei Hauptfiguren durch eine Reihe von zufälligen Begegnungen, kleinen Abenteuern und diverse andere Stationen auf ihrem Weg von Norddeutschland nach Frankreich; ein Beinahe-Überfall an einer Tankstelle, Spontan-Tätowierungen sowie ein Abstecher in eine Indoor-Skihalle inklusive. Einige dieser Etappen profitieren stark von den verpflichteten Nebendarstellern: Benno Führmann („Intrigo – Tod eines Autors“) macht als gemeingefährlicher Tankstellenwart eine ebenso gute Figur wie Jasmin Gerat („Kalte Füße“) als sanftmütige Barfrau und Zuhörerin. Andere wiederum wirken eher wie eine Pflichtübung, womit André Erkau bisweilen gar kokettiert. Wenn etwa Steve auf eigene Faust beschließt, einen Routenschlenker zu machen, um Steffi das Meer zu zeigen, gibt er sogar zu, dies nur zu tun, „weil doch alle Todkranken das Meer sehen wollen“. Dass die junge Frau dies zunächst spöttisch verneint, scheint dieses Klischee zu unterwandern. Doch am Ende nutzt Erkau den Abstecher ans Meer eben doch bloß für einige plakative Genieße-dein-Leben-Szenen.


Eva (Heike Makatsch) und Frank (Til Schweiger) sind in großer Sorge um ihre kranke Tochter.

Generell betont „Gott, du kannst ein Arsch sein“ mehr noch als all die genannten Genre-Verwandten, wie wichtig es ist, im Hier und Jetzt zu leben und die Zeit bis zu unserem Tode zu genießen. Dazu klammern die Macher den Krebs und das Sterben – mit Ausnahme der ersten 20 Minuten – nahezu komplett aus. So leidet die Hauptfigur beispielsweise nie unter krankheitsbedingten Beschwerden und wird auch sonst nicht von ihrer Diagnose gebremst. „Gott, du kannst ein Arsch sein“ würde auch ohne den Krebs-Überbau ganz hervorragend funktionieren; Zumal Erkau selbst gen Ende der Versuchung widersteht, nochmal ordentlich auf die Tränendrüse zu drücken. Dadurch fühlt sich der Umgang mit einem solch schlimmen Schicksal im Vergleich zu diversen anderen Tränenzieherproduktionen bemerkenswert aufrichtig an. Andererseits lässt einen Steffis Geschichte im Großen und Ganzen dann doch überraschend kalt. Das liegt zum einen daran, dass der Funke zwischen Newcomerin Sinje Irslinger („Das schönste Mädchen der Welt“) und Max Hubacher („Der Hauptmann“) nie überspringt. Die beiden geben zwar zwei glaubhafte Partner in Crime ab, doch sobald das Skript ein amouröses Knistern andeutet, wirkt die Interaktion der beiden zunehmend hölzern. Zum anderen verortet Erkau „Gott, du kannst ein Arsch sein“ zu sehr im Bereich der Komödie, sodass sich in den vereinzelten dramatischen Momenten kaum Gefühle Bahn brechen können, die sich setzen und daher nachwirken können.

„Selbst gen Ende widersteht Erkau der Versuchung, nochmal ordentlich auf die Tränendrüse zu drücken. Dadurch fühlt sich der Umgang mit einem solch schlimmen Schicksal im Vergleich zu diversen anderen Tränenzieherproduktionen bemerkenswert aufrichtig an.“

Wenn es im Film dann doch mal traurig wird, ist dafür nicht selten Til Schweiger („Die Hochzeit“) verantwortlich. Nachdem der Schauspieler und Filmemacher zuletzt nur selten die Gelegenheit hatte als Darsteller zu überzeugen, steht ihm die Rolle des tieftraurigen Vaters Frank hervorragend zu Gesicht. Gemeinsam mit Heike Makatsch („Ich war noch niemals in New York“) mimt er ein besorgtes Elternpaar auf der Grenze zwischen Überfürsorge und dem Wunsch, der Tochter auf den letzten Metern all ihre Wünsche zu erfüllen. Gern noch mehr gesehen hätten wir indes übrigens von Jürgen Vogel („So viel Zeit“), der als Steves depressiver Vater offenkundig die interessanteste Geschichte zu erzählen hätte, allerdings nur einen etwas größeren Gastauftritt spendiert bekommt. Dabei würde man so vielleicht auch noch besser hinter Steves Motivation steigen, Steffi selbstlos auf ihrem Weg nach Frankreich zu begleiten.

Fazit: In „Gott, du kannst ein Arsch sein“ inszeniert André Erkau den Roadtrip eines krebskranken Mädchens als weitestgehend überraschungsarme Feel-Good-Tragikomödie.

„Gott, du kannst ein Arsch sein“ ist ab dem 1. Oktober in den deutschen Kinos zu gehen.

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