Hin und weg

Durch die weltweite Ice-Bucket-Challenge bekannt geworden, befasst sich auch das immer wieder zum Schmunzeln einladende Drama HIN UND WEG mit der tödlichen Krankheit ALS. Regisseur Christian Zübert rückt dem Tränenzieher des Jahres, „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“, mit seiner Ode an das Leben gefährlich nah auf den emotionalen Pelz. Was den deutschen Film so besonders macht, verrate ich in meiner Kritik.
Der Plot
Ausgerechnet Belgien! Was soll es dort schon geben – außer Pommes und Pralinen? Doch Hannes (Florian David Fitz) und seine Frau Kiki (Julia Koschitz) bestimmen in diesem Jahr, wohin die jährliche Radtour mit ihren engsten Freunden gehen soll. Also startet die Gruppe voller Abenteuerlust, denn alles was zählt, ist schließlich die Zeit miteinander. Erst unterwegs erfahren die Freunde, dass Hannes an einer unheilbaren Krankheit leidet. Diese Reise soll seine letzte sein. Die Gruppe reagiert zunächst geschockt und ratlos, doch dann beginnt eine wilde, einzigartige Tour; denn durch Hannes erkennen die Freunde, wie kostbar das Leben wirklich ist. Mit einer Liste von Dingen, die noch erlebt werden wollen, und dem Gefühl, dass nach dieser Reise nichts mehr so sein wird wie es einmal war, feiern sie das Leben wie nie zuvor…
Kritik
Kein Internethype sorgte in diesem Jahr weltweit für mehr Aufsehen als die Ice-Bucket-Challenge. Der Videowettbewerb, bei dem sich Prominente und No-Names Kübel mit Eiswasser über den Kopf gießen, soll die Teilnehmer spielerisch dazu animieren, für die ALS-Forschung zu spenden. Wer kein Geld geben möchte, der muss zu Strafe Wasserschlucken. Doch gerade unter den VIPs hat es sich nach und nach etabliert, dass auch all jene unter den Kübel treten, die trotzdem spenden. Und so kann die DGM – die deutsche Gesellschaft für Muskelkranke – seit Juni auf eine Spendenresonanz von rund 95 Millionen Dollar blicken. Ein beeindruckendes Ergebnis für eine eigentlich so beliebige Internetaktion. Schon lange bevor alle Welt aktiv auf die zumeist tödlich verlaufenden Nervenkrankheit Amyotrophe Lateralsklerose aufmerksam gemacht wurde, widmete sich der deutsche Filmemacher Christian Zübert, Regisseur von „Dreiviertelmond“, der seltenen Erkrankung. In seiner dieser Tage auf dem Filmfestival von Toronto vorgestellten Tragikomödie „Hin und weg“ ist es die männliche Hauptfigur Hannes, die aufgrund von ALS gar den schwerwiegenden Entschluss fällt, aktive Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen. Herausgekommen ist nicht etwa ein verkitscht depressives Drama, sondern eine ehrlich erzählte, hochemotionale Charakterstudie über den Menschen im Angesicht des Todes.
Florian David Fitz, hierzulande insbesondere durch seine Rolle als Chefarzt Dr. Marc Meier in der TV-Serie „Doctor’s Diary“ bekannt geworden, schlüpfte 2010 schon einmal in die Haut eines unheilbar Kranken. In Ralf Huettners Tragikomödie „Vincent will Meer“, für die Fitz auch sein Debüt als Drehbuchautor gab, ließ uns der längst von der Fernsehnase zum Charaktermimen aufgestiegene Darsteller direkt am Gefühlsleben eines Tourettepatienten teilhaben. Dieser intensiven, mit dem deutschen Filmpreis ausgezeichneten Leistung ging eine monatelange Vorbereitungsphase voraus, die auch den Dialog mit in der Realität tatsächlich an Tourette Erkrankten umfasste. Ähnlich verhält es sich nun auch mit „Hin und weg“, für den sich Fitz lange mit der Krankheit, den Folgen und auch dem Leid für die Angehörigen beschäftigte. Doch ALS an sich ist nur ein Bestandteil des Films, der sich fast noch intensiver mit einem weiteren Thema befasst. Wenngleich Sterbehilfe schon in einigen, insbesondere deutschen Produktionen intensiv von vielen Seiten beleuchtet wurde (selbst in diesem Jahr kam mit „Und morgen Mittag bin ich tot“ ein artverwandter Streifen in die hiesigen Kinos), sticht „Hin und weg“ mit seiner Herangehensweise hervor. Anders als andere Vertretern seines Genres stellt die Tragikomödie die Legalität der aktiven Sterbehilfe niemals infrage und animiert das Publikum nicht einmal aktiv zum Hinterfragen der Prämisse. Christian Zübert serviert dem Publikum ein Szenario, wie es selbstverständlicher nicht sein könnte und verzichtet somit darauf, die ohnehin schon sentimentale Stimmung zusätzlich zu drücken. „Hin und weg“ ist kein Film übers Sterben – er ist ein Film, über das Leben und darüber, es in vollen Zügen zu genießen!
Die Alleinbestreiter von Christian Züberts Tragikomödie sind eine Handvoll Mittdreißiger. Bis auf eine kurzweilige Ausnahme verzichtet der Filmemacher, der auch das Skript mit verfasste, auf angesagte Youngsters und verlässt sich voll und ganz auf ein Team aus gestandenen, deutschen Schauspielern. Zu den wohl bekanntesten Gesichtern zählt neben Florian David Fitz Jürgen Vogel, der derzeit auch in Sönke Wortmanns „Schoßgebete“ zu sehen ist. Mimte er dort einen bodenständig-ruhigen Ehemann darf er in „Hin und weg“ den Frauenhelden geben; ohne Macho-Attitüde, dafür umso sympathischer. Vor allem im Zusammenspiel mit Fitz überzeugt derweil Julia Koschitz, die schon in „Doctor’s Diary“ mit dem 39-jährigen Akteur zusammen vor der Kamera stand. Dort mimte sie die toughe Oberärztin Dr. Maria Hassmann. In „Hin und weg“ gefällt sie vor allem in den leisen Momenten, wenn die Ängste und Sorgen ihrer Rolle Kiki zum Vorschein kommen. Gemeinsam spielen sie und Fitz ein absolut glaubhaftes Liebespaar, das sich im Angesicht des nahenden Verlustes ebenso voneinander entfernt, wie aufeinander zu bewegt. Abgerundet wird das Ensemble von dem Pärchen Sabine und Dominik, gespielt von Victoria Mayer („Kommissar Stolberg“) sowie Johannes Allmayer („Jesus liebt mich“), denen die Rolle des Vorzeige-Spießerpärchens zukommt, Volker Bruch („Der Vorleser“) als Hannes‘ vom Schicksal desillusionierter Bruder Finn und die Grande Dame Hannelore Elsner („Besser als nix“) als Mutter des Todkranken. Mit dieser Schauspielerkonstellation richtet sich „Hin und weg“ unübersehbar weniger an ein jugendliches, denn vielmehr an ein älteres, reifes und dem Filmstoff gewachsenes Publikum.
Diese bewusste Positionierung gegen das Aufgreifen moderner Sehgewohnheiten kommt Züberts Werk sichtbar zugute: Das ab und an zum Schmunzeln einladende Drama präsentiert sich in seiner Inszenierung und Erzählweise so unverfälscht wie das Leben selbst. Obgleich auch „Hin und weg“ nicht ohne die Verwendung eingängiger Popsongs, unter anderem der Beatsteaks, Passenger und Ryan Keen, auskommt, beweisen die Inszenatoren ein beachtliches Gespür dafür, jeden noch so kleinen Zauber aus alltäglichen Situationen herauszuholen. Entgegen deutscher Kassenmagneten wie Til Schweiger, Mathias Schweighöfer und Co. kreieren Christian Zübert und seine Co-Autorin Ariane Schröder kein überhöhtes Szenario, sondern verlassen sich in ihrer Erzählung fast ausschließlich auf die Tragkraft all der Emotionen, welche die Ausgangslage zwangsläufig zutage fördern muss. „Hin und weg“ erzählt nicht mehr, als von einer Radtour unter Freunden; doch in diesem Film geht es nicht um das „was“, sondern um das „wie“. Alltägliche Situationen, wie die Einkehr in einem Gasthof, das gemütliche Beisammensein am Lagerfeuer oder ein Tanz im Sommerregen werden zu Momentaufnahmen puren Glücks, dessen Intensität selbst im Kinosaal fast greifbar ist. Wie es in diesem Jahr bereits die großartige Bestsellerverfilmung „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ vormachte, benötigen auch moderne Filme nicht zwingend große, dramaturgische Sprünge, gar Plottwists, um die volle Bandbreite an Emotionen zu präsentieren. Auch in „Hin und weg“ genügen großartig geschriebene Dialoge, ein greifbares Schicksal und tolle Schauspielleistungen, um zu Tränen zu rühren.
Auch der elegante Stil von Kameramann The Chao Ngo kommt „Hin und weg“ zugute. Sich der kleinen Gesten der Darsteller stets bewusst kommt der Streifen mit einer optischen Opulenz daher, wie es zuletzt auch Ngos Arbeiten „Banklady“ und „Stereo“ taten. In Anbetracht dessen, dass Zübert seinen Film auch international, etwa auf dem Filmfestival in Locarno, präsentierte, eine sehr gute Wahl; erst recht, weil die großen Bilder dem Film trotzdem nicht die Intimität rauben, die durch die Thematik entsteht. Schade, dass ausgerechnet „Hin und weg“ nicht für den Auslandsoscar 2015 vorgeschlagen wurde.

Kiki (Julia Koschitz) und Hannes (Florian David Fitz) genießen die letzten Stunden zu zweit.
Fazit: „Hin und weg“ gehört nach „Das Schicksal ist das miese Verräter“ zu den berührendsten Filmen des Jahres. Tolle Bilder, ein eingängiger Soundrack, beeindruckende Schauspielleistungen und eine Thematik, die den Zuschauer auch nach dem Abspann noch eine ganze Weile begleitet, formen eine Tragikomödie, die sich auf eine solch ehrliche Art und Weise an den Zuschauer wendet, dass man vor so viel Mut zur unverfälschten Unterhaltung nur den Hut ziehen kann.
„Hin und weg“ ist ab dem 23. Oktober bundesweit sowie auf dem Filmfest Hamburg im Kino zu sehen.