Der letzte Mieter

Vor einem Jahr gewann DER LETZTE MIETER den Preis für den besten Langfilm auf dem Manchester International Festival. Ob das gerechtfertigt ist und was der deutsche Entführungsfilm drauf hat, das verraten wir in unserer Kritik.
Der Plot
Es passiert in vielen Großstädten, doch besonders in der Bundeshauptstadt Berlin: Es werden reihenweise Häuser saniert und die alten Mieter müssen ausziehen, um in der sich verschönernden Gegend Platz für neue Mieter zu machen. Der alte Dietmar (Wolfgang Packhäuser) hat da keinerlei Verständnis für. Der 67-Jährige sieht nicht ein, weshalb er seine geliebte Wohnung nach 40 ereignisreichen Jahren verlassen sollte. Selbst sein Sohn Tobias (Matthias Ziesing) schafft es nicht, ihn zu beruhigen. Als plötzlich die Polizistin Shirin (Pegah Ferydoni) vor der Tür steht, nimmt die die Situation die erste von vielen dramatischen Wendungen …
Kritik
Die Dauerbaustelle Berlin – ein hochpolitisches Thema: Auf der einen Seite hocken Immobilieninhabende auf ihrem wertvollen Wohnraum und lassen ihn leerstehen, mit der Begründung, dass ja leider niemand willens ist, die angeblich angemessene Miete für ihn zu bezahlen. An anderer Stelle suchen Menschen verzweifelt nach einem Platz zum Leben. Einerseits gibt es in Berlin Mehrparteienhäuser, die kurz vor der Baufälligkeit stehen: alt, hässlich, katastrophal instandgehalten, grauenvolle Energiewerte, eng und piefig. Neue Bauprojekte müssten also her, um moderne, schöne, geräumigere Wohnhäuser für noch mehr Menschen anbieten zu können. Es ist ein diffiziler Konflikt, der in Berlin – typisch Berlin, wa! – oftmals auf denkbar unglücklichste Weise angepackt wird, so dass ältere und/oder finanziell minderbemittelte Menschen zwecks Gentrifizierung aus ihrer ihnen liebgewonnenen Wohnung gescheucht werden, ohne dass angemessener Ersatz angeboten werden könnte. Schließlich will ja niemand die armen, armen Vermieter leerstehender Tiptopwohnungen zwingen, endlich mal ihre Mieten zu senken. Geschweige denn ruchlose Immobilienhaie enteignen.
Explosiver Politstoff also – im Falle von Gregor Erlers Thrillerdrama „Der letzte Mieter“ ist das sogar wortwörtlich zu verstehen. Denn wie ein Flash Forward zu Beginn des Films verdeutlicht: Hier kommt es zu einer Auseinandersetzung zwischen den Klassen mit knallig-dramatischen Folgen. In seinem zusammen mit Benjamin Karalic verfassten Kinodebüt spitzt Erler die wohnpolitische Situation in Berlin auf dem Rücken eines sentimentalen, aber auch sehr hitzköpfigen Rentners massiv zu. So entsteht ein fast kammerspielartiger Thrillerstoff, der zugleich dramatisch Sozialkritik äußert. Diese Kritik entwächst aus der Ausgangslage des Films und der Eskalation der Situation, äußert sich aber kaum in den Dialogen und nie mit erhobenem Zeigefinger, sondern ständig in Form von Spannungsunterhaltung. Erler gelingt somit, was Dani Levy in seiner Satire „Die Känguru-Chroniken“ völlig verhauen hat – zumal Erler die Sympathie für davongescheuchte Mieter und die Dringlichkeit neuer, besserer Wohnungen gekonnt als unvermeidlichen Zündstoff vereint, während in der Marc-Uwe-Kling-Verfilmung das Austeilen in alle Richtungen nur einen sehr fahrigen Film ergibt.
„In seinem zusammen mit Benjamin Karalic verfassten Kinodebüt spitzt Erler die wohnpolitische Situation in Berlin auf dem Rücken eines sentimentalen, aber auch sehr hitzköpfigen Rentners massiv zu.“
Jedoch ist die Transferleistung, den Plot von „Der letzte Mieter“ auf die (nicht auf Berlin beschränkte) Realweltpolitik zu übertragen, auch schon das packendste Element an diesem Film. So ist vor allem im ersten Drittel die Dialogspur sehr schwammig abgemischt, was es in Verbindung mit dem Berliner Dialekt für jene, die mit der Bundeshauptstadtschnauze weniger vertraut sind, ausgerechnet die Charakterexposition schwer verständlich macht und somit das Identifikationspotential mit Matthias Ziesings Duckmäuser-der-sich-zum-Kämpfertum-drängen-lässt schmälert. Zudem ist Erlers Inszenierung der immer weiter eskalierenden Ereignisse ein zweischneidiges Schwert: Für ein schmal budgetiertes Kinodebüt weist „Der letzte Mieter“ einige dynamische, wuchtige Passagen auf, die das Publikum mitten in Geschehen versetzen. Andere Male hingegen übertreibt Erler die grobkörnige, grau-graue Bildgestaltung und den frenetischen Wackelkamerastil derart, dass man sich an die Phase des Action- und Thrillerkinos zurückversetzt fühlt, als jeder zweite Genrevertreter Paul Greengrass nachmachen wollte und es völlig versemmelte. Dass dieser raue, semi-dokumentarische Stil durch eine die Gefühle überbetonende Musikspur konterkariert wird, ist ebenfalls frustrierend.
Dessen ungeachtet ist „Der letzte Mieter“ ein gut geschriebener und geschickt konstruierter Entführungsstoff, der unter anderem mit der unerwartet empathischen Immobilienchefin (wirkungsvoll: Mignon Remé) und einer zwischen Freundlichkeit und Frustration zerrissenen Polizistin (Pegah Ferydoni) auch abseits seines Antihelden-wider-Willen interessante Figuren entwirft.
Fazit: Gentrifizierung als Entführungs-Thrillerdrama: Reizvolles, aber etwas unrundes Spannungskino aus (und über) Deutschland.
„Der letzte Mieter“ ist ab dem 13. August in den deutschen Kinos zu sehen.