Der Dolmetscher

Mit der starbesetzten Tragikomödie DER DOLMETSCHER liefern zwei Großkaliber des osteuropäischen Kinos ihr Debüt als Regieduo ab, das allerdings derart ausgegoren daherkommt, dass es aufgrund seiner sehr ernsten Grundthematik immer wieder arg irritiert. Mehr dazu verraten wir in unserer Kritik.

Der Plot

Der in Bratislava lebende Dolmetscher Ali Ungár (Jiří Menzel) reist nach Wien um den mutmaßlichen Mörder seiner Eltern, die im Holocaust getötet wurden zur Rede zu stellen. Doch statt des ehemaligen SS-Offiziers Kurt Graubner findet dieser nur dessen Sohn Georg (Peter Simonischek) vor, der ihm erklärt sein Vater sei bereits verstorben. Georg ist ein pensionierter Schwerenöter und Bonvivant, das genaue Gegenteil des ernsthaften und grüblerischen Ali. Zuerst abweisend, beginnt er in dem unerwarteten Besuch eine Chance zu sehen, den dunklen Fleck in seiner Familiengeschichte endlich aufzuarbeiten. Er engagiert Ali kurzerhand als Fremdenführer und Übersetzer für eine gemeinsame Forschungsreise durch die Slowakei. Zusammen wollen sie die wenigen noch lebenden Zeitzeugen und ihre Nachkommen aufstöbern, die ihnen etwas über dieses dunkle Kapitel in der Vergangenheit von Georgs Vater erzählen können.

Kritik

Wer sich ein wenig mit dem osteuropäischen Kino auskennt oder zumindest die Oscarverleihung lang genug verfolgt, dem dürften die Namen Martin Šulík („Der Garten“) und Jiří Menzel („Liebe nach Fahrplan“) ein Begriff sein. Sie gehören in ihrem jeweiligen Land zu den populärsten Regisseuren und kamen als Nominierte und Preisträger bereits mit dem Academy Award in Berührung. Für ihr unkonventionelles Roadmovie „Der Dolmetscher“ haben sich die beiden nun zusammengetan und obendrein einen Star des deutschen Arthousekinos für eine der beiden Hauptrollen verpflichten können: In Maren Ades Ausnahmefilm „Toni Erdmann“ schlüpfte der Österreicher Peter Simonischek in die Rolle des gleichnamigen Spaßvogels und terrorisierte seine geschäftige Tochter auf einer Dienstreise. Diesmal spielt er den Sohn eines Kriegsverbrechers, der sich an der Seite eines slowakischen Rentners  (gespielt von Regisseur Jiří Menzel) auf einen Trip quer durch die Slowakei begibt, um seine Vergangenheit und die eines ganzen Landes aufzuarbeiten. Diese interessante Figurenkonstellation verspricht auf dem Papier spannende Kinostunden, gerade weil das Presseheft diese herbe Thematik als Grundlage für ein „unterhaltsames Roadmovie“ macht. Irgendwie macht „Der Dolmetscher“ auch den Anschein, kein zigstes Betroffenheitsdrama sein zu wollen, doch das geschieht so unbeholfen, dass die unpassend heiteren Momente den Zuschauer immer wieder aus dem Filmerlebnis herausreißen.

Ali (Jiří Menzel) und Georg (Peter Simonischek) kommen sich auf ihrer Reise näher.

Im Fokus von „Der Dolmetscher“ steht nach der langsamen Annäherung der beiden völlig unterschiedlichen Reisenden wider Willen vor allem die vom Autorenduo Marek Lescák («Nuna») und Martin Sulík verfassten Gespräche, die es den beiden Hauptfiguren in den Mund legt. Die darin aufgegriffenen Themen reichen vom Krieg über die daraus resultierten Folgen für sie und ihre Familie und werden schon bald zu einer Bestandsaufnahme des Landes und der darin lebenden Menschen. Oder um es ein wenig allgemeiner zu fassen: Ali und Georg beginnen beim kleinsten gemeinsamen Nenner (ihrer vom Weltkrieg geprägten Vergangenheit) und unterhalten sich bald über Gott und die Welt. Durch dieses sehr breit gestreute Potpourri an Gesprächsthemen verliert sich allerdings schnell der Fokus. Irgendwann ist es völlig nichtig, was die beiden Männer überhaupt zusammengeführt hat und weshalb es eigentlich ein regelrechtes Wunder ist, dass sich die zwei so entspannt miteinander unterhalten können. Aus „Der Dolmetscher“, einem eigentlich als Story über das Aufbrechen von Tabus und das Überwinden von Barrieren angelegten Drama wird ein austauschbares tragikomisches Roadmovie darüber, wie sich zwei gänzlich gegensätzliche Menschen plötzlich einander annähern. Und als sich das schließlich auch auf ungenierte Flirtereien mit Frauen erstreckt, was für den einen ganz selbstverständlich ist, während der andere beschämt daneben steht, wird plötzlich klar, dass das alles umspannende Thema Nationalsozialismus bloß Beiwerk ist, das ganz zum Schluss noch einmal kurz für ein möglichst dramatisches Finale aufgegriffen wird.

Wenn also irgendwann egal ist, wie die Männer zueinander gefunden haben, sollte es immerhin spannend sein, wie sich ihre emotionale Beziehung mit der Zeit entwickelt. Während Jiří Menzel den in sich gekehrten, von der Vergangenheit gezeichneten Ali so feinfühlig und zurückhaltend verkörpert, dass die subtilen Nuancen in seinem Spiel das Interesse an seiner Figur kontinuierlich hoch halten, ist die Figur des Georg nicht bloß als das komplette Gegenteil angelegt; Peter Simonischek mimt den Draufgänger und Schwerenöter auch verhältnismäßig gleichförmig, was der Prämisse des Films zu keinem Zeitpunkt gerecht wird. Das gilt auch für die einzelnen Stationen, an denen die beiden Männer während ihres Trips Halt machen und auf die Menschen, auf denen sie hier treffen. Am einprägsamsten gerät ein Aufeinandertreffen mit zwei jungen Damen an einer Raststätte, das so lüstern ausfällt, wie man es eigentlich eher aus einer altbackenen US-Comedy gewohnt ist. Die der Geschichte innerwohnende Melancholie bleibt dabei natürlich auf der Strecke. Lediglich auf visueller Ebene erinnert das in unspektakulärem Einheitsgrau eingefangene Osteuropa noch an die Grundzüge der Geschichte. Dabei bilden die tristen Straßen, Hochhäuser und Tankstellen nicht die ansehnlichste Kulisse für den Osteuropa-Streifzug der beiden Rentner. Doch immerhin fühlt es sich authentisch an. Ganz im Gegensatz zum finalen Twist, der allerdings mit so wenig Elan vorgetragen wird, dass man spätestens an dieser Stelle das Interesse an Alis und Georgs Eskapaden verliert.

Edita (Zuzana Maurery) und Ali schwelgen gemeinsam in Erinnerungen.

Fazit: „Der Dolmetscher“ wäre gern ein Film über die Nachwehen des Zweiten Weltkriegs, ohne dabei auf die Ernsthaftigkeit eines klassischen Dramas zu setzen. Doch die komödiantischen Einschübe wirken befremdlich und dem tragischen Teil der Geschichte nehmen sie den emotionalen Punch.

„Der Dolmetscher“ ist ab dem 22. November in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.

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