Ein Sommer in der Provence

Nach ihrem schwer verdaulichen Weltkriegsdrama „Die Kinder von Paris“ nimmt sich die französische Regisseurin Roselyne Bosch nun eines angenehmeren Themas an und widmet sich in EIN SOMMER IN DER PROVENCE innerfamiliären Konflikten vor der verträumten Kulisse Südfrankreichs. Warum ihr Film trotz leiser Töne einen bleibenden Eindruck hinterlässt, verrate ich in meiner Kritik. 

Der Plot

Für Léa (Chloé Jouannet), Adrien (Hugo Dessioux) und ihren kleinen Bruder Théo (Lukas Pelissier) stehen die Ferien vor der Tür. Dieses Jahr fahren sie das erste Mal zu ihrem Großvater Paul (Jean Reno), den sie wegen eines Familienstreits nie zuvor kennengelernt haben. Das Reiseziel – die Provence: Wohl kaum der Urlaub, von dem die Drei träumen. Auch die Freude von Großmutter Irène (Anna Galiena) über diesen Familienurlaub ist da kein Trost. Hinzu kommt, dass ihnen der Vater ausgerechnet am Tag vor der Abreise sagt, dass er die Familie verlassen wird. Also nicht gerade die besten Aussichten auf gute Laune und eine spaßige Ferienzeit. Kaum in der Provence angekommen prallen auch schon die Differenzen der beiden Generationen aufeinander. Zwischen den Jugendlichen und ihrem Großvater, der, wie die Kids meinen, ein sturer Esel ist, kommt es immer wieder zu Streitigkeiten. Dabei spielt auch Pauls turbulente Vergangenheit immer wieder eine Rolle. Es beginnt ein chaotischer Sommer in der malerischen Provence, in dem beide Generationen versuchen das Miteinander zu meistern, die Vergangenheit zu verarbeiten und sich vor allem daran zu erinnern, dass sie trotz aller Widersprüche eine Familie sind.

Kritik

Die französische Filmemacherin Roselyne Bosch widmete sich in ihrem 2010 erschienen Drama „Die Kinder von Paris“ einer verlorenen Generation. Vor der Kulisse des von den Deutschen besetzten Paris erzählte sie durch Kinderaugen von den Jugenddeportationen nach Ausschwitz. Ein schwieriges Thema, das zu erzählen der Regisseurin ebenso sehr am Herzen lag wie die Arbeit an ihrem neuen Projekt, das mehr Parallelen zu „Die Kinder von Paris“ aufweist, als man zunächst meinen könnte. Auch die autobiographisch geprägte Tragikomödie „Ein Sommer in der Provence“ erzählt von einer Generation, der sonst eher wenig Beachtung geschenkt wird. Francokino-Haudegen Jean Reno („Léon – Der Profi“) verleiht der Ü-65-Gesellschaft des französischen Hinterlandes ein Gesicht und spiegelt die Sorgen und Existenzängste ebenso glaubwürdig wieder wie die innere Zufriedenheit und Verbundenheit mit der Natur der Provence. Dadurch wird Boschs viertes Langspielfilmprojekt zu einem Film, der nicht zwingend eine von dramaturgischer Raffinesse geprägte Geschichte erzählt, sondern vielmehr ein Lebensgefühl einfängt, dem zu entziehen sich selbst über die Leinwand schwer fällt. „Ein Sommer in der Provence“ ist wie ein zweistündiger Urlaub in Südfrankreich, dem man mit seinen idyllischen, lichtdurchfluteten Bildern einen gewissen Kitsch nicht absprechen kann. Doch wem sollte das im Urlaub schon aufstoßen!?

Wer die Werke von Rose Bosch kennt, wird wissen, dass sich die Filmemacherin und Drehbuchautorin nicht damit zufrieden gibt, ein Thema ohne sämtliche Höhen und Tiefen zu erzählen. Auch „Ein Sommer in der Provence“ ist wesentlich mehr, als das bloße Aneinanderreihen werbetauglicher Provence-Fotografien. Mit kleinen, zwischenmenschlichen Details versalzt die Regisseurin ihren alsbald liebgewonnen Figuren immer wieder die Suppe. Damit beginnt sie direkt in der ersten Szene. Wenn der hochcharmant vom taubstummen Kindermimen Lukas Pelissier gespielte Théo zum Sixties-Evergreen „The Sound of Silence“ verträumt aus dem Zugfenster blickt, erlischt die scheinbar perfekte Idylle in dem Moment, als der Zuschauer beim Anblick der keifenden (aber nicht zu hörenden) Familie realisiert, dass Théo nichts hören kann. Allzu lange hält Bosch sich an diesem Dämpfer jedoch nicht auf – trotz der Behinderung ist der kleine Junge perfekt ins Familienleben integriert. Damit wird rasch eine der deutlichsten Stärken von „Ein Sommer in der Provence“ deutlich: Trotz, oder gerade aufgrund des Zurückgreifens auf junge, frische Gesichter ist der Film eine Perle für Freunde stimmiger Ensemblestücke.

Neben Jean Reno, der einmal mehr eine ebenso schweigsame wie ruppige Variante seiner selbst spielt, wissen vor allem die Jungstars zu gefallen. Besonders der in Frankreich eigentlich als Youtube-Comedian bekannte Hugo Dessioux („Fonzy“) legt eine herrlich unverkrampfte Performance an den Tag und ergänzt sich damit perfekt mit Chloé Jouannet, deren Léa nur allzu konstruiert daherkommt. Dies sei ihr jedoch nicht als Minuspunkt anzurechnen. In den Pubertätswirren der Jugendlichen passt die nahezu durchchoreogaphierte Performence der Schülerin wie die Faust aufs Auge. Als fünftes Mitglied innerhalb der Großeltern-Eltern-Patchworkkombo agiert Anna Galiena („Um Himmels Willen“) als hervorragendes Bindeglied zwischen den sich nur schwer annähernden Jugendlichen und dem schroffen Großvater.

„Ein Sommer in der Provence“, dessen Originaltitel „Avis de Mistral“ noch ein wenig besser auf die nuancierte Ausrichtung des Streifens passt, ist durch und durch ein Film der leisen Töne und findet seine Stärken in solchen Momenten, die ihre volle emotionale Entfaltung durch kleine Gesten beginnen. Wenn Théo unbedarft die Hand seines Opas nimmt und ein fast unsichtbares, unschuldiges Lächeln über das Gesicht von Jean Reno huscht, sorgen derlei Szenerien für echtes Gänsehautfeeling. Zu derlei intuitiven Interaktionen zwischen den einzelnen Figuren passt die unberührte Kulisse der französischen Provence perfekt. Dabei ist die von Olivenbäumen gesäumte Landschaft jedoch nicht bloßes Schwelge-Mittel, sondern hat auch ihren ganz eigenen Zweck innerhalb der Erzählung. Als Besitzer riesiger Olivenbaum-Plantagen ist Großvater Paul eigentlich für minimale Schwankungen von Wind und Wetter empfänglich. Nicht umsonst gilt der Titelgebende Mistralsturm als Geheimnis einer erfolgreichen Olivenernte. Während Paul, dessen Darsteller Jean Reno auch im echten Leben ein Besitzer derartiger Plantagen ist, in seiner passionierten Gärtnerarbeit jede kleinste Luftdruckveränderung registriert, tut er sich in der menschlichen Interaktion schwer und ist eher ein Freund der lauten Töne. Das ist alles in allem zwar ein wenig plakativ, in seiner Wahl jedoch so elegant, dass man über die mancherorts an den Tag gelegte Vorschlaghammermoral locker und gern hinwegsehen kann.

Während die Familienmitglieder somit nach und nach zusammenwachsen, sammeln auch die Teenager erste Erfahrungen mit Liebe und Leid. Der in Frankreich als Serienstar bekannt gewordene Tom Leeb („Sous le soleil de Saint-Tropez“) verkörpert charmant einen undurchsichtigen Draufgänger, der die unerfahrene Léa derart glaubwürdig um den Finger wickelt, dass das Publikum der Jugendlichen ihre Blauäugigkeit nur wenig übelnehmen kann. Auch Adriens aufkeimende Macho-Attitüde bleibt bodenständig und ist entsprechend zu verkraften. Der Star von „Ein Sommer in der Provence“ ist und bleibt die wunderschöne, französische Landschaft, die sich nicht bloß auf die Provence selbst beschränkt. Aus der Luft eingefangene Aufnahmen der Camargue-Sümpfe mit ihren wilden Pferden oder die fast schon vor spanischem Temperament strotzenden Straßen, in denen sich das pralle Leben abspielt, zeigen Frankreich von so vielen Facetten, dass man nach dem Genuss von „Ein Sommer in der Provence“ am liebsten sofort zum Reisekatalog greifen und einen Urlaub dorthin buchen möchte. Dies gelang zuletzt wohl nur der Ridley-Scott-Produktion „Ein gutes Jahr“, von der Rose Boschs Regiearbeit an einigen Stellen durchaus inspiriert scheint.

Opa Paul (Jean Reno) und Enkel Théo (Lukas Pelissier) amüsieren sich beim traditionellen Stierkampf in der Camargue.

Fazit: Mit leichten Hang zum Kitsch erzählt „Ein Sommer in der Provence“ vor wunderschöner Kulisse eine rührenden Geschichte, bei dem sich der Generationenkonflikt nicht bloß auf unterschiedliche Moralvorstellungen beschränkt. Trotz kleiner Gesten schneidet die Regisseurin große Themen an, ohne sich dabei allzu lange an gewissen Problemen aufzuhalten. Mit Liebe zu ihren Figuren nimmt Rose Bosch das Publikum mit auf eine entspannte Reise, die auch dann noch nachhallt, wenn der Zuschauer nach zwei Stunden in der Provence wieder im heimischen Deutschland angekommen ist.

„Ein Sommer in der Provence“ ist ab dem 26. September in ausgewählten, deutschen Kinos zu sehen.