Wenn ich bleibe

Tiefgründige Teenie-Romanzen erfreuen sich nach und nach wachsender Beliebtheit. In R.J. Cutlers übernatürlich angehauchtem Drama WENN ICH BLEIBE muss Chloë Grace Moretz im Rahmen einer Nahtoderfahrung schwerwiegende Entscheidungen treffen. Kitsch oder Romantik? Ich sage es Euch in meiner Kritik.
Der Plot
Mia Hall (Chloë Grace Moretz) kann sich nicht vorstellen, dass sie je eine schwierigere Entscheidung treffen muss: Soll sie ihr Musikstudium an der Juilliard School aufnehmen? Oder soll sie zugunsten ihrer großen Liebe Adam (Jamie Blackley) darauf verzichten? Doch dann werden auf einem zunächst unbeschwerten Familienausflug die Weichen plötzlich völlig anders gestellt. Einige bange Stunden bleibt offen, ob Mia den Tag überleben wird. In dieser Situation geht es um noch fundamentalere Entscheidungen: Was Mia heute beschließt, hat Auswirkungen auf den Rest ihres Lebens…
Kritik
Die Themen Wunderheilung, Hellseherei oder das Lesen von Gedanken werden weltweit fraglos der Scharlatanerie zugeordnet. Anders verhält es sich bei dem Phänomen der Nahtoderfahrung. Menschen, die eigenen Angaben zufolge eine solche am eigenen Leib erlebt haben, berichten einheitlich von einem weißen Licht, das sie verführt, ihm zu folgen. Auch das eigene Leben im Zeitraffer noch einmal zu durchlaufen, ist ein gängiges Merkmal für dieses von Wissenschaftlern dennoch umstrittene Ereignis. Die Popkultur zeigt sich dennoch oder gerade deshalb seit jeher fasziniert von der Idee, dass sich an der Schwelle zum Tod mehr befindet, als der bloße Übertritt in eine andere, von unsereins nicht zu definierende Sphäre. Anfang der Neunziger widmete sich Joel Schumacher in seinem Science-Fiction-Drama „Flatliners – Ein schöner Tag zum Sterben“ der Thematik und ließ ein Ensemble um Kiefer Sutherland, Julia Roberts und Kevin Bacon mit dem Tod experimentieren und sich schließlich gegenseitig von den Erlebnissen berichten. Auch in diesem Jahr wird sich neben „Wenn ich bleibe“ noch ein weiterer Film mit der Thematik beschäftigen: In „Den Himmel gibt’s echt“ von Randall Wallace, der auch das Pferde-Melodram „Secretariat“ inszenierte, schwört ein kleiner Junge Stein auf Bein, dem Tod schon einmal näher gewesen zu sein, als dem Leben. Während „Den Himmel gibt’s echt“ mit bemüht kirchlicher Moral schon mehrere internationale Kritiker verärgerte, kann „Wenn ich bleibe“ weniger Schelte, dafür umso mehr Zuschauer vorweisen. In den USA spielte die elf Millionen Dollar teure Romanadaption schon rund 40 Millionen wieder ein und gehört somit zu den bislang fünfzig erfolgreichsten Filmen des Jahres – Tendenz steigend. Damit untermalt die Produktion den Trend, weg von der übernatürlichen Teenie-Schmonzette, hin zur bodenständigen Schicksalserzählung.
„Wenn ich bleibe“ basiert auf dem gleichnamigen Weltbestseller der New Yorkerin Gayle Forman, die vor ihrer Schriftstellerkarriere als Journalistin für bekannte In-Magazine arbeitete. Wenngleich das Buch vor der Adaption von der Drehbuchautorin Shauna Cross („Was passiert, wenn’s passiert ist“) überarbeitet wurde, wirkt „Wenn ich bleibe“ wie ein Abriss vermeintlich wichtiger, weltverändernder Themen, wie sie in Zeitschriften der Marke Cosmopolitan jeden Monat aufs Neue durchgekaut werden. Liebe oder Karriere? Wann ist der beste Zeitpunkt für das erste Mal? Und passen mein Partner und ich wirklich zusammen? Im Minutentakt hangelt sich die ursprünglich auf ehrliches Mitgefühl abzielende Geschichte von Klatschthema zu Klatschthema und bringt sie in einer Coming-of-Age-Story unter, wie sie durchschnittlicher nicht sein könnte. Während sich die wieder einmal bezaubernde Chloë Grace Moretz unübersehbar Mühe gibt, wenigstens ihrer Figur das Optimum an Tiefgründigkeit abzugewinnen, raubt der vorhersehbare und für Hollywoodware typisch geleckte, nahezu perfekte Lebensweg im Kreise einer perfekten Familie der Geschichte jedwede Natürlichkeit. Nachwuchsmime Jamie Blackley tut diesem Befinden mit seinem kaum einen bleibenden Eindruck hinterlassenden Spiel keinen Abbruch. Auch aufgrund seiner facettenarmen Figur passt der Schauspieler allenfalls in eine Disney-Channel-Telenovela, nicht jedoch in ein US-Drama, das vorgibt, sein Publikum mit herzergreifenden Themen zu berühren.
Als Alleinstellungsmerkmal macht sich „Wenn ich bleibe“ den Plotpoint der Nahtoderfahrung zu Eigen, der auch im Trailer und anderweitigem Marketing überdeutlich hervorgehoben wird. Doch anders, als man es durch ebenjenes Marketing erwarten würde, widmet sich „Nashville“-Regisseur R.J. Cutler diesem eigentlich interessanten Aspekt nur am Rande. Besagten, alles verändernden Unfall lässt das Skript schon innerhalb der ersten zwanzig Minuten passieren. Von nun an spielt Cutler mit Rückblenden: Auf eine kurze Szene Überlebenskampf im Krankenhaus folgen Minuten, die Mias Lebensweg vor dem Unfall dokumentieren. Leider ist es ausgerechnet die Entscheidung für diese Erzählform, die „Wenn ich bleibe“ schlussendlich auch der Dynamik und Spannung beraubt. Die Bedrohlichkeit der Prämisse ob Mias gesundheitlichen Zustands kann sich durch das permanente Ausbremsen der Erzählung nie entfalten. Hinzu kommt, dass das Romantikdrama von der ersten Szene an so berechenbar inszeniert ist, dass der Ausgang der Erzählung – nicht nur für Kenner des Buchstoffes – von Anfang an abzusehen ist. Fügt man dem hinzu, dass aufgrund der durchkalkulierten Erzählung, der auf HD getrimmten Kulisse sowie der mit wenig Herzblut gesegneten Schauspielleistungen keinerlei Emotion beim Zuschauer entsteht, sucht man die Vorzüge von „Wenn ich bleibe“ vergebens. Einzig Kameramann John de Borman („An Education“) gelingt trotz oder gerade wegen des geleckten Hochglanzlooks eine elegant eingefangene Sichtweise auf das Geschehen.

Mia (Chloë Grace Moretz) und Adam (Jamie Blackley) genießen die Zeit zu zweit.
Die perfekte Traumfamilie der Protagonistin wird von Mireille Enos („World War Z“) und Joshua Leonard, der seine Karriere vor über einem Jahrzehnt mit dem „Blair Witch Project“ begann, mit Leben gefüllt. Gekrönt wird das Glück schließlich mit dem fünfjährigen Jakob Davies („Die Karte meiner Träume“) in der Rolle von Mias Bruder Teddy, dessen unbedarft-ungestellte Art tatsächlich zu den berührenden Highlights gehört. Die Chemie innerhalb der vierköpfigen Familie funktioniert auf eine stimmige Weise. Umso tragischer ist es da, dass ebenjene Bindung mit dem Unfall und der durchgeplant sentimentalen Inszenierung komplett verloren geht. Sobald die Szenerie immer wieder durch Mias Nahtoderfahrung unterbrochen wird, drückt das Drehbuch verstärkt auf die Tränendrüse und provoziert durch berechnende Musik- und Lichtplatzierung immer genau das Gefühl, dass im jeweiligen Moment gefordert wird. Das ist Kitsch in Reinkultur und hat mit dem ehrlichen Ansprechen der Gefühle des Publikums nichts zu tun.
Fazit: Trotz einer liebenswürdigen Performance des Hauptensembles schafft es „Wenn ich bleibe“ nie, auch nur ansatzweise zu Herzen zu gehen. Die kalkulierte Inszenierung raubt der Romanze jedwede Authentizität und steht der Entwicklung ehrlicher Gefühle im Weg. Das mag vielleicht Hardcore-Fans von lieblosem Rosamunde-Pilcher-Kitsch zufriedenstellen, doch selbst Hollywoods Vorzeige-Romantiker Nicolas Sparks hätte der Geschichte mehr Herzblut gewidmet, als es R.J. Cutler schlussendlich getan hat.
„Wenn ich bleibe“ ist ab dem 18. September bundesweit in den Kinos zu sehen.