Eighth Grade

2018 verzückte Bo Burnhams Coming-of-Age-Tragikomödie EIGHTH GRADE Filmliebhaber aus aller Welt – nur hierzulande blieb das Meisterwerk aufgrund eines fehlenden Kinostarts vielen verborgen. Das könnte sich nun ändern, denn ab dem 5. Februar ist der Film bei Netflix abrufbar. Mehr dazu verraten wir in unserer Kritik.
Der Plot
Die 13-jährige Kayla (Elsie Fisher) ist eine Einzelgängerin. Trotzdem verbringt sie ihre freie Zeit vor allem damit, Motivationsvideos für YouTube zu drehen, in denen sie sich als beliebtes, unternehmungslustiges Mädchen mit vielen Freunden darstellt. Nun steht ihr das letzte Jahr in der Middle School bevor, das sie irgendwie überstehen muss, um endlich die Highschool besuchen zu können. Doch es ist nicht einfach, ein Teenager aus der Vorstadt zu sein…
Kritik
Spätestens seit der ehemalige US-Präsident Barack Obama die Coming-of-Age-Tragikomödie „Eighth Grade“ Ende 2018 zu einem seiner Lieblingsfilme des Jahres erklärte, verschaffte er Bo Burnhams Debüt als Regisseur und Drehbuchautor einen immensen Popularitätspush. Doch nicht nur in seinem Produktionsland verzückte der gerade einmal zwei Millionen US-Dollar teure Independentfilm Publikum und Journaille. Das aufgrund seiner Authentizität und seines Einfühlungsvermögens in das Seelenleben von Teenagern so herausragende Porträt einer kurz vor dem Wechsel zur High School befindlichen Außenseiterin namens Kayla fand rund um den Erdball seine Fans und tingelte von einem Filmfestival zum nächsten. In Deutschland machte es etwa auf dem Münchener Filmfest Station. Doch ausgerechnet hierzulande blieb der Hype um „Eighth Grade“ zum Großteil auf die filmzentrische Internetbubble beschränkt, die die Indieperle seit Mai 2019 immerhin als VOD bei gängigen Streamingportalen anschauen kann. Doch vielleicht erlebt der Film jetzt – wie schon so viele andere vor ihm – einen längst überfälligen zweiten Frühling, denn ab dem 5. Februar ist „Eighth Grade“ bei Netflix abrufbar. Und besitzt damit eine reelle Chance, dass sich nun endlich auch die breite Masse in ihn und seine Hauptdarstellerin Elsie Fisher verliebt.
Das Genre des Coming-of-Age-Films – also Geschichten, die davon erzählen wie ein oder mehrere Menschen erwachsen werden – hat eine breit gefächerte Auswahl zustande gebracht. Die Werke diverser Regisseur:innen erzählen mal aus der Mitte ganzer Gesellschaftsgruppen heraus („Kids“, „Mid90s“), mal von Außenseitern („Vielleicht lieber morgen“, „Ganz weit hinten“), mal von eher extrovertierten Zeitgenossen („Die Mitte der Welt“, „Lady Bird“). Und von Andrew Largeman, der Hauptfigur in „Garden State“, bis hin zu Amy und Molly aus „Booksmart“ hat jede Generation ihre ganz eigenen CoA-Heldinnen und -Helden, die stellvertretend für sie die Irrungen und Wirrungen des Erwachsenwerdens durchleben. Elsie Fisher („City of McFarland“) alias Kayla Day gehört ab sofort in diesen illustren Kreis charismatischer Filmvorbilder. Ihre Darstellung eines introvertierten jungen Mädchens, das lediglich in selbst gefilmten YouTube-Videos ihre extrovertierte Ader zeigt und ansonsten weitestgehend unbeachtet durch ihr eigenes und die Leben ihrer Mitmenschen schlendert, ist eine wahre Sensation. Die laut eigenen Aussagen im echten Leben deutlich sozialere Fisher findet das richtige Fingerspitzengefühl, um ihre Kayla zwar schüchtern-zurückhaltend und mit einem gewissen Respekt vor ihren Mitschülerinnen und Mitschülern zu zeichnen, sie aber nie zum forcierten Sonderling zu machen. Kayla wird nicht gemobbt oder schikaniert – „Eighth Grade“ ist keine dieser typischen „Opfergeschichten“. Dieses stets ein wenig verschüchtert dreinblickende Mädchen ist eben einfach eines von der stillen Sorte.
„Elsie Fisher findet das richtige Fingerspitzengefühl, um ihre Kayla zwar schüchtern-zurückhaltend zu zeichnen, sie aber nie zum forcierten Sonderling zu machen. Kayla wird nicht gemobbt oder schikaniert. Dieses stets ein wenig verschüchtert dreinblickende Mädchen ist einfach eines von der stillen Sorte.“
Bo Burnham war daran gelegen, mit „Eighth Grade“ einen Film zu inszenieren, der so nah wie möglich an der von ihm porträtierten Figur sowie an der Lebensrealität seines Publikums ist. Aus dieser Konsequenz heraus entwickelte er die Charakterzüge, aber auch das äußere Auftreten seiner Protagonistin, deren kleine Makel wie Aknepickel oder eine nicht dem von der Gesellschaft irgendwann einmal festgelegten Schönheitsideal entsprechende Körperfigur das Bild eines „Mädchens von nebenan“ komplettieren. Dabei war es noch nicht einmal Burnhams Plan, derartige Beobachtungen zum inhaltlichen Thema zu machen. Doch da für die Rolle der Kayla eben keine dieser typischen Hollywoodschönheiten gecastet wurde, wirkt ihr Dasein als Außenseiterin an ihrer Schule umso nachvollziehbarer. In „Eighth Grade“ geht es nicht um große Dramen wie etwa das Finden der richtigen Begleitung für den Abschlussball, Zoff mit den besten Freund:innen oder konstruierte Liebesdreiecke. Das von Bo Burnham selbst verfasste Drehbuch hangelt sich stattdessen durch unaufgeregte Alltagsbeobachtungen, die seinem Anspruch, einen Film auf Augenhöhe seiner Zuschauer:innen inszenieren zu wollen, jederzeit gerecht werden. Nicht zuletzt, weil er und sein auf eine durch und durch unverfälschte Bildsprache setzender Kameramann Andrew Wehde („Imperfections“) die Ängste und Sorgen sowie die dadurch eingefärbte Weltsicht ihrer Hauptfigur verinnerlicht haben und so einen maximal subjektiven Blick aufs Geschehen liefern können.
Symptomatisch dafür steht eine Szene, in der Kayla widerwillig den Geburtstag einer Klassenkameradin besucht, die in ihrem eigenen Garten eine Poolparty veranstaltet. Das an Kaylas Körpersprache zu jedem Zeitpunkt abzulesende Unbehagen kollidiert mit dem von Makellosigkeit und Selbstsicherheit geprägten Lifestyle der anderen Gäste. Gemeinsam mit Kayla zieht sich die Kamera immer weiter zurück, bis ein freundliches Gespräch mit einem Jungen Kayla aus der Reserve lockt. Doch spätestens als sich das junge Mädchen traut, auch in den Pool zu springen, ist sie sogleich überfordert – zu viele Menschen, ergo Arme, Beine und ganze Körper tummeln sich im Wasser, versperren ihr das Blickfeld und desorientieren die junge Frau, was sie ad hoc ihres neu gewonnenen Selbstvertrauens beraubt. Andrew Wehde filmt diese Szene konsequent durch Kaylas Augen, bis auch das Publikum selbst das Chaos kaum mehr durchdringen kann. In diesem wohl stärksten Moment des gesamten Films – und „Eighth Grade“ ist nicht arm an Highlightszenen – findet das Vorhaben, uns die innere pubertäre Unruhe einer Jugendlichen näherzubringen, zur Formvollendung. Doch es benötigt nicht immer den hier sogar wortwörtlich zu verstehenden Schubs ins kalte Wasser, um Kaylas Lebensrealität zu begreifen. Neben Kayla selbst erfährt auch ihr Umfeld eine nicht minder detaillierte Beschreibung.
„Das von Bo Burnham selbst verfasste Drehbuch hangelt sich stattdessen durch unaufgeregte Alltagsbeobachtungen, die seinem Anspruch, einen Film auf Augenhöhe seiner Zuschauer:innen inszenieren zu wollen, jederzeit gerecht werden.“
In „Eighth Grade“ gibt es nicht „die Coolen“ und „die Uncoolen“, keinen mobbenden Schulbully, keine strahlende Schönheitskönigin. Da es Bo Burnham nie darum ging, einmal mehr den Kosmos Schule abzubilden, sondern sich voll und ganz auf Kaylas Welt zu fokussieren, ist die Zeichnung ihres Umfelds frei von derartigen Schubladen. Die für das Mädchen relevanten Personen sind allesamt mehr als bloß zweckdienliche Stereotypen. Da ist zum Beispiel ihr besorgter Vater (Josh Hamilton, „Tote Mädchen lügen nicht“), der sich aufopferungsvoll und alleinerziehend um seine Tochter kümmert, allerdings selbst kaum noch in der Lage ist, Kaylas verschlossene Fassade zu durchdringen. „Eighth Grade“ nimmt nicht nur ihre Belange ernst, sondern auch seine, was in der zweiten Filmhälfte in einem herzergreifenden Gespräch kulminiert, in dem sich Vater und Tochter das erste Mal seit vielen Monaten annähern. „Eighth Grade“ ist voll von solchen kleinen, zarten Momenten, die zum Zeitpunkt ihres Auftritts Kaylas Welt aus den Angeln zu heben scheinen. Und unsere am besten gleich mit.
Fazit: Bo Burnhams Coming-of-Age-Tragikomödie „Eighth Grade“ ist voller Liebe für seine Figuren, durch und durch authentisch und nicht zuletzt dank der überragenden Elsie Fisher einer der besten Filme, die das Thema Erwachsenwerden je thematisiert haben.
„Eighth Grade“ ist ab dem 5. Februar bei Netflix streambar und aktuell als VOD bei u.a. iTunes erhältlich.