Booksmart

Das Genre der High-School-Komödie wird manchmal als Fluff ohne nennenswerte Halbwertszeit belächelt, dabei produziert es regelmäßig wunderschöne Kleinode. Ob Olivia Wilde mit ihrem Regiedebüt BOOKSMART ein solches abgeliefert hat, verraten wir in unserer Kritik.

Der Plot

Die besten Freundinnen Amy (Kaitlyn Dever) und Molly (Beanie Feldstein) fallen aus allen Wolken: Kurz vor ihrem Highschoolabschluss erfahren die ehrgeizigen Schülerinnen, die bereits von renommierten Universitäten angenommen wurden und konkrete Zukunftspläne haben, dass die vielen Jahre des emsigen Lernens offenbar vergebens waren. Denn einige Mitschülerinnen und Mitschüler, die ständig Party gemacht haben, offenbaren, dass sie ebenfalls auf Eliteuniversitäten gehen werden. Einen Tag vor der Abschlusszeremonie beschließen Amy und Molly daher, die Jahre der versäumten Feiern und des vernachlässigten Pflegens weiterer sozialer Kontakte nachzuholen. Und zwar mit einer wilden, ausgelassenen, epochalen Partynacht. Doch während Amy und Molly der wilden Seite des Highschoollebens hinterherjagen, geraten erstmals die bisher unterdrückten Konflikte zwischen ihnen an die Oberfläche…

Kritik

Manche Leute sehen es nicht, andere wollen es nicht sehen: Frauen werden weiterhin in unzähligen Bereichen des Lebens massiv benachteiligt. Das mag nicht immer aus böser Absicht geschehen, doch auch eine aufgrund von Unterrepräsentation erfolgte Benachteiligung zieht Folgen nach sich. So wurde jahrhundertelang der Kunst- und Medien-Diskurs primär von Männern geformt, noch dazu von Männern, die oft charakterlich und hinsichtlich ihrer soziodemografischen Wurzeln von einem ähnlichen Schlag sind. Damit geht eine Überrepräsentation bestimmter Vorlieben und Perspektiven auf künstlerische Formen, mediale Inhalte und (alltags-)politische Aussagen einher. Das äußert sich auch heute noch in selbst so vermeintlich unbeträchtlichen Dingen wie der deutschen Wikipedia: Zum Zeitpunkt, an dem diese Kritik verfasst wurde, hielt die deutsche Wikipedia im Artikel zu „Booksmart“ fest, dass Olivia Wildes Regiedebüt ein sehr positives Presseecho erhalten hat.

Die exemplarisch ausgewählten und ausführlicher zitierten Kritiken sind allerdings durchweg verhalten und zeichnen einen Kritikerkonsens, laut dem der Film zu nett und zu versöhnlich sei, feministisch nichts zu bieten hätte, mehr Zoten und Konflikte gebraucht hätte und dessen queere Elemente reine Kosmetik seien. Nun wollen wir den beiden bei Wikipedia zitierten Kollegen und der ebenfalls zitierten Kollegin keineswegs ihre Meinung streitig machen – sie dürfen den Film gerne so betrachten, selbst wenn ich es völlig anders sehe. Aber dass in der Wikipedia, deren Mitgliederschaft zur überwältigenden Mehrheit aus Hetero-Männern besteht, die deutlich älter als die Kernzielgruppe von „Booksmart“ sind, ausgerechnet diese drei Rezensionen herausgestellt werden, noch dazu bei einem Film, dem dieses Mitmachlexikon eine sehr positive Presseresonanz bescheinigt, führt einleuchtend vor, was passiert, wenn eine gesellschaftliche Teilgruppe allein am längeren Hebel des kulturellen Austauschs sitzt. Die restlichen Perspektiven werden nicht zwingend verleugnet, aber sie gehen unter.

Amy (Kaitlyn Dever) und Molly (Beanie Feldstein) schwören sich, es krachen zu lassen

Diese Erkenntnis lässt sich problemlos vom Diskurs über Filmkunst auf die Filmkunst selbst übertragen: Das Subgenre der Highschoolkomödie wurde, wie das Kino generell, jahrzehntelang von männlichen Stimmen dominiert. Gegen diese schöpferischen Stimmen ist für sich genommen nichts zu sagen. Sie haben uns solche zeitlosen Späße wie „Ferris macht blau“ oder die ebenso unterhaltsame wie aufgeweckte Shakespeare-Interpretation „10 Dinge, die ich an dir hasse“ beschert, aber auch so vermurkste Komödien wie „Hot Chick – Verrückte Hühner“. Das liegt in der Natur der Sache – es kann nicht alles gelingen. Doch egal, wie viele gute, wie viele verkannte und wie viele misslungene Highschoolkomödien männliche Regisseure geschaffen haben: Etwa die Hälfte der Jugendlichen (und der im Herzen junggebliebenen, weiterhin Teeniekomödien konsumierenden Filmfans) sind nicht männlich und haben somit höchst wahrscheinlich andere Schulerfahrungen gemacht als diese Regisseure. Selbstredend ist es schon männlichen Regisseuren gelungen, einen Film zu kreieren, der auch Schülerinnen aus der Seele spricht. Trotzdem ist es schlicht unfair, dass Schüler bergeweise großartiger Komödien erhalten haben, die unmittelbar aus ihrem Erfahrungsschatz berichten, Schülerinnen dagegen nicht. Kurzum: Von Filmen wie „Booksmart“ gibt es bislang viel zu wenige. Aber während wir auf weitere Highschoolkomödien dieses Schlags warten, können wir uns glücklicherweise an dieser urkomischen, gewieften und berührenden Produktion aus den Häusern Annapurna Pictures und Gloria Sanchez Productions (die Firma des Produzentendoppels Will Ferrell & Adam McKay) erfreuen.

So ist der Kritikpunkt, „Booksmart“ sei zu nett, ein wirklich sonderbarer – zu keinem Zeitpunkt habe ich während des Sehvergnügens, das diese lebensfrohe, clevere Komödie versprüht, den Gedanken gehabt: „Mensch, das wäre ja alles so viel besser, wenn da mehr Drama und Leid drin stecken würde!“ Ob die Kollegen, die „Booksmart“ zu harmlos finden, sich auch an „Ferris macht blau“, in dem der anarchische, Unheil stiftende Titelheld in einer Welt ohne Konsequenzen zu leben scheint, stoßen? Nicht jeder Film muss auf staatstragende Weise von Leid und Elend handeln – auch Highschoolkomödien, also Filme über eine Lebensphase, in der Freude und Ärger arg übersteuern, dürfen vornehmlich gute Laune versprühen – ganz gleich, ob sie nun von einem mit allen Wassern gewaschenen Trickster handeln oder von einer emsigen jungen Lesbe und ihrer nicht minder ehrgeizigen, besten Freundin. Mehr noch: Nicht nur, dass auch Filme über LGBTQ-Figuren „harmlos“ sein dürfen. Es ist sogar dringend nötig, dass mehr und mehr Filme über nicht-heteronormative Protagonistinnen und -Portagonisten eine positive Grundtonalität ausstrahlen – ganz gleich, wie viele meiner Kollegen nach Drama verlangen und Filme wie „Booksmart“ als lebensfern schelten, wenn offen homosexuelle Figuren nicht zur ununterbrochenen Mobbing-Zielscheibe werden.

Letzter Schultag: Nick (Mason Gooding), Triple A (Molly Gordon) und Tanner (Nico Hiraga) wissen, wie man feiert

Denn in verletzlicher, sorgenvoller, verängstigter Repräsentation können Menschen wie die von Kaitlyn Dever gespielte Amy fast schon baden. Das queere Kino ist voll mit Coming-out-Geschichten, in denen Vorurteile, gesellschaftliche Verachtung und schmerzvolle Neckereien behandelt werden. Solche Filme sind natürlich auch wichtig, da wir leider noch immer in einer Welt leben, in der so etwas zur queeren Lebenserfahrung gehört. Doch so lange queere Repräsentation allein damit verbunden ist oder damit, die ulkigen Freunde heterosexueller Heldinnen und Helden darzustellen, werden wir diese in zahlreichen Filmen dargestellten Leiden auch nicht überkommen. Normalisierung lautet das Zauberwort: Wenn weiße, Chaos stiftende Heterojungs sowohl Filme bekommen, die ihre Sorgen und Ängste in den Vordergrund stellen, als auch spaßigere, leichtfüßigere Wunscherfüllungsfilme, so sei das gefälligst auch den Amys dieser Welt gegönnt. Die wundervolle Jugendbuchverfilmung „Love, Simon“ war dahingehend ein wichtiger, erster großer Schritt – war dies doch die erste Mainstream-Teeniekomödie über eine offen schwule Hauptfigur. Und eben diese tangiert zwar die Tücken und Schmerzen eines Coming Outs, das narrative Grundgerüst von „Love, Simon“ ist aber ganz bewusst nah am Highschool-Liebeskomödien-Alltag orientiert. „Booksmart“ ist quasi der konsequente Folgeschritt in der Evolution des repräsentativeren Highschoolkinos. Amy hat ihr Coming Out noch vor Filmbeginn hinter sich gebracht, ihre Sexualität ist unbestreitbar Teil des Films, aber sie ist nicht Thema des Films.

Amy wird in ihrer Schule (eine Art Premium-Highschool in einem liberalen US-Staat) für ihre sexuelle Identität respektiert, alle etwaigen Coming-out-Hürden liegen schon hinter ihr. Ein wichtiger Handlungsfaden von „Booksmart“ dreht sich stattdessen darum, wie sich Amy vornimmt, im Rahmen ihrer ersten Partynacht endlich ihren Schwarm anzuflirten, und dieses Element lässt sich unmöglich aus Olivia Wildes Filmvergnügen lösen, ebenso wie die Vielzahl an vorbildlich-lockerleichten Gesprächen zwischen Amy und Molly über weibliche Lust generell und lesbische Sexualpraktiken im Speziellen. Und dann sind da unter anderem noch die liebenswert-planlosen Dialogpassagen rund um Amys Eltern, die glauben, Molly sei die noch nicht geoutete, heimliche Partnerin ihrer Tochter. Regisseurin Olivia Wilde und das Drehbuch-Quartett Emily Halpern, Sarah Haskins, Susanna Fogel und Katie Silberman sind nämlich progressiv und politisch, ohne progressive Botschaften in ihren Dialogen klobig auszuformulieren oder ihre Politik plump in den Vordergrund und somit in den Weg des allgemein verständlichen, identifizierbaren und kurzweiligen Trubels ihrer Figuren zu stellen. Stattdessen durchdringen ihre Werte diesen von Freundschaftszielen, von zu überkommener Schüchternheit und von der Diskrepanz zwischen Party- und Lernleben handelndem Stoff. Damit strahlt er eine unmissverständliche, gewinnende Botschaft der Akzeptanz aus, während er diese normalisiert und das Publikum zu einer wilden Reise durch mehrere Partys und Selbsterkenntnisse einlädt – egal, ob man nun das Gender und die sexuelle Orientierung mit einer der Hauptfiguren teilt oder nicht.

Lisa Kudrow und Will Forte spielen Amys sehr fürsorgende und verständnisvolle Eltern

Wer durch Amy endlich Repräsentation erfährt, darf daran Spaß haben, wie diese hellwache, belesene und aller spießig-streberhaften Verklemmtheit zum Trotz fidele Teenagerin ungehindert auf der Leinwand Erfahrungen machen darf, die sie so im Kino (und leider auch in vielen Landstrichen) bisher nicht machen durfte. Und wer nicht wie Amy ist, hat halt empathische Freude an ihren und Mollys verpeilten Partyerlebnissen – Kaitlyn Dever („Short Term 12“) und Beanie Feldstein („Bad Neighbors 2“) glühen nämlich vor Spielfreude und verstehen es, das mit verbalen Bonmots, dialogbefeuerter Situationskomik und gewitzter Eloquenz platzende Skript vergnüglich, aber quasi-natürlich zu spielen. Soll heißen: Ihre Figuren Amy und Molly sind in Sachen Schlagfertigkeit und verbalem Einfallsreichtum überlebensgroß, doch Dever und Feldstein betonen nicht andauernd auf eine Pointe hin, sondern schütteln den Dialogwitz lässig aus dem Ärmel heraus – ich hatte während „Booksmart“ nahezu durchweg ein frohes Grinsen im Gesicht, einfach, weil ich mich für diese klugen, pfiffigen Figuren gefreut habe, dass sie ihr filmisches Leben leben können, wie sie es leben wollen (oder wie sie aus Affekt glauben, es leben zu wollen). Kein Moralappell bremst das Sehvergnügen aus, kein Outing-Elend hält das queere Publikum davon ab, auch endlich mal eine süffisante Highschoolkomödie mit Herz so gucken zu können, wie sie Heteros schon immer gucken konnten. Naja – fast. Denn auch in einer anderen Hinsicht ist „Booksmart“ der Schritt, der auf „Love, Simon“ folgen sollte: So liebenswürdig und warmherzig „Love, Simon“ auch ist, so (beabsichtigt) formelgetreu ist er auch. „Booksmart“ dagegen ist zwar fest in der Highschoolkomödien-Tradition verwurzelt – und doch schlägt er in neue Richtungen aus.

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