Milla meets Moses

Unter dem Titel MILLA MEETS MOSES erreicht Shannon Murphys Festivalhit „Babyteeth“ die deutschen Kinos, in dem ein unheilbar krankes Mädchen mit ihrem neuen Freund durchbrennt, obwohl dieser vielleicht einfach nur an ihre Medikamente will. Mehr zum Film verraten wir in unserer Kritik.
Der Plot
Milla (Eliza Scanlen) trifft Moses (Toby Wallace) – vielmehr wird sie bei der ersten Begegnung buchstäblich von ihm umgehauen. Obwohl Moses sich als Herumtreiber und Gelegenheitsdealer entpuppt, nimmt sie ihn mit zu sich nach Hause, um ihn ihren Eltern vorzustellen. Anna (Essie Davis) und Henry (Ben Mendelsohn) – eine ehemalige Konzertpianistin und ein ziemlich entspannter Psychiater – sind alles andere als begeistert von Millas neuem Freund. Doch Millas Lebensfreude und ihre Sehnsucht, die Liebe und die Welt zu entdecken, stellen die Familie auf den Kopf. Als die Eltern merken, dass Moses ihrer kranken Tochter sichtlich guttut, nehmen sie ihn trotz ihrer Bedenken bei sich auf und werden dabei mit ihren eigenen Schwächen konfrontiert.
Kritik
Shannon Murphys „Milla meets Moses“ heißt im Original „Babyteeth“. Der Grund: Hauptfigur Milla ist zwar schon längst aus dem Milchzahn-Alter raus, hat von den eigentlich in jungen Jahren ausfallenden Beißerchen aber noch welche im Mund. Körperlich betrachtet ist die junge Frau mit den knallblauen Haaren also noch nicht erwachsen – ein durchaus plakatives Symbol dafür, dass Milla mit dem Herausfallen des letzten Milchzahns genau das im Laufe der Reise, die sie im Film unternimmt, werden wird. Aber auch das plakativste, denn davon einmal abgesehen gelingt Shannon Murphy („On the Ropes“) mit ihrem Spielfilmdebüt ein alles andere als plumper Blick auf eine sich eigentlich in kreativen Grenzen haltende Geschichte; allein in diesem Herbst startet mit „Gott, du kannst ein Arsch sein“ noch ein zweiter Film über eine vor ihrem Krankheitsschicksal fliehende Ausreißerin. Doch im Falle von „Milla meets Moses“ verfolgen die Macher nicht den Ansatz eines klassischen „Genieße dein Leben, solange du noch kannst!“-Feelgood-Movies, sondern legen eine spleenige Charakterstudie vor, die zwar bisweilen Gefahr läuft, nur um der Absurdität Willen absurd zu sein, im Großen und Ganzen aber vor allem deshalb mitreißt, weil sämtliche Figuren im Angesicht nahender Verluste angemessen widersinnig handeln. „Milla meets Moses“ ist ein zutiefst menschlicher Film.
Wenn wir das erste Mal auf Millas Eltern Anna und Henry treffen, braucht es eine ganze Weile, bis man überhaupt realisiert, in welcher Beziehung die beiden zueinander stehen. Wir lernen sie in Henrys psychotherapeutischer Praxis kennen. Sie macht ihm Avancen, mit ihr Sex zu haben, er würde gern, ziert sich aber; nicht zuletzt, da jeden Moment das Telefon klingeln und die Stimmung ruinieren könnte. Die Art und Weise, wie die beiden unsicher um den jeweils anderen herumtänzeln, zweideutige Andeutungen machen, sich immer nur flüchtig in die Augen schauen und auch sonst eher unbeholfen miteinander wirken, lässt einen niemals auf die Idee kommen, dass es sich bei ihnen tatsächlich um Mann und Frau handeln soll. Alles wirkt unbeholfen – nicht nur zwischen den beiden, sondern auch in ihrem Umgang mit der eigenen Tochter. Da sich dies durch bisweilen skurrile Angewohnheiten und Manierismen bemerkbar macht, könnte man die beiden auch ganz einfach spleenig nennen. Doch damit würde man Essie Davis‘ („Der Babadook“) und Ben Mendelsohns („Una und Ray“) enormer emotionalen Intensität nicht gerecht werden, die die beiden in die Performances ihrer verzweifelten Elternrollen hineinlegen. Die zwei sind nämlich nicht einfach bloß skurrile Gestalten mit ein paar amüsanten Eigenheiten im Zwischenmenschlichen, sondern von Grund auf hilflos und dadurch stets auf der Suche nach Ablenkung und emotionalem Ausgleich.
„Millas Eltern sind nicht einfach bloß skurrile Gestalten mit ein paar amüsanten Eigenheiten im Zwischenmenschlichen, sondern von Grund auf hilflos und dadurch stets auf der Suche nach Ablenkung und emotionalem Ausgleich.“
Eliza Scanlen („Little Women“) verkörpert ihre Milla als komplettes Gegenteil ihrer Eltern. Wenn diese einen Schritt auf Milla zu gehen, geht Milla instinktiv drei zurück; andersherum genauso. Ein auf den ersten Blick typisch pubertäres Trotz- und Provokationsverhalten, das jedoch schnell als einzig halbwegs adäquate Möglichkeit der Kommunikation entlarvt wird. Obwohl Eltern und Tochter ähnliche Ängste teilen, sind intime Gespräche aus verschiedenen Gründen (Scham, Unsicherheit, Angst…) nicht möglich; stattdessen zwingt Milla ihren Eltern auf andere Art und Weise die Interaktion auf, etwa wenn sie Moses mit zum gemeinsamen Abendessen bringt. Der ungepflegte Gelegenheitsdealer ist mitnichten der Inbegriff eines Schwiegermutterlieblings, der darauffolgende Culture-Clash entsprechend kalkuliert. Doch so gelingt es Milla, ihre Eltern aus der Komfortzone zu locken – und darüber hinaus ist es sofort nachvollziehbar, weshalb sich das Mädchen in den Herumtreiber verguckt. Der hat im Gegensatz zu Millas Eltern nämlich überhaupt keine Scheu im Umgang mit der Todkranken; im Gegenteil. Er nimmt ja noch nicht einmal Rücksicht auf ihre Medikamentenvorräte. Die Verbindung zwischen den beiden besitzt von Anfang an etwas Wahrhaftiges, etwas Aufrichtiges und Intimes, ohne dass Shannon Murphy dafür ausufernde Liebesschwüre oder anderweitig kitschige Lovestory-Szenerien aufwenden müsste. „Milla meets Moses“ wird durch und durch von der lebensechten Interaktion der beiden Hauptfiguren getragen, deren Chemie untereinander überragend ist.
Sie hilft „Milla meets Moses“ auch über einige inhaltlich weniger gehaltvollen Momente hinweg. Wenn sich Milla und Moses erst einmal in ihren Roadtrip flüchten, folgt der Film dramaturgisch den gängigen (episodenhaften) Roadmovie-Mustern. Wenngleich Murphy mit ihren Figuren angenehm kompromisslos ins Gericht geht, bekommt jeder Charakter auf den letzten Metern genau die Lektion fürs Leben, die er gerade benötigt – das passt nicht ganz zum ansonsten ungeschönt gezeigten Umgang mit der Krankheit Krebs, mit den Patienten und mit den Auswirkungen auf Angehörige. Deutlich gelungener ist da der Blick auf die Eltern und ihr bisweilen paradoxes Verarbeitungsverhalten von Millas Krankheit. Insbesondere Ben Mendelsohn triumphiert als hoffnungsvoll überforderter, für sein Kind gute Miene zum bösen Spiel machender Vater, der immer dann am besten gefällt, wenn er sich im Alltag gerade an kleinen Beobachtungen und Ereignissen zu erfreuen versucht – um sich für einen kurzen Moment von seiner Situation abzulenken. Essie Davis bekommt indes mehr Zeit zum aktiven Trauern, wenn sich ihr tiefes Bedürfnis auf Halt und Haltgeben immer öfter in Überbehütung entlädt und sie so dem innigen Kontakt zu ihrer Tochter entgegenwirkt.
„Wenngleich Murphy mit ihren Figuren angenehm kompromisslos ins Gericht geht, bekommt jeder Charakter auf den letzten Metern genau die Lektion fürs Leben, die er gerade benötigt – das passt nicht ganz zum ansonsten ungeschönt gezeigten Umgang mit der Krankheit Krebs.“
Fazit: Unter dem Titel „Milla meets Moses“ tritt das umjubelte Roadmoviedrama „Babyteeth“ seinen Siegeszug in Deutschland an und präsentiert eine mit Ecken und Kanten versehene (Fast-)Liebesgeschichte über ein ungleiches Duo, das sich mit viel Gefühl und Cleverness durch diverse Schicksalsschläge manövriert und dabei von diversen kauzigen Charakteren begleitet wird.
„Milla meets Moses“ ist ab dem 8. Oktober in den deutschen Kinos zu sehen.