2020 – Die Plätze 20 bis 11

Herzlich willkommen, Du – liebe/r Leser/in – der/die vielleicht erst jetzt zu meinem kleinen Jahresrückblick vorbeischaut. Oder aber Du, der sich nach den Plätzen 30 bis 21 fragt, wie es in den ganz subjektiven Charts meiner Lieblingsfilme 2020 weitergeht. Wer übrigens gern wissen möchte, was die Frau mit dem skurrilen Filmgeschmack in den vergangenen zwölf Monaten so gar nicht mochte, den verweise ich indes auf meine Filmflops.
Um noch ein paar weitere Filme positiv zu erwähnen, die es aber letztlich doch nicht ganz in meine Jahrescharts geschafft haben, kommt hier eine Handvoll ehrenwerter Nennungen. Judd Apatow hat sich mit THE KING OF STATEN ISLAND ein wenig kantiger zurückgemeldet als sonst, ist dabei aber immer noch er selbst geblieben. Hat mir gefallen. Genauso wie JOJO RABBIT, für den Taika Waititi zu Recht für zahlreiche Filmpreise nominiert wurde. Ob man hierzulande wohl noch etwas von POSSESSOR zu sehen bekommt? Ich konnte den Science-Fiction-Film auf dem Fantasy Filmfest sehen und war hier ziemlich paralysiert (übrigens nicht von der Gewalt). Mit JIM KNOPF UND DIE WILDE 13 möchte ich auch das deutsche Kino nicht unerwähnt lassen. Hier übertraf eine Fortsetzung mal wieder den Vorgänger. Und dann wäre da noch RELIC, der ursprünglich als eine Art geistiger Nachfolger von „Hereditary“ beworben wurde, sich dann aber als etwas völlig Eigenständiges, Schönes entpuppt hat.
20
Ein Wohnviertel, in dem alle Häuser gleich aussehen, in dem hinter jeder Straßenkurve weitere gleich aussehende Häuserfassaden stehen und aus dem es – einmal betreten – kein Entkommen mehr gibt: Das ist die Prämisse von Lorcan Finnegans tragikomischer Dystopie VIVARIUM, die den amerikanischen Traum vom heilen Familienleben auf links dreht. Im Fokus: Tom und Gemma, gespielt von dem herausragenden Schauspieler:innenduo Jesse Eisenberg und Imogen Poots, die nach und nach an ihrem Verstand zweifeln. Dass um sie herum alles so aussieht, als befänden sich die beiden, die später auch noch mit einem plötzlich auf der Matte liegenden Baby konfrontiert werden, auf einem Brettspielfeld oder als seien sie vielleicht nur Teil einer Versuchsanordnung – immerhin bezeichnet der Begriff „Vivarium“ ein Aquarium für Landlebewesen – verstärkt den surrealistischen Eindruck einer bissigen Dekonstruktion vermeintlicher Idylle. Obwohl erst sein zweiter Spielfilm, gelingt Lorcan Finnegan ein gleichermaßen beklemmendes wie ungemein unterhaltsames Szenario, das im vergangenen Jahr auf dem Fantasy Filmfest zu sehen war und ab sofort für zuhause erhältlich ist.
19
David Koepps auf einer Erzählung von Daniel Kehlmann basierender Gruselhorrorfilm DU HÄTTEST GEHEN SOLLEN (im Original: „You should have left“) fiel in den USA der Pandemie zum Opfer, woraufhin er als Premium-VOD-Titel direkt auf die Streamingdienste wanderte. Ob hierzulande überhaupt ein Kinostart geplant war, ist unbekannt. Zu wünschen wäre es der Blumhouse-Produktion gewesen, denn nach vielen, vielen lauen Lüftchen (wir erinnern an „Ma“) kam mit dem hochkarätig besetzten Schauerstück endlich mal wieder etwas Vorzeigbares aus der Blumhouse-Schmiede. Das ist in diesem Fall sogar wörtlich zu verstehen: „Du hättest gehen sollen“ sieht einfach irre gut aus. Die Hauptfigur ist das hier im Mittelpunkt stehende, wunderschöne Anwesen, in dessen vier Wänden Kevin Bacon langsam wahnsinnig wird. Die Auflösung des Films erfindet das Rad beim besten Willen nicht neu. Und generell gab es in der Vergangenheit schon Dutzend härtere Horrorfilme zu sehen. Aber ich war von der Ästhetik und der durch und durch beunruhigen Atmosphäre echt angetan. Schade, dass dieser Film so wenig Beachtung erhielt.
18
Zweimal ging es für mich in diesem Jahr für eine Vorstellung von DER UNSICHTBARE ins Kino. Einer Neuauflage des berühmten Schauerklassikers, die mit ähnlichen Worten angekündigt wurde wie schon „Dracula Untold“ und „Die Mumie“, die bekanntermaßen beide krachend scheiterten. Leigh Whannells Film schlägt allerdings in eine völlig andere Kerbe und interpretiert die Idee von der unsichtbaren Bedrohung völlig neu – und bettet sie in ein Drama über eine toxische Beziehung, über häusliche Gewalt, Missbrauch und Misogynie. Was nun wiederum nach typischem „Problemfilm“ klingt, wird dank der überragenden Darstellung von Elisabeth Moss zu einer mitreißenden One-Woman-Show: Gelingt es Cecilia, sich von ihrem unsichtbaren Stalker zu retten, obwohl ihr Umfeld ihr nicht glaubt? Oder wird sie endgültig als Wahnsinnige abgestempelt? Vor allem das streitbare Ende verhilft „Der Unsichtbare“ zu einem letzten, bemerkenswert intensiven Emotionenpunch. Es ist fast schon absurd, dass der Film ausgerechnet die Unsichtbarkeitskomponente gar nicht bräuchte, um trotzdem in seiner Gesamtheit zu funktionieren.
17
Auf die letzten Meter des Jahres hat sich einmal mehr ein Film in meine Jahrescharts gemogelt, der hierzulande nicht in die Kinos kam – und ich bin sehr froh, dass ich überhaupt auf ihn aufmerksam wurde, denn ich gehe stark davon aus, in HAPPIEST SEASON einen neuen Weihnachtsklassiker entdeckt zu haben. Zumindest ich werde mir die Geschichte eines lesbischen Pärchens, das ein gleichermaßen turbulentes als auch ziemlich emotionales Weihnachtsfest erlebt, ab sofort jedes Jahr anschauen. Denn wie es der selbst homosexuellen Regisseurin und Autorin Clea DuVall hier gelingt, eine eigentlich ziemlich tragische Geschichte zu einem Feelgood-Film mit Widerhaken zu machen, ist verdammt stark. Hin und wieder will die Filmemacherin mit ihrer Geschichte ein wenig viel auf einmal, doch selbst in den schwächeren Momenten ist „Happiest Season“ immer noch eine zuckersüße Weihnachtskomödie, in der der ernste Kern rund um ein ausstehendes Outing vor allem deshalb so hervorragend zum Tragen kommt, weil die Story auf wahren Ereignissen beruht.
16
Guy Ritchie is back! Na gut, so völlig weg war er nie, aber nachdem er für die Disney-Realfilmneuauflage von „Aladdin“ kürzlich seine Handschrift komplett zu den Akten legte, kramt er sie für THE GENTLEMEN noch einmal hervor und erzählt eine schmissige Gangsterposse mit Starbesetzung rund um Matthew McConaughey, Charlie Hunnam, Colin Farrell und Hugh Grant. Der Film ist Ritchies Antwort auf „Kingsman“, ein Spagat zwischen seinen früheren Werken „Snatch“ und seinen späteren wie „Codename U.N.C.L.E.“. Vielleicht ist „The Gentlemen“ sogar sein Abschied von der Welt des Gangsterkinos, denn schon dieser Beitrag hier wirkt ein Stückweit wie aus der Zeit gefallen und ist mitunter reines Selbstzitat. Doch selbst wenn dem so sei, lebt diese hoch unterhaltsame Crime-Comedy immer noch von ihrem Style, ihrem Humor, ihren Schauspielern und jeder Menge Widersprüchen. In „The Gentlemen“ tragen Straßenköter Maßanzüge – und das ist eigentlich alles, was man über den Tonfall des Film wissen muss.
15
Premiere, Premiere – 2020 ist das erste Jahr, in dem es ein Anime in meine Jahrescharts schafft. Gewiss war „Your Name“ großartig, um nur den bekanntesten Beitrag der letzten Jahre zu nennen. Aber so richtig berührt hat mich in diesem Jahr Makoto Shinkais WEATHERING WITH YOU, eine Geschichte über den Oberschüler Hodaka, den es aus der provinziellen Einöde in die Metropole Tokio verschlägt. Nachdem er durch Zufall einen Job als Redakteur erhascht, begegnet er eines Tages einem Mädchen, das sein Leben nachhaltig auf den Kopf stellen wird: der willensstarken Hina, die aufgrund familiärer Umstände alleine mit ihrem kleinen Bruder Nagi zusammenlebt. Hina hat besondere Fähigkeiten, denn ihr wohnt eine mysteriöse Kraft inne, die es ihr erlaubt, allein durch ein Gebet den Himmel aufklaren und die Stadt im wunderschönen Sonnenlicht funkeln zu lassen. Was dann folgt, ist nicht nur ein audiovisueller Schmaus, sondern auch noch richtig toll erzähltes Gefühlskino, das auf der Stelle die Lust darauf weckt, noch viel mehr Filme dieser Couleur zu entdecken. Was das neue Jahr wohl bereithält?
14
Der erste von zwei Zeitschleifenfilmen aus dem Jahr 2020 findet sich auf Platz 14 wieder – und kommt überraschenderweise aus Deutschland. Hier hat sich die Regisseurin und Autorin Maggie Peren die Geschichte rund um Zazie ausgedacht, die sich plötzlich jeden Tag aufs Neue auf ein und derselben Hochzeit wiederfindet – der ihres Jugendfreundes, in den sie heute immer noch heimlich verliebt ist. HELLO AGAIN – EIN TAG FÜR IMMER schildert Zazies Versuche, die Hochzeit zu torpedieren, bevor sie realisiert, dass es eigentlich viel wichtiger wäre, mit sich selbst ins Reine zu kommen. Hat man zwar schon zigfach gesehen, doch Maggie Peren nutzt das altbekannte Zeitschleifenmotiv für eine ebenso lustige wie warmherzige Komödie, in der nicht nur die namhafte Besetzung (Alicia von Rittberg, Edin Hasanovich, Emilia Schüle, Tim Oliver Schulz…) hervorragend harmoniert, sondern vom Großen Ganzen bis ins kleinste Detail alles stimmt. „Hello again“ ist Feelgoodkino, das 2020 ganz besonders gut tat. Schade, dass auch dieser Film an den Kinokassen untergegangen ist…
13
„Was für ein Zirkus!“ brüllt einem das Filmplakat zu DAVID COPPERFIELD – EINMAL REICHTUM UND ZURÜCK (nein, nicht der Zauberer!) entgegen – und genau so einen filmgewordenen Zirkus bekommen die Zuschauer:innen schließlich auch präsentiert. Und zwar mit einem mitreißenden Dev Patel als Zirkusdirektor. Dieser geht in der Hauptrolle des verwaisten David Copperfield richtig auf und bestreitet einen Film an der Seite zahlreicher namhafter Haupt- und Nebendarsteller:innen, in dem jede einzelne Sekunde ein Ereignis ist. Als „Vom Tellerwäscher zum Millionär“-Story erfindet Armando Iannucci das Rad zwar nicht neu. Doch wie es ihm gelingt, die von Charles Dickens einst als Jugenddrama konzipierte Vorlage in eine verspielte Komödie über einen Lebenskünstler zu machen, macht richtig viel Spaß und ist aufgrund der herausragend kreativen Inszenierung jederzeit spannend. „David Copperfield – Einmal Reichtum und zurück“ erinnert in seiner Verspieltheit an Michael Gondry oder Jean-Pierre Jeunet – nur ausnahmsweise mal ohne die von diesen normalerweise heraufbeschworene Melancholie. Dieser Film tut einfach gut.
12
Deutsches Genrekino, diesmal aber nicht in klein und nischig, sondern in groß und mit augenscheinlich extrem viel Budget. Nun stimmt Letzteres nicht so ganz – Moritz Bleibtreu und sein Kameramann Thomas W. Kiennast wissen ganz einfach, wie sie bestimmte Settings einfangen und ausleuchten müssen, damit ihr CORTEX wesentlich teurer aussieht als er eigentlich war. Aber sei es drum, dem Neu-Regisseur und -Drehbuchautor Bleibtreu ist so oder so ein hervorragender Einstand gelungen, in dem er darüber hinaus auch noch die Hauptrolle spielt. In dem in Hamburg gedrehten Psychothriller geht es um einen Mann, der Nacht für Nacht von üblen Träumen heimgesucht wird, eh er auch tagsüber nur noch ein Häuflein Elend ist. „Cortex“ ist ein fieser Trip in die menschliche Seele, für den Bleibtreu ein Thema variiert, das wir normalerweise eher aus Komödien kennen. Doch vielmehr wollen wir dazu auch nicht verraten. Nur so viel: Wer „Cortex“ bislang noch nicht gesehen hat, sollte das im neuen Jahr unbedingt nachholen. Nach dem Lockdown soll der Film nämlich erneut in die Kinos kommen.
11
Schon allein dieses schmucke Poster hat es doch einfach verdient, hier in den Tops aufzutauchen, oder? Dabei stand ja durchaus zu befürchten, dass hinter dem „meistdiskutierten Film des Jahres“, den sogar Donald Trump höchstpersönlich verbieten lassen wollte, am Ende nur eine laue Luftnummer steckt. Und tatsächlich: Die zum Skandalfilm hochgejazzte Slashersatire ist mitnichten genau diesen Skandal wert – das macht ihn aber nicht minder reizvoll. Craig Zobel ist mit THE HUNT ein im besten Sinne abgefuckter, bitterböser, mit fiesem Humor, Unmengen an Twists und spektakulären Kills angereicherter Mix aus Politkommentar und Survival-Horror gelungen, der von der ersten bis zur letzten Sekunde, vor allem aber dank zwei hervorragend aufgelegten Hauptdarstellerinnen enorm viel Spaß macht. Man kann sich das Ganze natürlich auch noch möglichst kontrovers reden, wenn man die angeschnittenen, politischen Dimensionen zu mehr aufbläst als sie eigentlich sind. Aber letztlich geht es den Macher:innen vermutlich weniger darum, ein allumfassendes Politstatement abzugeben, als darum, einen unterhaltsamen Film zu machen. Dass er zum Skandal wurde, sagt weniger über „The Hunt“ als vielmehr über die Gesellschaft aus.
In den nächsten Tagen geht es hier weiter mit den Plätzen 10 bis 1…
Lieben Dank für das Ranking. Gesehen habe ich bisher keinen von diesen Filmen, aber auf „Happiest Season“ bin ich schon gespannt, wenngleich der Trailer den Eindruck einer typischen Family-Xmas-Comedy amerikanischer Art mit der typischen Rollenverteilung und den funny Sidekicks (Dan Levy) vermittelt. Es gibt ja genug Beispiele, wie Trailer im Prinzip schon das Beste des Films zeigen oder zuviel verraten oder schlicht einen falschen Eindruck vermitteln. Aber ich denke die Zusammenfassung oben bringt es gut auf den Punkt.