Happiest Season

Ohne großes Aufsehen erreicht die in den USA als hulu-Original veröffentlichte Weihnachtskomödie HAPPIEST SEASON deutsche Gefilde. Und die ist nicht nur aufgrund des herausragenden Ensembles unbedingt einen Blick wert. Mehr dazu verraten wir in unserer Kritik.
Der Plot
Die Familie der Freundin zum ersten Mal zu treffen, kann schwierig sein. Noch schwieriger ist es, den Plan umzusetzen, ihr einen Heiratsantrag beim jährlichen Weihnachtsessen zu machen – bis man merkt, dass die Familie nicht einmal ahnt, dass sie lesbisch ist. Als Abby (Kristen Stewart) erfährt, dass ihre große Liebe Harper (Mackenzie Davis) ihre Beziehung vor ihrer Familie bis heute geheim gehalten hat, beginnt sie, ihr Vorhaben infrage zu stellen. Zunächst macht ihr das Versteckspiel vor ihren zukünftigen Schwiegereltern sogar ein wenig Spaß, doch mit der Zeit zermürbt es beide Frauen, dass sie nicht einfach zu ihrer Liebe stehen können. Wie gut, dass dieses Weihnachtsfest für Harper und ihre Familie mehr als eine Überraschung bereithält…
Kritik
Regisseurin und Drehbuchautorin Clea DuVall („Eine wie Alaska“) konzipierte ihre Weihnachtskomödie „Happiest Season“ als eine Art Aufarbeitung ihrer eigenen Geschichte. Die als Schauspielerin ins Hollywoodbusiness eingestiegene Filmschaffende – unter anderem spielte sie Rollen in „Argo“, „The Faculty“ und „The Handmaid’s Tale“ – erlebte ein chaotisches Weihnachtsfest wie das hier geschilderte einst selbst und wurde dabei unfreiwillig vor ihrer Familie als homosexuell geoutet. Während es längst nicht jede Geschichte dieser Art zu einem Happy End bringt – Ryan Murphys schillernde Broadway-Musical-Adaption „The Prom“ gibt bei Netflix derzeit nicht nur den Ton an, sondern trotz Happy End auch einen Einblick in die Gegenseite – traf es DuVall mit ihrer zunächst distanzierten, sich jedoch rasch als aufgeschlossen entpuppenden Familie gut. Perfekter Stoff also für ein mit tonal vielfältigen Akzenten versehenes Weihnachtsmärchen, für das die Filmemacherin mit Kristen Stewart, Dan Levy, Victor Garber, und Aubrey Plaza gleich vier der LGBTQ+-Community angehörende Darsteller:innen gewinnen konnte. Ob es nun der Natur der Sache geschuldet ist, dass das Ensemble aufgrund seiner Nähe zur Thematik so losgelöst und leidenschaftlich aufspielt, wissen wir nicht. Allerdings fühlt sich im Film wenig gespielt, dafür umso mehr durchlebt an. Und das ist längst nicht das einzig Starke, was sich über „Happiest Season“ sagen lässt.

Abby (Kristen Stewart) lernt auf der Feier auch Riley (Aubrey Plaza) kennen – die erste Freundin ihrer Partnerin Harper.
Dass in der Geschichte ein ausstehendes Outing im Mittelpunkt der Handlung steht, ist zwar die erzählerische Triebfeder, die alles in Gang bringt, am Laufen hält und später auch beendet. Dass „Happiest Season“ trotzdem kein typischer „Problemfilm“ ist – eine Zeitlang schien es ja so, als könne die Filmindustrie nur dann aus dem Leben von LGBTQ+-Zugehörigen erzählen, wenn sie sich im selben Atemzug an den gesellschaftsstrukturellen Problemen ebendieser abarbeitet – ist mit Sicherheit auch der Tatsache geschuldet, dass Clea DuVall aus der eigenen Erfahrung heraus berichtet. Sie erlaubt es ihren Protagonistinnen, die Situation den Umständen entsprechend aufzufassen, ohne automatisch an ihr zugrunde zu gehen. So ist das Versteckspiel insbesondere für Abby anfangs sogar mit einem gewissen Spaß verbunden, während Harper dagegen mit der Zeit immer mehr daran zu ersticken droht. Die Angst vor der Reaktion der (offensichtlich eher konservativ eingestellten) Eltern vergiftet zwar nicht von Anfang an die Stimmung; im Gegenteil: Langezeit lässt es Clea DuVall völlig offen, ob Harpers Furcht eigentlich begründet ist. Zwar wirkt „Happiest Season“ nie wie ein Film, der nicht auf ein Happy End hinauslaufen könnte. Gleichwohl lässt die ambivalent zwischen harmonisch, garstig, liebevoll und konfliktbeladen changierende Atmosphäre den Schluss zu, dass sich am Ende nicht alle beseelt in den Armen liegen könnten, sondern dass ebenjenes Happy End eher mit Widerhaken daherkommt.
„Dass „Happiest Season“ trotzdem kein typischer „Problemfilm“ ist – eine Zeitlang schien es ja so, als könne die Filmindustrie nur dann aus dem Leben von LGBTQ+-Zugehörigen erzählen, wenn sie sich im selben Atemzug an den gesellschaftsstrukturellen Problemen ebendieser abarbeitet – ist mit Sicherheit auch der Tatsache geschuldet, dass Clea DuVall von eigenen Erfahrungen berichtet.“
Trotzdem nimmt Clea DuVall die Ängste ihrer Hauptfiguren ernst. Aus der zunächst kindlich-naiven Freude darüber, dass es Harper gelungen ist, sich ungesehen in Abbys Zimmer zu schleichen, erwächst sukzessive das Bewusstsein darüber, wie belastend diese Situation eigentlich ist. Das gilt sowohl für das sich liebende Pärchen als auch für ihr Umfeld; Denn letztlich hat es eben nicht nur Abby verdient, dass Harper sie nicht länger verleugnet, sondern auch Harpers Familie, die bis zuletzt davon ausgeht, Abby sei bloß Harpers Mitbewohnerin. Und so steuert „Happiest Season“ zwar ein wenig vorhersehbar auf die alles entscheidende Eskalation zu, löst sich infolgedessen aber auch davon, das verheimlichte Outing zu ihrem Ursprung zu machen. Fragt man sich zu Beginn des Films noch, ob die arg spleenige Darstellung von Harpers Schwestern Sloane („Community“-Star Alison Brie in einer überraschend garstigen Rolle) und Jane (Mary Holland mimt den unbedarften Tollpatsch, der sichtbar aus der Reihe ihrer beruflich und privat fest im Leben stehenden Schwestern fällt) der ansonsten so authentischen Zeichnung eines solchen familiären Zusammentreffens guttut, offenbaren sich im letzten Drittel die Gründe dafür, weshalb jede Figur in „Happiest Season“ genau so sein muss, wie sie hier dargestellt wird. Insbesondere Jane wird das Publikum anschließend mit gänzlich anderen Augen sehen.

Abby, zusammen mit ihrer großen Liebe Harper (Mackenzie Davis) und ihrem besten Freund John (Daniel Levy).
Ohne ihren dringlichen Toleranzappell in den Hintergrund zu rücken, trägt Clea DuVall ihre Geschichte mit so viel Charme, Herz und vor allem Humor vor, dass sie ganz nebenbei auch noch all das erfüllt, was man sich von einer typischen Familien-Weihnachtsgeschichte dieser Couleur erhofft. Zwischen lautstarken Streits, viel gespielter, aber genauso viel echter Harmonie platziert die Auteurin diverse süffisante Beobachtungen, die man ihrem Running-Gag-Charakter zum Trotz wohl nur dann so ungezwungen in einem Film unterbringen kann, wenn man sie selbst erlebt hat. Es ist eben nicht einfach nur plakativ, wenn Jane von ihren Eltern kaum ein persönliches Wort zu hören bekommt, dafür permanent damit konfrontiert wird, dass wieder irgendwelche technischen Geräte im Haus nicht funktionieren. Genauso wenig haben die omnipräsenten Sorgen von Harpers Mutter, doch nun endlich das perfekte Familienfoto zu schießen, einfach nur den Zweck, sie in ein spleeniges Licht zu rücken. Jeder Gag in „Happiest Season“ vollbringt das Kunststück, die Figuren genauestens zu charakterisieren. Das schließt sogar Slapstick und große Gesten mit ein – wir denken da nur an einen Streit, in dessen Folge ein Gemälde zu Bruch geht. Und dem Cast – allen voran Kristen Stewart („Underwater“) – tut es sichtlich gut, in einer solch losgelösten Atmosphäre aufzuspielen.
„Zwischen lautstarken Streits, viel gespielter, aber genauso viel echter Harmonie platziert die Auteurin diverse süffisante Beobachtungen, die man ihrem Running-Gag-Charakter zum Trotz wohl nur dann so ungezwungen in einem Film unterbringen kann, wenn man sie selbst erlebt hat.“
Gleichwohl erlaubt sich Clea DuVall hie und da aber auch Erzählschlenker, die nur bedingt nötig gewesen wären. Dass Abby in regelmäßigen Abständen ihren besten Freund John (Daniel Levy) zuhause anruft, um ihn über die Ereignisse bei ihren Schwiegereltern auf dem Laufenden zu halten, wirkt ein wenig wie ein verschlepptes Voice-Over, in dem Abby dem Publikum noch einmal detailliert an ihrem Gefühlschaos teilhaben lässt. Dabei sprechen die Ereignisse eigentlich für sich und benötigen keine zusätzliche Einordnung mehr. Auch der Subplot rund um die Aufstellung von Harpers Dad zum Politiker scheint lediglich den Zweck zu besitzen, Vater Ted (Victor Garber) im Finale in einer plakativen Szene maximal geläutert dastehen zu lassen. Dem Spaß an „Happiest Season“ tun derartige Schwächen allerdings keinen Abbruch – Clea DuVall ist ein Weihnachtsfilm mit Klassikerpotenzial gelungen.
Fazit: Hin und wieder will Regisseurin und Autorin Clea DuVall ein wenig zu viel, doch selbst in den schwächeren Momenten ist „Happiest Season“ immer noch eine zuckersüße Weihnachtskomödie, in der der ernste Kern rund um ein ausstehendes Outing vor allem deshalb so hervorragend zum Tragen kommt, weil die Geschichte auf wahren Ereignissen beruht.
„Happiest Season“ ist in Deutschland als VOD erhältlich.