Der wunderbare Mr. Rogers

Hierzulande ist der Kinder-Showmaster Fred Rogers kaum bekannt, in den USA ist sein Legendenstatus dafür umso größer. Trotzdem sollte sich ausnahmslos jeder das in seiner Zurückhaltung so herausragende und in seiner Liebenswürdigkeit so fesselnde Biopic DER WUNDERBARE MR. ROGERS zu Gemüte führen. Erst recht, wenn er von der Welt da draußen derzeit genug hat. Was wir damit meinen, das verraten wir in unserer Kritik.

OT: A beautiful Day in the Neighborhood (CHN/USA 2019)

Der Plot

Der mürrische Journalist Lloyd Vogel (Matthew Rhys), der eigentlich nur daran interessiert ist, Karriere zu machen, wird damit beauftragt, ein Porträt über den legendären Kinder-Entertainer Mr. Rogers (Tom Hanks) zu schreiben. Zunächst ist er von dem Auftrag nicht begeistert, hofft aber auf Zuspruch, nach der Veröffentlichung des Artikels. Auf der Suche nach Leichen in Rogers‘ Keller oder Unstimmigkeiten in seiner Biografie, muss der Reporter feststellen, dass der Fernsehstar ein wirklich guter Mensch ist. Im Zuge dessen lernt er, sich wieder auf klassische Werte wie Güte und Mitgefühl zu besinnen und seinen Zynismus zu überwinden. Zwischen den Männern entsteht eine Freundschaft und Lloyd gewinnt neue Perspektiven auf sein eigenes Leben.

Kritik

Fred Rogers galt zu Lebzeiten – er starb im Februar 2003 infolge einer Krebserkrankung – als ein besonders schwieriger Interviewpartner. Das hört man bisweilen von vielen Prominenten, denen ihr VIP-Status ein wenig zu Kopf gestiegen ist. Im Falle des Kindershowmoderators hatte dies indes nichts mit etwaigen Starallüren zu tun, sondern damit, dass Rogers in Gesprächen mit Journalisten grundsätzlich mehr daran interessiert war, zu erfahren, wie es seinem Gegenüber geht, als ebenjenem seine Fragen zu beantworten. Tom Junod, Reporter des Esquire Magazines, durfte diese Erfahrung im November 1998 am eigenen Leib spüren. Sein Arbeitgeber beauftragte ihn, ein Porträt über den in den USA Legendenstatus genießenden Fred Rogers zu schreiben. Was folgte waren viele ausführliche Gespräche zwischen Rogers und Junod, die noch lange nach der Veröffentlichung des Artikels „Can you say… Hero?“ in eine tiefe, bis zu Rogers‘ Tode andauernde Freundschaft mündeten. Die Drehbuchautoren Micah Fitzerman-Blue und Noah Harpster (schrieben zusammen u.a. das Skript zu „Maleficent: Mächte der Finsternis“) nahmen sich diesen Artikel zur Grundlage für eine überwältigend anrührende Tragikomödie, die die Faszination für den warmherzigen Entertainer – auch ohne eine klassische Biopic-Struktur – nicht besser veranschaulichen könnte. Dieser Fred Rogers muss einfach der netteste Mensch auf diesem Planeten gewesen sein.

Tom Hanks ist mit Kinder-Entertainer Fred Rogers sogar über mehrere Ecken verwandt.

Tom Junod schrieb im Jahr 2019 – kurz vor der Veröffentlichung von „Der wunderbare Mr. Rogers“ – einen Artikel für The Atlantic. Das darin enthaltene Résumé der vor über zwanzig Jahren stattgefundenen Begegnung beginnt mit den Worten „Vor langer Zeit sah ein Mann von einfallsreicher und unerbittlicher Freundlichkeit etwas in mir, das ich selbst nicht sah. Er vertraute mir, als ich dachte, ich man könne mir nicht vertrauen, und interessierte sich für mich, mehr, als ich mich für ihn interessierte. Er war die erste Person, über die ich schrieb, die mein Freund wurde, und unsere Freundschaft hielt an, bis er starb.“ Wir geben zu: So völlig ohne Kontext klingen diese Zeilen doch arg pathetisch. Das ändert sich allerdings schlagartig, sobald man sich „Der wunderbare Mr. Rogers“ angesehen hat. Tom Junod hört in dem Film auf den Namen Lloyd Vogel und Fred Rogers trägt das Gesicht von Hollywoodstar Tom Hanks („Sully“). Das passt – nicht nur, weil Hanks gemeinhin als einer der höflichsten und freundlichsten Schauspieler der Traumfabrik gilt, sondern auch, weil Rogers und Hanks über mehrere Ecken miteinander verwandt sind: Rogers ist Hanks‘ Vetter 6. Grades. Etwas, was man sofort glaubt. Zum einen, weil sich Hanks den Habitus seines zu porträtierenden Vorbilds hervorragend zu eigen gemacht hat, zum anderen weil sich ebenjener beider Männer von Natur aus stark ähneln. Dazu muss man sich nur alte Aufnahmen Rogers‘ im Internet anschauen, um in der Zugewandtheit gegenüber seines Publikums sowie in der einladenden Gestik und Mimik dieselbe Wärme zu erkennen, die auch Hanks auszeichnet.

„Die Autoren Micah Fitzerman-Blue und Noah Harpster nahmen sich einen Zeitungsartikel zur Grundlage für eine überwältigend anrührende Tragikomödie, die die Faszination für den warmherzigen Entertainer – auch ohne eine klassische Biopic-Struktur – nicht besser veranschaulichen könnte.“

Nun ist Hanks natürlich auch ein hervorragender Schauspieler. In der Figur des Walt Disney in der „Mary Poppins“-Backstory „Saving Mr. Banks“ machte der gebürtige Kalifornier eine mindestens genauso gute Figur. Und das Medienmogul galt nun nicht unbedingt als der aller größte Sympathieträger. Trotzdem passt in „Der wunderbare Mr. Rogers“ einfach alles zusammen. Insbesondere dann, wenn Hanks schließlich auf Matthew Rhys („Die Verlegerin“) trifft, anhand dessen Schicksals die Geschichte erzählt wird. Sein Lloyd Vogel stimmt zwar schon ein Stückweit mit dem Klischeebild eines zynischen Journalisten überein, der sich einfach nicht vorstellen kann, dass es so einen lieben und freundlichen – oder nennen wir es beim Namen: perfekten – Menschen tatsächlich gibt; und erhofft sich demnach, bei seinen Recherchen vielleicht doch die ein oder andere Leiche in Rogers‘ Keller zu finden, mit denen er das öffentliche Bild des Sympathieträgers zum Einsturz bringen könnte. Doch das Skript gesteht Rhys nicht bloß ausreichend Background zu, sodass sich sein Verhalten und seine Arbeitseinstellung anhand seiner Privatsituation erklären ließen. Der Emmy-Preisträger dringt in seiner anfangs ziemlich dickköpfigen Performance zudem rasch zum emotionalen Kern seiner Figur vor. Nichtsdestotrotz gelingt es Marielle Heller („Can you ever forgive me?“) durch gezielte erzählerische Leerstellen, das „Mysterium Fred Rogers“ lang genug aufrechtzuerhalten. Gerade wer bislang noch nicht mit seiner Persona in Berührung kam, könnte glauben, dass im Laufe der 109 Minuten Laufzeit vielleicht doch irgendwann noch der Moment kommt, an dem Rogers sein wahres Ich und seine Bühnenpersönlichkeit als Fassade offenbart.

Lloyd (Matthew Rhys) lernt Fred näher kennen.

Dass es dazu jedoch nie kommt, ist weder ein Spoiler noch ein Urteil von Eintönigkeit oder gar Enttäuschung. Man ist es vielleicht einfach anders gewohnt, doch „Der wunderbare Mr. Rogers“ löst letztlich nur ein, was der Titel verspricht – ohne Enthüllung, ohne großen Knalleffekt. Und trotzdem ist Marielle Hellers erst dritte Regiearbeit kein blinde Heldenverehrung – so etwas hätte dem echten Fred Rogers, der seinen Ikonenstatus selbst nie recht begriffen hat, vermutlich am aller wenigsten gefallen. Stattdessen gelingt es der Filmemacherin nach „Diary of a Teenage Girl“ und „Can you ever forgive me?“ zum dritten Mal in Folge, die emotionalen und persönlichen Eigenheiten ihrer Protagonisten herauszuarbeiten, ohne dabei zu urteilen, zu kommentieren oder voreilige Schlüsse über ihre Persönlichkeit zu ziehen. Einmal mehr appelliert sie auch in „Der wunderbare Mr. Rogers“ an die ganzheitliche Sicht auf die von ihr porträtierten Menschen, sodass auch Fred Rogers irgendwann seine Schwächen und Fehler offenbart, die ihn jedoch nur noch nahbarer und dadurch bewundernswerter machen. Neben ihm blüht schließlich auch Lloyd Vogel auf. Seine Entwicklung vom sensationsgeilen Zyniker hin zum zurückhaltenden Zuhörer mag dramaturgisch durchaus vorhersehbar sein, doch zum einen ist diese Geschichte hier ja nun mal so passiert wie dargeboten, zum anderen glaubt man im Anbetracht von Fred Rogers‘ einfühlsamer Art jederzeit, dass so ein Mensch mit seinem Umfeld genau das machen kann, was er mit Vogel respektive Junod gemacht hat.

„Marielle Heller gelingt es nach „Diary of a Teenage Girl“ und „Can you ever forgive me?“ zum dritten Mal in Folge, die emotionalen und persönlichen Eigenheiten ihrer Protagonisten herauszuarbeiten, ohne dabei zu urteilen, zu kommentieren oder voreilige Schlüsse über ihre Persönlichkeit zu ziehen.“

Die von Rogers ausgehende Wärme in seiner Interaktion mit seinem Umfeld spiegelt sich auch in der Inszenierung wider. Farbenfroh und dank einer sanften Ausleuchtung stets ein wohliges Gefühl vermittelnd, erwacht hier nicht bloß das detailgetreu nachgebaute TV-Set aus Freds Fernsehshow „Mr. Rogers Neighborhood“ zum Leben (mehr dazu erfährt man auch in der vielfach preisgekrönten Dokumentation „Won’t you be my Neighbor?“ von „20 Feet from Stardom“-Prozent Morgan Neville), sondern auch ein New York City der späten Neunzigerjahre. Trotzdem hält sich Marielle Heller in Sachen inszenatorischer Schwärmerei zurück: „Der wunderbare Mr. Rogers“ sieht einfach nur verdammt glaubhaft nach Nineties aus, schlägt deshalb aber nicht automatisch in die Nostalgiekerbe. Stattdessen wirkt Heller wie verliebt in die vielen Kleinigkeiten, die aus dem Film ein Ereignis machen – von den stimmungsvollen Kamerafahrten über Freds als Spielmodell nachgebaute Nachbarschaft bis hin zu den Puppenfiguren, mit denen Fred versucht, seinen Interviewpartner aus der Reserve zu locken. Alles hier ist voller Wärme, Liebe und dadurch ein umso aufrichtiger Appell an so etwas Simples wie ein freundliches Miteinander.

Fazit: Es ist der Film, den wir alle gerade so dringend brauchen: Marielle Heller gelingt mit ihrem tragikomischen Fred-Rogers-Porträt „Der wunderbare Mr. Rogers“ ein herausragend warmherziger Film über einen Menschen, an dessen aufrichtigem Interesse für seine Mitmenschen und seine um gegenseitige Akzeptanz und Toleranz bemühte Lebenseinstellung wir uns alle ein Beispiel nehmen sollte. Und niemand könnte diese Figur authentischer verkörpern als Tom Hanks.

„Der wunderbare Mr. Rogers“ ist ab dem 19. November auf DVD, Blu-ray und als VOD erhältlich.

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