Niemals Selten Manchmal Immer

In ihrer dritten Regiearbeit NIEMALS SELTEN MANCHMAL IMMER begleitet Filmemacherin Eliza Hittman ein junges Mädchen auf ihrem Weg zu einer selbstbestimmten Abtreibung und verkneift sich dabei zu Gunsten ihrer Protagonistin einen moralischen Zeigefinger. Mehr dazu verraten wir in unserer Kritik.
Der Plot
Die 17jährige Autumn (Sidney Flanigan) arbeitet im ländlichen Pennsylvania als Supermarkt-Kassiererin, ihr Leben verläuft in wenig überraschenden Bahnen. Als sie bemerkt, dass sie ungewollt schwanger geworden ist, kann Autumn nicht mit der Unterstützung ihrer Eltern rechnen. Gemeinsam mit ihrer Cousine Skyler (Talia Ryder) kratzt sie ein wenig Geld zusammen und die beiden machen sich im Bus auf den Weg nach New York City. Im Gepäck haben sie nur die Adresse einer Klinik – und sonst keinen Plan. Der Beginn einer nervenaufreibenden Reise, getragen von Freundschaft, Mut und Mitgefühl.
Kritik
Der sogenannte Safe Abortion Day am 28. September soll darauf aufmerksam machen, dass es Frauen in vielen Ländern bis heute nicht erlaubt ist, einen medizinischen Schwangerschaftsabbruch durchführen zu lassen. Vor allem in den USA gestaltet es sich für Betroffene schwierig, sich über einen solchen Schritt zu informieren, da die Rechtslage von Staat zu Staat verschieden und die konservative Lobby an Abtreibungsgegnern riesig ist. Doch auch hierzulande ist es Frauenarztpraxen verboten, öffentlich für die Beratung zu Schwangerschaftsabbrüchen zu werben – und sei es nur durch einen Vermerk unter den Praxisangeboten. Der Fall der im Jahr 2012 infolge einer unvollständigen Fehlgeburt und der darauf folgenden Verweigerung einer Abtreibung verstorbenen, in Irland lebenden Inderin Savita Halappanavar rückte die Thematik ins Blickfeld von Regisseurin und Drehbuchautorin Eliza Hittman („Beach Rats“). Für ihren neuen Film recherchierte sie unter anderem, dass jede fünfte Frau für einen Schwangerschaftsabbruch mehr als 50 Meilen weit fahren muss, um diesen überhaupt legal durchführen lassen zu können. Eine solche Odyssee erzählt sie nun in „Niemals Selten Manchmal Immer“ nach. Das Schicksal ihrer Protagonistin Autumn ist fiktiv, steht allerdings stellvertretend für viele Frauen und Mädchen, die eine solche Reise mindestens einmal in ihrem Leben antreten müssen, weil ihnen in ihrem Staat jedwede Hilfe verweigert wird.
Der Filmtitel „Niemals Selten Manchmal Immer“ leitet sich von den Antwortmöglichkeiten ab, die Autumn bei der Beantwortung eines medizinischen Fragebogens abgeben kann. Die junge Frau, die Autumn vor dem Schwangerschaftsabbruch über sämtliche Risiken informiert, stellt ihr Fragen wie diese, ob sie schon einmal von einem Mann zum Sex gezwungen oder anderweitig körperlich misshandelt wurde. Dieses in einer einzigen langen Kameraeinstellung gefilmte Gespräch fasst die erzählerische Intensität des gesamten Films innerhalb weniger Minuten zusammen. In „Niemals Selten Manchmal Immer“ steht konsequent die Protagonistin im Fokus; Eliza Hittman erzählt die Ereignisse voll und ganz aus ihrer Perspektive und lässt sie diese oft in bisweilen quälend langen Einstellungen verarbeiten. So auch in diesem Gespräch, in dem sich Autumns Miene mit jeder Frage nach gewalttätigen Erlebnissen der Vergangenheit weiter verfinstert, bis es ihr ab einem bestimmten Moment gar nicht mehr möglich ist, zu antworten, da es ihr nach vielen Tagen der äußerlich emotionslosen Lethargie hier nun erstmals möglich ist, Tränen zu vergießen. Es ist eine Mischung aus ultimativer Anspannung und der lang ersehnten Erleichterung, endlich jemanden gefunden zu haben, dem sich die junge Frau anvertrauen kann.
„Eliza Hittman erzählt die Ereignisse voll und ganz aus der Perspektive ihrer Protagonistin und lässt sie diese oft in bisweilen quälend langen Einstellungen verarbeiten.“
Es ist ein emotionaler Balanceakt, den Eliza Hittman hier vollführt; Dabei geht es ihr in „Niemals Selten Manchmal Immer“ nicht etwa um ein Ausloten von Vor- und Nachteilen von Schwangerschaftsabbrüchen. Ihr Film erzählt auf sehr subjektive Weise ein Einzelschicksal. Sie kommentiert, geschweige denn hinterfragt die Entscheidung ihrer Protagonistin nicht. Hittman schert sich nicht darum, dass es da draußen auch Zuschauer geben könnte, die nicht mit der Entscheidung des verzweifelten Mädchens konform gehen. Das Skript legt noch nicht einmal die genauen Gründe dafür offen, weshalb Autumn das Kind nicht behalten will – kein Versäumnis, sondern ein klares Statement: Es hat letztlich Niemanden zu interessieren, weshalb sich jemand zu solch einem Schritt durchringt, solange er für diese Person der richtige ist. Das ist allerdings auch mit ein Grund, weshalb einem Autumns Schicksal nicht immer so nahe geht, wie es einem gehen könnte – „Niemals Selten Manchmal Immer“ ist zwar in jeder Hinsicht ein tristes Unterfangen, aber Hittman verfolgt mit ihrer dokumentarischen Inszenierung nie eine zusätzlich emotionale Ausbeutung der Situation. Sie drückt nie auf die Tränendrüse, überhöht nicht, legt ihrer Protagonistin nicht aus Dramaturgiezwecken noch mehr Steine in den Weg, als sie sie ohnehin schon zu bewältigen hätte. Autumns und Skylers Odyssee muss also für sich sprechen.
Leider bleiben dadurch hin und wieder Emotionen auf der Strecke. Auch, weil Autumn eben eine typische Teenager-Figur ist, die sich durch die Schwangerschaft noch stärker nach außen verschließt als ohnehin schon. Stattdessen sprechen Szenen für sich, in denen die junge Frau auf andere Art und Weise ihrer Gefühlswelt Ausdruck verschafft – etwa wenn sie sich kurz nach der Schwangerschaftsdiagnose mit einer heißen Nadel selbst ein Nasenpiercing verpasst oder sich versucht, mit Schlägen in den Bauch dem Fötus zu entledigen. In solchen Momenten brechen die ganze Wut und Verzweiflung des Mädchens an die Oberfläche. Und der Anblick des von blauen Flecken übersäten Bauches brennt sich einem noch lange ins Gedächtnis ein. Genauso wie einige Szenen, in denen Autumn und ihre Cousine Opfer körperlicher Übergriffe werden, die Eliza Hittman beiläufig in ihre Handlung einflechtet. Diese stammen nicht von zu Antagonisten aufgebauten Widersachern, sondern sind banale Randerscheinungen; ein Seitenhieb in Richtung Patriarchat, der gar nicht nötig wäre – ist „Niemals Selten Manchmal Immer“ durch die Prämisse an sich doch schon Aufschrei genug. Denn schließlich gäbe es einen solchen Film gar nicht, wäre es jeder Frau möglich, überall auf der Welt über ihren eigenen Körper zu bestimmen.
„Dass Newcomerin Sidney Flanigan aus ihrer den Umständen geschuldeten Opferfigur nie zusätzlich ein Opfer ihres eigenen Schicksals macht, liegt an einer hervorragend ambivalenten Verkörperung stiller Rebellion.“
Dass Newcomerin Sidney Flanigan (auch wenn man es im Anbetracht der starken Leistung kaum glauben kann, so ist „Niemals Selten Manchmal Immer“ tatsächlich ihr Schauspieldebüt) aus ihrer den Umständen geschuldeten Opferfigur nie zusätzlich ein Opfer ihres eigenen Schicksals macht, liegt an einer hervorragend ambivalenten Verkörperung stiller Rebellion. Gegen die geltenden Gesetze kann auch Autumn nichts unternehmen, wohl aber gegen das Stillstehen und Schweigen. Ihr Schicksal in „Niemals Selten Manchmal Immer“ ist daher nicht annähernd so niederschmetternd wie es auf den ersten Blick aussieht. Es ist eines, das Mut macht und gleichzeitig veranschaulicht, in welch prekären Umständen wir (respektive Frauen) bis heute bisweilen leben müssen. Hintenraus verzichtet Eliza Hittman sogar auf ein klassisches Happy End mit glückseligen Gesichtern. Der erfolgreiche Schwangerschaftsabbruch sollte zwar legal sein und endlich entstigmatisiert werden, ist jedoch keineswegs eine beneidenswerte Erfahrung.
Fazit: „Niemals Selten Manchmal Immer“ ist ein mit dokumentarischen Mitteln inszeniertes Drama über ein junges Mädchen, das sich für einen legalen Schwangerschaftsabbruch auf eine Odyssee durch Amerika begibt. Eliza Hittman verzichtet auf künstliche Überdramatisierung und lässt das Schicksal ihrer Protagonistin für sich sprechen. Manches Mal bleibt einem ihr Seelenleben dadurch verborgen, eh die Regisseurin früh genug eindringliche Bilder für die vorherrschenden Missstände findet.
„Niemals Selten Manchmal Immer“ ist ab dem 1. Oktober in den deutschen Kinos zu sehen.