Abikalypse

In der Partykomödie ABIKALYPSE gelingt es Regisseur Adolfo Kolmerer, dem Genre des Schulfilms nochmal einen neuen Anstrich zu geben – und das ganz ohne skurrile Überhöhung wie sein Kollege Bora Dagtekin im Publikumshit „Fack ju Göhte“. Mehr dazu verraten wir in unserer Kritik.
Der Plot
Das Abitur haben die Außenseiter Musti (Reza Brojerdi), Yannick (Jerry Hoffmann), Hannah (Lea van Acken) und Tom (Lucas Reiber) endlich in der Tasche. Bevor der Ernst des Lebens auf die vier Freunde wartet und sich ihre Wege vielleicht trennen, versprechen sie ihren Mitschülern leichtsinnig die krasseste Party des Jahres. Sie wollen endlich allen beweisen, dass sie keine Loser sind und in ihnen mehr Fame als Fail steckt. Doch die Suche nach Anerkennung und digitalen Followern wirbelt die enge Freundschaft der vier gehörig durcheinander. Inmitten des Trubels erkennen Hannah und Tom zudem ihre wahren Gefühle füreinander. Die erste romantische Nacht zu zweit verkompliziert die Dinge jedoch nur noch mehr … Für die vier Freunde wird die Party ihres Lebens zur wichtigsten Prüfung ihrer Freundschaft.
Kritik
Seit jeher kämpfen Schüler und Schulabgänger in Filmen mit denselben Problemen: Zukunftsängsten, der ersten großen Liebe, Geltungsbedürfnis und dem Druck, unbedingt dazugehören zu müssen. Nun könnte man den Machern derartiger Geschichten – und damit auch Regisseur Adolfo Kolmerer („Schneeflöckchen“) sowie seinem Drehbuchautor Tim Gondi („Bullsprit“) –genau das zum Vorwurf machen; nämlich, dass sie im Genre des Schulfilms immer das Gleiche erzählen. Doch ist es nicht vielmehr so, dass Generationen um Generationen in einem bestimmten Alter eben auch mit genau diesen Problemen zu kämpfen hatten? Letztlich verlagert sich nur der Austragungsort; zum Beispiel vom Real Life ins Internet. Und auch, wenn sich so banale Dinge wie der Modestil oder popkulturelle Phänomene ändern, so stolperten wir auf dem Weg zum Erwachsenwerden zwangsläufig über dieselben Steine. „Abikalypse“, der lange Zeit unter dem Titel „Am Ende Legenden“ auf diversen Online-Portalen gelistet wurde, ist letztlich nicht mehr als ein zeitgemäßes Abbild aktueller Abi-Jahrgänge, die sich zwischen Abschlussprüfung, Instagram und Außenseitertum versuchen, sich selbst zu finden. Aufgrund des Zurückgreifens auf typische Coming-of-Age-Wehwehchen kann man „Abikalypse“ erzählerisch zwar nur bedingt Innovation andichten. Aber letztlich kommt es drauf an, wie man die bekannten Zutaten vermengt. Und das machen die Verantwortlichen hier so gewieft und sympathisch, dass man mit den Figuren mitleidet, sich gemeinsam mit ihm dem „Problem Abiparty“ entgegenstellt und ihnen am Ende ganz fest die Daumen drückt, dass sie ihrem Traum, am Ende Legenden zu sein, ein Stück näher kommen.

Hannah, (Lea van Acken), Tom (Lucas Reiber), Musti (Reza Brojerdi) und Yannick (Jerry Hoffmann) planen die Party ihres Lebens.
Ebenfalls nicht geändert haben sich über die Jahre die Klischees, anhand derer die Menschen an (deutschen) Schulen in Filmen entwickelt werden. Nerd, Zicke, Draufgänger – um nur einige zu nennen – waren schon die klassischen Stereotypen in „Schule“ von 2000, die in „Fack ju Göhte“ dreizehn Jahre später immer noch exakt so aufgegriffen wurden – nur eben mit einem Prollslang und viel mehr Anglizismen im Gepäck respektive Schulrucksack. Und so richtig abwegig ist das ja auch nicht – schließlich wird man in Ermangelung an Lebenserfahrung und Urteilsvermögen gerade in seinen Jugendjahren automatisch in eine Schublade gesteckt. Trotzdem ist es erfrischend, wenn Filme wie etwa die 2015 erschienene US-Comedy „DUFF – Hast du keine, bist du eine“ mit diesen Erwartungen bricht; und aufzeigt, dass die Nerds von heute längst nicht mehr „uncool“ sind und man durchaus was im Köpfchen haben muss, damit einen die Mitschüler für voll nehmen – wir erinnern uns an die verdutzten Blicke von Jenko in „21 Jump Street“, der über ein Jahrzehnt nach seinem Schulabgang plötzlich nicht mehr der „coole Typ“ war, weil heutzutage nicht mehr automatisch derjenige beliebt ist, der die größte Karre fährt. Die Art wie Tim Gondi die vier Hauptfiguren in „Abikalypse“ beschreibt, geht ebenfalls in die Richtung: Irgendwie tragen sie zwar alle ihren Stempel, doch gleichzeitig sorgt das Skript für genug Variation, um den Sohn aus gutem Hause, die gutaussehende Gamerin, den unsicheren Neurotiker und den eigentlich ziemlich selbstbewussten Mitläufer zu einer glaubwürdigen Einheit aus Außenseitern zu machen; wie die Teile eines fertig aufgebauten IKEA-Regals, bei dem am Ende immer eine Handvoll Teile übrig bleiben.
Doch damit aus den Widersprüchen keine unglaubwürdigen Charaktersprünge entstehen und die ja eben doch zum Teil angerissenen Klischees nicht in die Karikatur abdriften, braucht es starke Darsteller. Und genau die hat Adolfo Kolmerer gefunden, auch wenn sich Lea van Acken („Das Tagebuch der Anne Frank“), Lucas Reiber („Fack ju Göhte“), Reza Brojerdi („Schneeflöckchen“) und Jerry Hoffmann („Amelie rennt“) die Kritik gefallen lassen müssen, mitunter schon ein wenig zu alt für die Rolle von Schulabgängern zu sein – selbst wenn man berücksichtigt, dass Brojerdis Musti bereits wiederholt durchs Abitur gefallen ist. Im Anbetracht ihrer Leistungen spielt das allerdings eine untergeordnete Rolle, denn die Schauspielerinnen und Schauspieler mit unterschiedlichem Bekanntheitsgrad stellen sich voll und ganz in den Dienst ihrer Rollen. Sowohl in den ruhigeren und emotionalen Momenten, als auch in Szenen purer Eskalation nimmt man den vieren ihre Freundschaft jederzeit ab, woran auch das starke Skript von Tim Gondi nicht unschuldig ist. Dieser lässt seine Hauptfiguren hier nämlich genau so reden, wie es Jugendliche in diesem Alter eben tun; mit allen Anglizismen und Jugendwörtern, die diese Altersklasse eben anwendet, ohne in einen unangenehmen Proll-Duktus zu verfallen, oder es, wie so viele andere Beiträge im Genre, zu übertreiben. Das mag für Außenstehende bisweilen befremdlich wirken, was auch für einige ausgewählte Szenen gilt, in denen explizit auf aktuelle Social-Media-Trends aufmerksam gemacht wird (besonders gelungen ist der regelmäßige Einbezug von Hashtags und deren Vertreitung). Doch egal, wie absurd es anmutet, wenn sich hier ein Haufen Spätpubertierender mit Brennnesseln einreibt, um bei einer Instagram-Challenge die geschwollene Nase vorn zu haben, so fest ist es letztlich in der Realität verankert. Und wenn Hannah und Yannick diesem skurrilen Treiben von der Ferne aus zusehen und in dem Moment genauso irrgläubig den Kopf schütteln, wie vermutlich auch alle Zuschauer jenseits der 25, dann sollte auch der letzte Zuschauer verstanden haben, dass Kolmerer den Zeitgeist einfach nur verdammt gut getroffen hat.
Vordergründig handelt „Abikalypse“ davon, wie eine Gruppe von Außenseitern beim Versuch, die größte Schulparty aller Zeiten zu organisieren, von einem Fettnäpfchen ins nächste Steigen. Inklusive der typischen Versatzstücke, zu denen auch ein großer Streit, diverse amouröse Verwicklungen und am Ende die große Versöhnung gehören. Gleichzeitig ist Kolmerer viel näher dran an den emotionalen Hintergründen seiner Figuren, als man es im Bereich der Schulcomedy eigentlich gewohnt ist. Klassischen Schenkelklopferhumor, geschweige denn Slapstick unterhalb der Gürtellinie findet man hier nicht, obwohl „Abikalypse“ an vielen Stellen wirklich witzig ist. Und driftet die Geschichte hin und wieder mal in zu arg konstruierte Gefilde ab (Stichwort: Polenmarkt), dann bringt das den sich sonst über seine Bodenständigkeit definierenden Rhythmus von „Apokalypse“ sogar zeitweise völlig aus dem Gleichgewicht. Viel besser funktionieren dagegen die Momente, in denen Situationskomik im Vorbeigehen entsteht; durch einen trocken vorgetragenen Satz ohne gezielte Pointe, der sich erst nach einem Mal drüber nachdenken als richtig lustig entpuppt. Oder aufgrund des sich über die Charakterisierung der Figuren entwickelnden Humors, weil wir es hier in erster Linie einfach mit furchtbar sympathischen Zeitgenossen zu tun haben, die einen mit ihrem Enthusiasmus genauso mitreißen können, wie sie uns glaubhaft präsentieren, dass sie vor dem Blick in die Zukunft ganz schön Muffensausen haben. „Abikalypse“ erfindet damit das Genre der Schulkomödie gewiss nicht neu. Aber die Verantwortlichen zeigen, dass es letztlich vor allem auf das „wie“ ankommt, wenn man sich einmal mehr an einem Thema abarbeitet, das vor ihnen schon so viele andere beackert haben. Mit Auszeichnung bestanden!
Fazit: „Abikalypse“ ist ein authentisch-sympathischer, den Zeitgeist atmender Blick auf Außenseiter und zugleich eine emotionale Auseinandersetzung mit ihren Ängsten vor dem, was kommt, wenn die Schule vorbei ist. „Abikalypse“ ist aber auch ein Film über Party und Freundschaft, der beweist, dass man auch mit bereits vielfach verwendeten Zutaten etwas Kreatives und Originelles zaubern kann.
„Abikalypse“ ist ab dem 25. Juli in den deutschen Kinos zu sehen.