Ailos Reise

Süße Naturaufnahmen und ein kindlicher Erzählkommentar – ob die Naturdokumentation AILOS REISE über den gleichnamigen Rentierbullen auch für Zuschauer jenseits der zehn Jahre empfehlenswert ist, verraten wir in unserer Kritik.
Darum geht’s
In der kindgerecht aufbereiteten Naturdokumentation „Ailos Reise“ zeigt Regisseur Guillaume Maidatchevsky, wie abenteuerlich die Welt für ein junges Rentier ist. Er begleitet das Rentierjunge Ailo von seiner Geburt in der wilden und majestätischen, aber auch bedrohten Natur Lapplands bis zum Ende seines ersten Lebensjahres. Wir sehen, wie Ailo und seine Mutter versuchen, wieder Anschluss an ihre Herde zu finden. Wir lernen gemeinsam mit Ailo Polarfüchse, Lemminge, Adler, Wölfe, Eichhörnchen und Hermeline kennen. Ailo macht auch erste selbstständige Gehversuche durch seine kühle Heimat, in der der Sommer nur wenige Wochen dauert …
Kritik
„Ailos Reise“ ruht als Film auf zwei Standbeinen – eines von ihnen schwach und wackelig, das andere ist deutlich strammer. Und auch, wenn diese Naturdokumentation somit metaphorisch gesprochen eine sanfte Parallele zu ihrem Protagonisten aufweist, dem jungen Rentierbullen Ailo, der anfangs noch etwas stacksig und unbeholfen unterwegs ist, ist dies kein Grund, um mit strahlenden Augen und verzücktem Gesichtsausdruck gen Leinwand zu blicken. Es ist vielmehr ein bedauerlicher Umstand, da „Ailos Reise“ somit trotz hoher Produktionsqualität und der in sämtlichen den Film begleitenden Interviews von Regisseur Guillaume Maidatchevsky spürbaren Passion zum Thema nur mit deutlichen Einschränkungen empfehlenswert ist.
Das starke Bein, mit dem „Ailos Reise“ durch seine knackige Laufzeit schreitet, sind die Aufnahmen, die Maidatchevsky und seinem Team gelungen sind. Der französische Biologe erschafft einen majestätischen Eindruck von Lappland, bei dem es sich um eines der letzten Ökorefugien Europas handelt. Seien es die makellosen, glänzend weißen Schneelandschaften im langen Winter oder die grünlich-bräunlichen Flechten, die zum Vorschein kommen, wenn der Schnee geschmolzen ist: Diese unberührte, doch durch Holzabbau am äußeren Rand immer kleiner werdende Gegend wird in all ihrer Pracht eingefangen – dank schwelgerischer Flugaufnahmen, ruhig auf der Leinwand verharrender Panoramen und vereinzelter Impressionen in Nahaufnahme, etwa wenn der Tau knorrige Äste benetzt. Noch beeindruckender ist aber, was die Filmschaffenden an Tieraufnahmen bieten: Dank behutsamer Planung und modernen, extrem hochauflösenden Kameras bieten sie ihrem Publikum gestochen scharfe Nahaufnahmen von wuseligen Hermelinen und lauernden Wölfen in freier Wildbahn – und selbstredend kommen sie auch den Rentieren, um die es hier eigentlich geht, sehr nah.
Die Doku operiert dabei weitestgehend auf der Niedlichkeitsebene: Kinder sollen die Natur auf dem „Ist das süß!“- und „Och, wie hübsch!“-Wege schätzen lernen. Und das erwachsene Publikum darf mittels knuffiger Rentier-Jungtiere, flauschig-pelziger Polarfüchse oder der besagten Hermeline, die rascher und unkoordinierter durchs Bild flitzen als Kindergartenkinder nach einer fatalen „Wie, wir haben ihnen den ganzem Morgen statt Wasser mit Espresso versetzten Energydrink zum Trinken gegeben?“-Verwechslung, für die Dauer eines Kinobesuches den Alltag vergessen. Und so ahnt man es womöglich schon: All zu lehrreich ist „Ailos Reise“ nicht. Es wird durchaus der eine oder andere Fakt über das Verhalten von Rentieren vermittelt. Etwa, dass sich schwangere Rentierkühe kurzzeitig von der Herde abkoppeln und dass sie ihren Jungen nur wenige Minuten geben, das Laufen zu erlernen, ehe sie sie aufgeben. Oder dass Herden Jahr für Jahr die selbe, etwa 500 Kilometer lange Route entlangwandern. Außerdem mischt Maidatchevsky einzelne alarmierende Informationen über den Klimaverfall und seine Folgen ein: Einzelne Arten begeben sich notgedrungen in Landstriche, die nur bedingt für sie geeignet sind und dass die intakte Schönheit Lapplands schmaler und schmaler wird, ist ebenso bedauerlich wie (ärgerlicherweise) unüberraschend. Die Bedrohung durch den Menschen allgemein und Abholzung im Speziellen wird kurioserweise nur sporadisch angedeutet.
Deutlich mehr Zeit verbringt „Ailos Reise“ indes damit, seine tierischen Protagonisten zu vermenschlichen. Und auch wenn es wohl zu einem gewissen Grad nötig ist, um das junge Publikum abzuholen, schießt dieser Film wiederholt über das Ziel hinaus: Im Erzählkommentar, den Anke Engelke (sprach unter anderem den Doktorfisch Dorie in den Pixar-Meisterwerken „Findet Nemo“ und „Findet Dorie“) sehr liebevoll spricht, wird aus einem Hasen ein Schulkamerad Ailos, aus einem Eichhörnchen ein neugieriger Nachbar, der Ailos Leben unablässig beobachtet, und aus einem Vielfraß wird ein besonders lässiger Räuber. Damit nicht genug: Es wird auch noch zuweilen zwischen guten und bösen Tieren unterschieden, was pädagogisch fragwürdig ist – und durch die sehr kitschig-putzige Tonalität der Texte entwickelt es nicht einmal den Unterhaltungswert früherer Disney-Naturdokumentationen (die ähnlich operierten) oder des ebenfalls wenig um den Lernwert bemühten Doku-Blockbusters „Die Reise der Pinguine“, zu dem es Ende 2017 sogar einen zweiten Teil gab. Dieser Erzählkommentar ist, gemeinsam mit der verkitschten Hintergrundmusik, das schwache Bein, auf dem sich „Ailos Reise“ stützt und das diesen so schön fotografierten Film arg humpeln lässt.
Fazit: Für einen gemeinsamen Familienkinobesuch ist „Ailos Reise“ durchaus geeignet, jedoch sollten Eltern ihren Schützlingen weiteren Kontext liefern, denn diese Dokumentation will lieber knuffig sein als informativ.
„Ailos Reise“ ist ab dem 14. Januar 2019 in einigen deutschen Kinos zu sehen.