Nicht ohne Eltern

Basierend auf einem in Frankreich hocherfolgreichen Theaterstück präsentiert die Komödie NICHT OHNE ELTERN eine haarsträubende Prämisse, vorgetragen von den angesagtesten Schauspielern unserer französischen Nachbarn. Die Konsequenz, mit der die Macher hier vorgehen, ist bemerkenswert. Was der Film noch zu bieten hat, das verrate ich in meiner Kritik.
Der Plot
Monsieur Prioux (Christian Clavier) versteht die Welt nicht mehr. Bis gestern führte er mit seiner Frau Laurence (Catherine Frot) ein zufriedenes und geruhsames Leben. Die Behaglichkeit hat eines Tages jedoch ein Ende, als auf einmal im Supermarkt dieser seltsame Typ namens Patrick (Sébastien Thiéry) auftaucht. Noch seltsamer wird es als Patrick später auch noch unangemeldet unter ihrer Dusche steht und schließlich sogar behauptet, dass er ihr Sohn sei. Kann nicht sein. Die Priouxs haben keine Kinder! Und doch scheint alles darauf hinzudeuten, dass Patrick wirklich ihr Sohn ist. Handelt es sich bei der absurden Behauptung um einen üblen Scherz? Oder ist Patrick schlicht ein gerissener Betrüger? Die Priouxs stehen vor einem Rätsel. Doch Madame Prioux beginnt zu allem Überfluss, Patrick in ihr Herz zu schließen. Das wird Monsieur Prioux dann doch zu viel und er beschließt zu handeln…
Kritik
In Frankreich war „Momo“, so der Originaltitel von „Nicht ohne Eltern“, ein großer Erfolg am Theater. Schauspieler Sébastien Thiery („Nathalie küsst“), der für die Filmfassung nicht bloß die Co-Regie übernahm und das Skript schrieb, sondern auch eine der Hauptrollen spielt, adaptierte das ursprünglich als Kammerspiel konzipierte Stück nun für die große Leinwand und erzählt darin eine hanebüchene Geschichte über unverhofftes Familienglück. Die Art und Weise, wie Thiery und sein Kollege Vincent Lobelle („Vampire Party – Freiblut für alle“) hier auf jedwede Form der Bodenständigkeit pfeifen, ist schon bemerkenswert. Wenn das Protagonistenpaar André und Florence Prioux eines Tages mit der Existenz eines möglichen (und mittlerweile erwachsenen) Sohnes konfrontiert wird und sich im Zuge dessen ernsthaft fragt, ob die beiden eine frühe Geburt vielleicht einfach verdrängt haben, dann kann man sich ausmalen, in welch unrealistische Gefilde dieses Szenario abgleitet. „Nicht ohne Eltern“ ist durch und durch hanebüchen. Das Besondere daran: Die Macher lassen sich mit Haut und Haar auf die abgehobene Prämisse ein und drehen ab einem bestimmten Moment einfach frei. So völlig ohne Political Correctness und einen Funken Emotionalität (der Hauch Rührseligkeit gen Ende wirkt in erster Linie aufgesetzt) geht vieles an der Grundidee nach hinten los, doch obwohl die Zeichen auf Vollkatastrophe stehen, gibt es da auch so Einiges, was an „Nicht ohne Eltern“ funktioniert.

Florence (Catherine Frot) schließt ihren Vielleicht-Sohn Patrick (Sébastien Thiery) sofort ins Herz.
Dass sich in einem Film jemand als das Kind von jemand Anderem ausgibt, ist eine auch aus Genresicht vielfach verwendete Prämisse. Auch die von Florence zunächst an den Tag gelegte Reaktion ist daher wenig ungewöhnlich: Natürlich verdächtigt sie zunächst einmal ihren Ehemann, sie mit einer anderen Frau betrogen zu haben. Überraschenderweise ist dieser, im Anbetracht des weiteren Filmverlaufs betont realistische Umgang mit dem plötzlich in ihrem Leben auftauchenden Patrick dann auch direkt der schwächste Abschnitt in „Nicht ohne Eltern“. Der Beziehungskrise von Florence und André zuzuschauen, geht nicht bloß aufgrund der schalen Pointe jede Art von Reiz ab. Darüber hinaus benötigten die beiden dringend irgendein Profil, damit man sich für ihre Belange interessiert. Dem widmen sich die Macher allerdings nur marginal. Für sie scheint der gesamte erste Akt einzig und allein den Versuch darzustellen, das Publikum ganz langsam auf das anstehende Chaos in „Nicht ohne Eltern“ vorzubereiten. Am Ende steht nicht bloß die Auflösung, dass André seiner Frau natürlich nicht fremd gegangen ist, es entfacht in Florence zudem hanebüchen-intensive Muttergefühle für einen bis dato fremden Mann, mit dem der zweite Akt eröffnet wird. Fortan reiht sich eine völlig absurde Situation an die nächste, bei der die Verantwortlichen den Bogen mehr als einmal ordentlich überspannen.
Das beginnt schon bei der Zeichnung des Vielleicht-Sohnes Sébastien. Dieser ist nämlich taub und verständigt sich auf eine Art und Weise, die über kurz oder lang zwangsläufig zu Missverständnissen führen muss. Der ewig gleiche Gag-Ablauf sieht dann in etwa so aus: Der junge Mann artikuliert sich in einem nahezu unverständlichen Kauderwelsch, sein Vielleicht-Vater André verzieht verwirrt das Gesicht, versteht kein Wort und lässt sich von seiner (offenbar wesentlich sprachbegabteren) Ehefrau Florence erklären, was sein eventueller Sprössling da gerade von sich gegeben hat. Das mag, vor allem aufgrund des engagierten Schauspiels von Christian Clavier („Hereinspaziert!“) zunächst noch vor allem aufgrund seiner ungläubigen Mimik ganz lustig sein, doch irgendwann läuft sich der Gag eben tot. Und wenn man noch so richtig kritisch sein will, dann ist „Nicht ohne Eltern“ dadurch auch nicht unbedingt der sympathischste Beitrag zum Thema Inklusion und respektvoller Umgang mit Behinderten. Stattdessen wird Patrick, genauso wie seine später zum Ensemble hinzustoßende und blinde (!) Frau Sarah (Pascale Arbillot) häufig zur Zielscheibe ziemlich böser Gags. Erst recht dann, wenn André mithilfe diverser Utensilien wie zwei Pfannen oder einem Knallkörper versucht, herauszufinden, ob sein angeblicher Sohn tatsächlich taub ist. So richtig ernst genommen wird hier zumindest keiner und gerade bei Patricks missverständlichen Artikulationsversuchen lachen die Verantwortlichen ein paar Mal zu häufig über, anstatt mit ihrer Hauptfigur. Doch spätestens in der zweiten Hälfte erschließt sich dann, dass „Nicht ohne Eltern“ ohnehin kein ernstzunehmender Filmbeitrag zum Thema Behinderung sein soll, sondern einfach nur hanebüchener Quatsch.
Mal ganz davon abgesehen, dass im Finale auf eine abgegriffene Familienmessage (natürlich kommt es nicht auf die Blutsverwandtschaft an, sondern auf Zusammenhalt) zurückgegriffen wird, die sich mit der Absurdität der dem voran gegangenen Ereignisse so sehr beißt, dass die emotionalen Aspekte des Films nicht als solche funktionieren, ist „Nicht ohne Eltern“ einfach von vorn bis hinten schwachsinnig. Spätestens wenn sich Sarahs daueraggressiver Blindenhund laut tierärztlichem Befund nur noch mit Schwyzerdütsch zur Ordnung rufen lässt, schallt es auch dem letzten verwirrten Zuschauer entgegen, dass an dieser Komödie absolut alles völlig realitätsfern ist. Das verdient erst einmal Respekt, denn solche abgedrehten Gaga-Komödien gibt es heutzutage gar nicht mehr. Und tatsächlich erwischt man sich auch immer mal wieder dabei, über die Ideen der Macher schallend loszulachen, selbst wenn die Pointe an sich nur halb so lustig ist. Sébastien Thiery und sein Team drehen einfach mit einer solch leidenschaftlichen Exzessivität frei, dass allein die Konsequenz in der Inszenierung beeindruckt. Christian Clavier passt sich mit seinem hemmungslos chargierenden Spiel dieser Prämisse an, Catherine Frot dagegen versucht sich tatsächlich noch an einem subtilen Agieren und kann den Film in einigen entscheidenden Momenten erden – zumindest für die hier vorherrschenden Verhältnisse. Thiery als Hauptdarsteller definiert sich dagegen vorwiegend über seine Spleens und kann einem damit schnell auf die Nerven gehen. Dasselbe gilt für Pascale Arbillot („Madame Aurora und der Duft von Frühling“), die jedoch erst in der zweiten Hälfte aufs Parkett tritt. Das ist auch gut so, denn es ist nicht auszuschließen, dass einen die volle Ladung Prioux dann doch irgendwann erschlagen hätte.
Fazit: Man muss es der französischen Gaga-Komödie „Nicht ohne Eltern“ lassen, dass die Macher eine hanebüchene Prämisse voller Absurdität und fehlendem Realismus konsequent und selbstbewusst auf die Spitze treiben. Daraus ergeben sich teilweise nicht nur bloßes Kopfschütteln, sondern auch einige große Lacher. Doch insgesamt schaut man dem Geschehen dann doch eher mit Ungläubigkeit zu.
„Nicht ohne Eltern“ ist ab dem 21. Juni in den deutschen Kinos zu sehen.