The Cleaners

Eine Dokumentation, spannend wie ein Thriller und unheimlich wie ein Horrorfilm – in THE CLEANERS blicken die beide Regisseure Hans Block und Moritz Riesewieck auf eine Maschinerie im Schatten der sozialen Medien. Mehr dazu verrate ich in meiner Kritik.
Darum geht’s
In Manila, dem weltweit größten Outsourcing-Standort für Content Moderation, befindet sich eine gigantische Schattenindustrie digitaler Zensur. Dort löschen zehntausende Menschen in Zehn-Stunden-Schichten im Auftrag der großen Silicon-Valley-Konzerne belastende Fotos und Videos von Facebook, YouTube, Twitter & Co. Komplexe Entscheidungen über Zensur oder Sichtbarkeit von Inhalten werden so an die „Content Moderatoren“ outgesourct. Die Kriterien und Vorgaben, nach denen sie agieren, ist eines der am besten geschützten Geheimnisse des Silicon Valleys. Die Grausamkeit und die kontinuierliche Belastung dieser traumatisierenden Arbeit verändert die Wahrnehmung und Persönlichkeit der Content-Moderatoren. Doch damit nicht genug. Ihnen ist es verboten, über ihre Erfahrungen zu sprechen. Parallel zu den Geschichten von fünf Content-Moderatoren erzählt der Film von den globalen Auswirkungen der Onlinezensur und zeigt wie Fake News und Hass durch die Sozialen Netzwerke verbreitet und verstärkt werden.
Kritik
Zum jetzigen Zeitpunkt sind weltweit rund 2,28 Milliarden Menschen in sozialen Netzwerken angemeldet. Spitzenreiter ist Facebook, das knapp 280 Millionen von ihnen beherbergt – und es werden tägliche Tausende mehr. Bei diesen Zahlen kann man sich vorstellen, was minütlich für ein Content in die digitalen Netze geblasen wird – allein 500 Stunden Videomaterial auf YouTube, 500.000 Tweets auf Twitter. Bestehen bleibt davon letztendlich nur ein Bruchteil, denn zwischen Urlaubsfotos, Hochzeitsbildern und harmlosen Partyvideos verstecken sich Hassbotschaften, Pornografie und Kriegszeugnisse. Den guten vom bösen Inhalt zu unterscheiden, ist die Aufgabe sogenannter Content-Moderatoren, die von mit Sperma bespritzten Kleinkindern bis hin zu Enthauptungen mit ungeschliffenen Küchenmessern (beides genannte Beispiele im Dokumentarfilm „The Cleaners) schon alles gesehen haben. Einige stumpfen ab, andere bringen sich um – mit ein Grund dafür, weshalb die führenden sozialen Netzwerke nicht auf Anfragen reagierten, als die beiden deutschen Regisseure Hans Block und Moritz Riesewieck Mitte Mai damit begangen, für ihr Projekt zu recherchieren. Ihr auf Festivals wie Sundance und Sydney bereits hochgelobtes Debüt (!) erzählt nun ganz aus der Sicht verschiedener Content-Moderatoren von den Schattenseiten der weltweiten Vernetzung und ist dabei so spannend wie ein Thriller, so erschreckend traurig wie ein Drama und so schockierend wie ein Horrorfilm.

Im philippinischen Manila wird zwischen gutem und bösem Internetcontent aus aller Welt unterschieden.
So lange es die sozialen Netzwerke gibt, so lange dauert auch die Faszination für sie an. Das, was sich dort abspielt, worin normale User normalerweise keine Einblicke erhalten, war bis vor wenigen Jahren jedoch vorwiegend Diskussionsgrundlage bei den Technik-Communities. Erst mit einschneidenden, weltpolitischen Ereignissen wie etwa der Wahl Donald Trumps, die uns allen vor Augen führte, dass der Wahlkampf heutzutage nicht mehr in TV-Debatten, sondern vor allem im Netz geführt und von hier aus vor allem gesteuert werden kann, bahnten sich Themen wie Zensur und die digitale Manipulation der breiten Masse auch ihren Weg in den Mainstream. Genau zu diesem Zeitpunkt traten Hans Block und Moritz Riesewieck an die dokuerprobten Produzenten Christian Beetz („Auf Hundeschlitten gegen den Tod“) und Georg Tschurtschenthaler („Mitsommernachtstango“) heran, und griffen den beiden Filmemachern auch bei der Konzeptionierung des Skripts unter die Arme. Das Endergebnis zeugt von einem genauen Auge für die wichtigen und unwichtigen Themen: Trotz des riesigen erzählerischen Feldes, das innerhalb eines einzigen, gerade einmal 88 Minuten langen Filmes niemals vollständig abgedeckt werden kann, ist „The Cleaners“ ein absolut rundes Unterfangen. Es widmet sich gleichermaßen den Persönlichkeiten hinter den Moderatoren, schlägt jedoch immer größere Bögen um sie und zeichnet die in bester Neo-Noir-Optik eingefangenen (Kamera: Max Preiss, Axel Scheppat) Cleaning-Büros im philippinischen Manila als Teil einer verschwörungsgleichen Social-Media-Fabrik.
Nicht jedem Protagonisten wird dabei dieselbe Aufmerksamkeit zuteil, doch Hans Block und Moritz Riesewieck haben einen genauen Blick dafür, wann sich das Aufgreifen privater Hintergründe lohnt und wann das Zeigen der verschiedenen Arbeitsabläufe für sich spricht. Einer jungen Frau dabei zuzuhören, wie sie einzig und allein durch die Aufnahme ihres Moderatorenjobs in die Welt der Sexualität eingeführt wurde, ist interessant und verstörend zugleich, zeigt aber vor allem, wie sich das mitunter abscheuliche Videomaterial (sie erzählt unter Anderem von den Auswüchsen kinderpornografischer Inhalte) auf ihr Leben als Privatperson auswirkt. Von einem ihrer Kollegen erfahren wie hingegen kaum etwas Persönliches, dafür erklärt er dem Publikum anhand von Kriegs- und Folterbildern erschreckend nüchtern, wann er zwischen zu löschendem und zu ignorierendem Inhalt unterscheidet. Auch der berufliche Status der Hauptfiguren spielt eine Rolle: Sämtlichen Moderatoren ist es verboten, über ihren Job zu sprechen, sodass nach wie vor Aktive ohnehin anonym bleiben müssen, während andere wiederum mittlerweile gekündigt haben und sich vor der Kamera frei bewegen können. Vor allem durch letztere ergibt sich mit der Zeit außerdem ein intimer Einblick in das Leben der Slums auf den Philippinen, wo Menschen sich lieber Gewalt- und Pornobilder anschauen, anstatt Gefahr zu laufen, Müllsammler zu werden („Ich hatte immer Angst davor, dort zu landen – deshalb habe ich extra viel in der Schule gelernt!“).
Um nicht in die Gefahr völliger Eindimensionalität abzurutschen, greifen die Regisseure in „The Cleaners“ auch immer wieder die Statements Konzernangehöriger auf, die aus ihrer Sicht das Für und Wider von Moderation und Zensur diskutieren: Eine führende Google-Mitarbeiterin erklärt anhand eines bekannten Beispiels – die Vollstreckung des Todesurteils Saddam Husseins –, worin oftmals die Schwierigkeit liegt, gegen illegale Inhalte vorzugehen und sich trotzdem nicht dem Vorwurf der Zensur stellen zu müssen: Als der Diktator 2006 gehängt wurde, hatten zwei Zuschauer die Hinrichtung unerlaubt mit dem Smartphone gefilmt. Wenige Minuten später gingen zwei Videos online: Eines, das die Exekution, und eines, das den Leichnam zeigt. Man entschloss sich, das Tötungsvideo aus historischen Gründen freizugeben, während man im detaillierten Zeigen des Leichnams keinerlei geschichtliche Relevanz erkennen konnte. Diese Veranschaulichung zeigt, wie eine sich ausschließlich auf die virtuelle Realität auswirkende Entscheidung heutzutage Auswirkungen auf den Lauf der Geschichte haben kann – noch immer kann man das Video von Saddam Husseins Hinrichtung online abrufen und hat damit eine gewisse Vorbildfunktion für den Umgang mit derartigem Material. Dieser Blick auf die andere Seite, der für die Konzerngründer so relevante Themen wie das Nutzen sozialer Netzwerke als Werbeplattform noch gar nicht aufgreift, verhilft „The Cleaners“ zu einem erzählerisch mannigfaltigen Bild, das nur erahnen lässt, was sich im Schatten von Social Media wirklich abspielt. Da einige interessante Aspekte abseits der sehr intensiven Aufbereitung verschiedener Einzelschicksale jedoch nur angerissen werden (können), hoffen wir stark auf mindestens eine Fortsetzung.
Fazit: In ihrem stilsicher inszenierten Debüt „The Cleaners“ werfen die beiden Regisseure Hans Block und Moritz Riesewieck einen kompromisslosen Blick hinter die Kulissen sozialer Netzwerke und machen damit Lust auf mehr, da sich mit der Zeit abzeichnet, dass es aus der Welt von Fake News, Spam, Propaganda und Co. noch so viel mehr zu erzählen gibt. Und zwar vor allem aus der Sicht derjenigen, die sich an all den Plattformen eine goldene Nase verdienen.
„The Cleaners“ ist ab dem 17. Mai in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.