Der junge Karl Marx

Derzeit ist Regisseur Raoul Peck mit „I Am Not Your Negro“ für einen Oscar nominiert. Doch bevor die Dokumentation auch hierzulande in die Kinos kommt, hat der gebürtige Haitianer mit DER JUNGE KARL MARX erst einmal die jungen Jahre des Philosophen auf die Leinwand gebracht. Mehr dazu in meiner Kritik.Der junge Karl Marx

Der Plot

Paris, 1844, am Vorabend der industriellen Revolution: der 26-jährige Karl Marx (August Diehl) lebt mit seiner Frau Jenny (Vicky Krieps) im französischen Exil. Als Marx dort dem jungen Friedrich Engels (Stefan Konarske) vorgestellt wird, hat der notorisch bankrotte Familienvater für den gestriegelten Bourgeois und Sohn eines Fabrikbesitzers nur Verachtung übrig. Doch der Dandy Engels hat gerade über die Verelendung des englischen Proletariats geschrieben, er liebt Mary Burns, eine Baumwollspinnerin und Rebellin der englischen Arbeiterbewegung. Engels weiß, wovon er spricht. Er ist das letzte Puzzlestück, das Marx zu einer rückhaltlosen Beschreibung der Krise noch fehlt. Marx und Engels haben denselben Humor und ein gemeinsames Ziel. Sie respektieren und inspirieren sich als Kampfgefährten – und sie können sich hervorragend miteinander betrinken. Zusammen mit Jenny Marx erarbeiten sie Schriften, die die Revolution entzünden sollen.

Kritik

Karl Marx war einer der bedeutendsten deutschen Philosophen, seine Gesellschaftskritiken und -Theorien sind bis heute ein fester Bestandteil von Kritik und Diskussion, die noch immer in Bewegung sind – ganz so, wie die Gesellschaft selbst. In einer Zeit, in der die Lücke zwischen Arm und Reich immer größer wird, sind seine Erkenntnisse aus dem Sozialismus und Kommunismus so aktuell wie nie zuvor; und insofern kommt das von dem haitianischen Oscar-Nominee Raoul Peck („I am not your Negro“) inszenierte Biopic „Der junge Karl Marx“ schon zu einer ziemlich passenden Zeit. Doch gerade aufgrund des sehr breit aufgestellten Einflusses Karl Marx‘ kann eine Auseinandersetzung mit der Person durchaus sperrig werden. Wie bringt man die Zeit von seinen politischen Anfängen 1818 bis hin zu seinem Tod im späten 19. Jahrhundert bloß in einem zweistündigen Spielfilm unter? Der Titel von Pecks Film gibt Aufschluss: Die deutsch-französisch-belgische Koproduktion befasst sich vornehmlich mit den jungen Jahren des politischen Journalisten. Der große Pluspunkt daran: Die einem auf den ersten Blick fern liegenden Theorien erhalten somit einen persönlichen Anstrich. Der Nachteil: In dem Moment als es so richtig spannend wird, ist der Film auch schon zu Ende. Trotzdem gelingt Raoul Pack ein solides Biopic mit einer angenehm menschlichen Note.

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Ist zunächst ein Eigenbrödler: Karl Marx (August Diehl)

„Der junge Karl Marx“ ist ein typischer Vertreter jener Filme, die junge Erwachsene im Schulunterricht zu sehen bekommen dürften, sobald das entsprechende Thema auf dem Stundenplan steht. Mit seinen zwei Stunden durchläuft das gar nicht so bierernste Biopic-Drama zwar die eine oder andere dramaturgische Durststrecke, doch in erster Linie gefällt die Tatsache, dass der Film gar nicht so sperrig ist, wie man es im Anbetracht der Thematik erwarten dürfte. Auch die vorab erwartbare Trockenheit der thematischen Aufbereitung bleibt aus, denn das Skript von Raoul Peck und Pascal Bonitzer („Gemma Bovery“) betrachtet nicht bloß den Theoretiker Karl Marx, sondern nimmt sich ebenso viel Zeit für seine persönlichen Belange. Immer wieder thematisiert der Film die feste Bindung zwischen Marx und seiner Frau Jenny (zuckersüß und äußerst authentisch: Vicky Krieps), rückt vehement die Bedeutung der jungen Frau für das Gelingen seiner Pläne in den Mittelpunkt und betont wiederholt, dass Karl Marx zwar zu einer Art Anführer seiner Bewegung gemacht, diese aber nicht von ihm ganz allein in die Tat umgesetzt wurde. Auch, wenn der Titel Anderes vermuten lässt, ist „Der junge Karl Marx“ ein sich auf drei Figuren gleichermaßen verteilendes Ensemblestück, bei dem ihre Interaktion untereinander konsequent im Mittelpunkt steht. So gehören vor allem jene Momente zu den stärksten, in denen sich Karl Marx und Friedrich Engels nach anfänglicher Antipathie annähern, ebenso wie die romantischen Momente zwischen Karl und seiner Jenny.

Doch wo diese thematische Vielfältigkeit auf der einen Seite dafür sorgt, dass „Der junge Karl Marx“ nicht die Sperrigkeit eines standardisierten Biopics annimmt, verliert Regisseur Raoul Peck in anderen Momenten den Fokus auf das Wichtige. Das nimmt mitunter solche Ausmaße an, dass eigentlich wichtige Szenen so harsch abgebrochen (und später eben nicht wieder aufgegriffen werden), dass der Betrachter schnell das Zeitgefühl verlieren kann. So werden Jenny und Karl in einer Szene mit einer 24-Stunden-Frist aus ihrer Heimat vertrieben, besprechen gerade noch, dass sie ihr Hab und Gut in dieser kurzen Zeit vollständig verkaufen müssen und befinden sich einige Szenenumschnitte später bereits voll eingerichtet und ohne einem dem vorausgehenden Kommentar an einem gänzlich anderen Ort. Was zwischendrin passiert ist, erfährt der Zuschauer nicht. Auch manch eine fachbezogene Entscheidung von Marx‘ und Engels‘ Umfeld dürfte für fachunkundiges Publikum nicht immer sofort zugänglich sein. In gewisser Weise fordert Peck von seinen Zuschauern ein rudimentäres Wissen rund um Karl Marx und Friedrich Engels; anderenfalls steht man hier und da ziemlich ratlos vor dem Film, denn ganz so selbsterklärend, wie es die Inszenierung sein dürfte, ist „Der junge Karl Marx“ nicht. Dafür machen es einem die Figuren leicht, mit ihnen zu sympathisieren. Selbst die zu Beginn noch betonte Aufsässigkeit Karl Marx‘ kann August Diehl („Allied – Vertraute Fremde“) immer mit einer gehörigen Portion Charme aufwiegen.

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Friedrich Engels (Stefan Konarske) und Karl Marx (August Diehl) werden schnell zu engen Freunden und Verbündeten.

August Diehl spielt den jungen Karl Marx als absolut nahbaren, gewissenhaften, aber auch eigensinnigen Zeitgenossen, der in Gegenwart seiner liebenden Ehefrau und Unterstützerin konsequent aufblüht. Das Zusammenspiel zwischen Diehl und Vicky Krieps („Ferien“) ist geprägt von einer Leichtigkeit, die selbst über die merkwürdigen Sprachbarrieren hinaus Bestand hat. Raoul Peck inszeniert „Der junge Karl Marx“ als dreisprachigen Film, doch selbst in der Originalfassung ist nicht immer ersichtlich, nach welchen Kriterien er entschieden hat, welche Sprache in welcher Szene gesprochen wird. Mitunter ändert sich die Sprache innerhalb eines Gespräches von Take zu Take – derart konfus präsentierte sich zuletzt nur das auf englisch gedrehte, jedoch ausschließlich in deutsch-synchronisierter Sprache veröffentlichte Nazi-Drama „Jeder stirbt für sich allein“: Der Pluspunkt von „Der junge Karl Marx“ liegt in der Qualität. Die Emotionen bleiben konstant erhalten – selbst wenn Jenny und Friedrich Engels innerhalb eines einzigen Gespräches (!) mehrmals zwischen französisch und deutsch hin- und herwechseln. Das ist nicht zuletzt auch Schauspieler Stefan Konarske („Same Same but Different“) zu verdanken, der sich mit seiner authentisch-natürlichen aber immer kraftvollen Performance in „Der junge Karl Marx“ endlich für noch mehr große Rollen qualifizieren dürfte – und zwar egal ob in deutsch, englisch oder französisch.

Fazit: „Der junge Karl Marx“ ist ein imposant ausgestattetes, solide inszeniertes Biopic, das aufgrund der sehr persönlichen Erzählweise neue Blickwinkel auf die Person Karl Marx zulässt. Wenn der Regisseur hin und wieder den Kern der Erzählung aus den Augen verliert, gelingt es den Darstellern, den Film zusammen zu halten. Die Logik hinter den sich scheinbar willkürlich ändernden Sprachen erschließt sich einem allerdings überhaupt nicht.

„Der junge Karl Marx“ ist ab dem 2. März in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.

2 Kommentare

  • Kein schlechter Film, aber Engels ist die deutlich interessantere Figur. Vielleicht hätte man einen anderen Titel wählen sollen? Zumal die Beiden ja fast gleich viel Screentime haben.

  • Dass es in diesem Film (zumindest in der OmU-Fassung) ein Spach-Wirr­warr gab, ist mir gar nicht aufgefallen… Was in der Filmkritik schon steht: Ohne Vorwissen erschliessen sich etliche Szenen nicht; es fallen viele Namen von Philosophen oder „Aktivisten“ der damiligen Zeit; aber wofür stehen sie? Worin unterscheiden sich deren zu Marx’s Aussagen? Was soll die Begegnung mit Bakunin, wenn überhaupt nicht erwähnt wird, wofür Bakunin steht? Und mal ganz ehrlich: Braucht es wirklich eine Sexszene mit Jenny und Karl, um zu zeigen, dass Marx auch nur ein „Mensch“ ist? Mein Fazit: Enttäuschend. Das Leben eines „Revolutionärs“, gezeigt als belangloser Kostüm-Film, der sich kaum bemüht, einem die Entstehung der Theorien von Marx näherzubringen. Das „Manifest der kommumistischen Partei“ als Höhepunkt, als Happy End des Filmes ….. aua! 😉

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