Stiller Kamerad

In dem Dokumentarfilm STILLER KAMERAD finden traumatisierte Soldatinnen und Soldaten mithilfe von Pferden ins Leben zurück – doch dieser ganz besondere Therapieansatz von Claudia Swierczek wird längst nicht jedem potenziellen Patienten zugänglich gemacht. Regsseur Leonhard Hollmann sorgt mit seiner Arbeit dafür, dass sie hoffentlich noch viel mehr Leuten möglich gemacht wird. Mehr dazu verraten wir in unserer Kritik.
Darum geht’s
Jedes Jahr leistet die Bundeswehr im Auftrag des Deutschen Parlaments Einsätze in Krisengebieten. Jeder dieser Einsätze lässt verwundete Soldaten heimkehren. Ihre Wunden müssen nicht immer offen sichtbar sein, häufig zeigen sie sich erst viele Jahre nach dem Einsatz als eine Störung ihres seelischen Gleichgewichtes. Eine dieser Störungen ist die sogenannte „Posttraumatische Belastungsstörung“, kurz PTBS. Die Menschen leiden unter Alpträumen und dem Wiedererleben ihrer Einsätze, getriggert durch Umwelteinflüsse. Die Therapien der Bundeswehrkrankenhäuser können dabei nicht jedem helfen. Dort, wo die Schulmedizin an ihre Grenzen kommt, setzt Frau Claudia Swierczek mit ihren Pferden an. In jahrelanger Arbeit hat sie eine Therapiemethode entwickelt, die besondere Fähigkeiten von Pferden nutzt, um auch sogenannten austherapierten Patienten zu helfen.
Kritik
In der alternativmedizinischen Behandlung von Menschen hat die tiergestützte Therapie einen festen Stellenwert. Reittherapie auf Pferden oder Eseln schult das Gleichgewicht und Körpergefühl, die (wenngleich bei Tierschützern hoch umstrittene) Delfintherapie soll die Symptome verschiedener Krankheitsbilder lindern, von Autismus über Depressionen bis hin zu körperlichen Behinderungen, und in Altenheimen sowie Krankenhäusern kommen unter anderem Hunde als seelische Stütze zum Einsatz. Dass Tiere Menschen gut tun, ist nicht nur wissenschaftlich belegt; jeder, der selbst Halter ist oder sich zumindest regelmäßig mit Tieren beschäftigt, kann und wird über kurz oder lang bestätigen, dass diese Zeit positive Auswirkungen auf einen selbst hat – und dafür muss man noch nicht einmal krank sein, schließlich lindern sie auch so ganz banale Dinge wie Einsamkeit oder stärken das Selbstwertgefühl. Diesen Umstand machte sich vor einigen Jahren die Physiotherapeutin und Heilpraktikerin Claudia Swierczek zunutze. In Vielank, einer kleinen Gemeinde im Landkreis Ludwigslust, bietet sie sogenannte pferdegestützte Psychotherapien an, bei der die edlen Vierbeiner als sogenannte „stille Begleiter“ eingesetzt werden und dabei ganz von selbst ihr heilendes Potenzial entfalten. Was auf Außenstehende vielleicht auf den ersten Blick wie kruder Hokuspokus klingt, der sich irgendwo zwischen Wunderheilern und Globuli verorten lässt, hat Hand und Fuß – und genau das fängt Regisseur Leonhard Hollmann in seinem treffend betitelten Dokumentarfilm „Stiller Kamerad“ ein, der sogar noch weitaus besser hätte werden können, hätte der Regisseur mehr finanzielle Mittel zur Verfügung gehabt.
Sich und ihr Team beschreibt Claudia Swierczek auf ihrer Website mit den Worten humorvoll, effektiv, unkonventionell und kompetent. Von Ersterem bekommt man als Zuschauer in „Stiller Kamerad“ zwar kaum etwas mit, doch wenn Leonhard Hollmann im Laufe der 88 Minuten Laufzeit eine Sache gelingt, dann die, eventuellen Skeptikern den Wind aus den Segeln zu nehmen, indem er vor allem die Attribute „effektiv“ und „kompetent“ in den Vordergrund rückt. Dafür hat er einen ganz eigenen, äußerst naheliegenden Ansatz. Bei ihm ist der Titel Programm und so nimmt er sich vor allem Zeit, einfach nur zu beobachten; die Pferde mit den Patienten, die Therapeutin mit den Pferden, die Patienten mit der Therapeutin. Das fördert nicht zwingend überraschende Erkenntnisse zutage – im Gegenteil. Darum, hier vor der laufenden Kamera irgendwelche Wunder zu vollbringen, geht es den Machern weder vor, noch hinter den Kulissen. Das ist sehr clever, denn so bewegen sich die Verantwortlichen immer im Bereich des Glaubhaften, auch wenn das bedeutet, dass im Laufe des Films an sich gar nicht so viel passiert. „Stiller Kamerad“ wirkt selbst im Vergleich zu konventionellen Naturdokus noch einmal entschleunigend; und auch das passt irgendwie wieder ziemlich gut zu der auf kleine Gesten und detaillierten Beobachtungen basierenden Pferdetherapie, in deren Verlauf die Tiere die winzigsten Regungen der Menschen wahrnehmen und spiegeln.
In einer sehr beeindruckenden Szene verliert ein Patient beispielsweise ohne sein Wissen die Anspannung in seinem Körper, was der wenige Meter von ihm entfernte, zuvor noch reichlich skeptische Schimmel damit quittiert, sich in seine Richtung zu bewegen. Es sind diese Momente, denen in „Stiller Kamerad“ viele Szenen der Verzweiflung und Selbstkenntnis voraus gehen, ehe eine so winzige Geste zu einem absoluten Therapiehighlight wird. Neben Aufnahmen von der Therapie mit einer traumatisierten Soldatin und zwei traumatisierten Soldaten widmet sich Leonard Hollmann den Patienten auch außerhalb dieses Umfelds. Der Erkenntnisgewinn aus den kurzen Interviews hält sich zwar in engen Grenzen (man erfährt in „Stiller Kamerad“ einfach viel mehr darüber, wie die Pferdetherapie funktioniert) – auch, weil sich die Schicksale der drei Protagonisten ähneln. Aber es reicht zumindest dafür, zu verstehen, weshalb Claudia Swierczek bei dem einen Patienten diesen, und bei dem anderen jenen therapeutischen Ansatz wählt. Mit fortlaufender Spielzeit löst sich Leonhard Hollmann sogar ganz vom Patientenfokus und rückt ein Ereignis in den Mittelpunkt, mit dem sich mit ein wenig mehr Fingerspitzengefühl sogar eine direkte Parallele zu Kriegserlebnissen ziehen ließe: Swierczek fällt für ein dauerhaft schmerzleidendes Pferd das Todesurteil, das schließlich vor laufender Kamera vom Tierarzt eingeschläfert wird (eine gerade für zart besaitete Seelen sehr harte Szene!).
Es ist die Entscheidung über Leben und Tod, die nicht bloß hier, sondern auch regelmäßig am Kampf an der Front getroffen werden muss, wodurch sich erklären lässt, weshalb diese Szene im fertigen Film drin ist. Darüber hinaus befasst sich Hollmann auch mit den emotionalen Konsequenzen für jeden, der ein solches Erlebnis direkt oder indirekt mitbekommt. Trotzdem wirkt der inszenatorische Aufbau – aller lobenswerten, fehlenden Effekthascherei zum Trotz – ein wenig unbeholfen. Das gilt auch für die Inszenierung an sich, der ein höheres Budget und damit verbundene, technische Möglichkeiten gut zu Gesicht gestanden hätten. Das ist den Verantwortlichen nicht zum Vorwurf zu machen – wenn schon die Therapie als solches (zumindest derzeit) nicht von der deutschen Bundeswehr getragen wird, ein wichtiges Detail, dem sich der Regisseur angemessen ausführlich widmet, weshalb sollte auch nur irgendwer Geld für ein Filmprojekt darüber locker machen? So also war das Team klein. Leonhard Hollmann übernahm viele Positionen selbst. Die Bilder in „Stiller Kamerad“ sind bisweilen durchaus ambitioniert (so eröffnet der Film beispielsweise mit einem ausführlichen Flug einer Drohnenkamera), an anderer Stelle dann wieder kurz unscharf. Auch die Bildaufteilung und der szenische Aufbau wirken immer vorwiegend zweckdienlich und unterliegen keinerlei künstlerischem Anspruch. Das ist völlig in Ordnung – den Verantwortlichen von „Stiller Kamerad“ geht es letztlich vor allem um die Sache, weshalb wir es hier nicht mit einem Unterhaltungs-, sondern eben immer noch mit einem Dokumentarfilm zu tun haben. Doch zumindest Leinwandausmaße besitzt er nicht.
Fazit: „Stiller Kamerad“ ist eine auch für Laien absolut nachvollziehbare Dokumentation darüber, wie Pferde traumatisierten Menschen zurück ins Leben helfen können. Das ist ergreifend und aufklärend. Schade, dass man ihr das niedrige Budget ansieht- die Macher hätten mehr verdient gehabt!
„Stiller Kamerad“ ist ab dem 7. Februar in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.