Am Strand

Basierend auf dem gleichnamigen Roman von Ian McEwan inszeniert Dominic Cooke in seinem unaufgeregten Drama AM STRAND eine in eine Katastrophe mündende Hochzeitsnacht. Das ist leider weniger amüsant, als es klingt – mehr dazu verrate ich in meiner Kritik.

Der Plot

Im Jahre 1962 lernen sich auf einer politischen Versammlung in Oxford zwei junge Menschen kennen, die unterschiedlicher nicht sein können: Florence Ponting (Saoirse Ronan) stammt aus einer angesehenen, wohlhabenden Familie, die in den besten Kreisen verkehrt.  Der junge Edward Mayhew (Billy Howle) hingegen ist in einer chaotischen, aber umso liebevolleren Umgebung aufgewachsen. Zu Beginn ihrer Beziehung ist Florence eine sehr begabte, ambitionierte Geigerin, die mit ihrem Streichquartett große Pläne hat und als berühmte Musikerin in ausverkauften Konzertsälen spielen möchte. Edward hat gerade sein Studium an der UCL mit einem Abschluss in Geschichte beendet und strebt einer Schriftsteller-Karriere entgegen. Zwischen den beiden so unterschiedlichen jungen Menschen entwickelt sich eine innige, zärtliche Liebe. In einem Bereich ihrer Beziehung tun sich beide jedoch schwer: Sie haben keine Erfahrung im intimen Umgang mit dem anderen Geschlecht. Und schon wenige Stunden nach der Trauung kommt es in dem kleinen Flitterwochenhotel am Strand von Chesil Beach zu einem schlimmen Streit zwischen den frisch Vermählten…

Kritik

Seit dem Siegeszug des Internets kommt jeder mit Zugang zum World Wide Web an pornographisches Material. In der Regel muss man nur bestätigen, dass man mindestens 18 Jahre alt ist. Eine richtige Alterskontrolle findet nicht statt. Trotzdem sprechen Statistiken nicht die zu erwartende Sprache: Selbst wenn Teenager immer früher mit eindeutigen Bildern und Videos in Berührung kommen können, haben sie der Statistik nach immer später ihren ersten Sex. In den Sechzigerjahren sah das noch ganz anders aus. Damals hatte man allenfalls ein Buch, das einem biologisch neutral erklärte, was wohin gehört, um ein Kind zu zeugen. An Sexualpädagogen war nicht zu denken. Die Hauptfigur in Ian McEwans Roman „Am Strand“ hätte Letzteres dringend nötig, denn sie hatte zum damaligen Zeitpunkt eben nur ein paar bedruckte Seiten, die sie auf den Geschlechtsverkehr mit ihrem zukünftigen Ehemann vorbereiten. Sich mit vertrauten Personen ihrer Umgebung, Eltern, Geschwistern oder Freunden auszutauschen, war Florence Ponting in den prüden Sixties dagegen nicht möglich. Aus dieser Unsicherheit ließ der Autor, aus dessen Feder unter anderem auch der Klassiker „Abbitte“ stammt, eine Geschichte über emotionales Unbehagen entstehen, die als süße Lovestory beginnt, deren Romantik jedoch nach und nach der bitteren Realität der damaligen Dekade weichen muss, wenn aus sexueller Unerfahrenheit unüberwindbares Misstrauen erwächst, das eine harmonische Ehe nahezu unmöglich macht.

Als sich Florence (Saoirse Ronan) und Edward (Billy Howle) kennenlernen, ist es Liebe auf den ersten Blick.

Die dreifach Oscar-nominierte Saoirse Ronan (2008 für „Abbitte“, 2016 für „Brooklyn“ und 2018 für „Lady Bird“) ist gerade einmal 24 Jahre alt und kann sich in ihrer schauspielerischen Bandbreite trotzdem längst mit deutlich länger im Geschäft verweilenden Kolleginnen messen. Nur ihr beeindruckendes Talent, sich mithilfe kleiner Gesten und einer ausdrucksstarken Mimik ihre Rollen vollständig zu eigen zu machen, sorgt dafür, dass man ihr die frisch verheiratete und dadurch in einer Art Post-Hochzeit-Depression verfallende Neu-Ehefrau genauso abnimmt, wie die unbedarfte High-School-Absolventin in Greta Gerwigs Coming-of-Age-Film „Lady Bird“. In der Romanvorlage ist Ronans Figur „ein paar Jahre über 20“ – also genauso alt, wie die Aktrice selbst. Trotzdem schleppt ihre Florence Schuldgefühle und Ängste mit sich herum, als hätten sich diese über viele Jahrzehnte abgesammelt. Dem gegenüber steht der gleichermaßen unerfahrene wie unbedarfte Edward, der über seine Liebe zu seiner frisch angetrauten Gattin die Unsicherheit im (Ehe-)Bett völlig vergisst. Erst als die vollkommen entgegengesetzten Attitüden dieser grundverschieden mit dem Thema körperliche Intimität umgehenden Zeitgenossen in der Hochzeitsnacht aufeinanderprallen, muss Florence sich in ihren versteckten Gefühlen ihrem Partner gegenüber öffnen, während Edward behutsam auf sein Gegenüber eingehen muss – auf einen Nenner kommen beide nicht und die Ausgangslage von „Am Strand“ könnte im Kontext zu den immer wieder eingestreuten Rückblenden rund um das Kennenlernen der beiden Protagonisten nicht sein; denn wie füreinander geschaffen scheinen die beiden lange Zeit nämlich schon.

In ausführlichen Flashbacks inszeniert Regisseur Dominic Cooke („The Hollow Crowne“) den Weg vom ersten vorsichtigen Kennenlernen über die feurige Verliebtheit bis hin zum steifen Hochzeitsdinner als Reise mit Höhen und Tiefen, die einzig und allein von der sehr schnell sehr innig werdenden Liebe des Protagonistenpaares zusammengehalten wird. Per se interessante Beobachtungen wie die teilweise ungewöhnlichen Familienkonstellationen, wozu auch das gespaltene Verhältnis zwischen Florence und ihrem Vater gehört, bleiben oberflächliche Randnotizen, die immer nur dann kurz zurate gezogen werden scheinen, wenn der Plot ohnehin gerade auf der Stelle tritt. In anderen Momenten lässt der bislang weitgehend unbekannte Filmemacher seine Darsteller regelrecht überdrehen, etwa wenn Florence ihrem Freund ein Musikstück vorspielt und dadurch beide in Ekstase geraten. „Am Strand“ changiert immer wieder zwischen unangebrachter Komik und anklingender Lethargie, was zu einem anstrengenden Rhythmus führt. Und auch, wenn wir Saoirse Ronan im Absatz zuvor noch für ihr wandlungsfähiges Schauspiel gelobt haben, so kann sie hier nur bedingt gegen die holprige Inszenierung anspielen. Dasselbe gilt für Billy Howle („Vom Ende einer Geschichte“), der seinen Edward zwar als glaubhaft mit der Situation überforderten, jungen Mann anlegt, jedoch immer wieder durchscheinen lässt, dass das mitunter auch dem geschuldet sein könnte, dass er als Schauspieler selbst überfordert ist.

Die frisch Vermählten haben schon in der Hochzeitsnacht eine heftige Krise. War die Heirat ein Fehler?

Der auch für das Drehbuch verantwortlich zeichnende Ian McEwan hat immerhin die Prämisse selbst auf seiner Seite. Manchmal genügen schon kleine Beobachtungen und unbedacht von den Figuren ausgesprochene Sätze, um die vermeintliche Harmonie zwischen dem Paar ins Wanken zu bringen. Es ist praktisch nur noch eine Frage der Zeit, bis das Gesamtgefüge auseinander bricht. Diese Unberechenbarkeit macht es aller inszenatorischer Holprigkeit zum Trotz spannend, bis zum Schluss zu beobachten, welchen Weg Florence und Edward gehen werden. Für die Filmfassung seines Werkes hängt der Autor schließlich noch zwei im Roman nicht vorkommende Szenen hintenan. Das ist vermutlich notwendig, denn anders als im Buch verzichtet „Am Strand“ auf die komplexe Veranschaulichung von Florences und Edwards Gefühlswelten. Wir sehen immer nur einzelne Stationen beider Zusammenleben, auf so etwas Naheliegendes wie einen Voice-Over verzichtet das Skript dagegen. Das führt im Finale leider zu einer Eindeutigkeit, die dem Drama ein wenig seiner diffusen Emotionalität beraubt und auch die Altersmaskerade, die Ronan und Howle mal eben um viele Jahrzehnte altern lässt, ist nur bedingt glaubwürdig. Dafür kann sich Kameramann Sean Bobitt („Kill the Messenger“) hier nochmal richtig austoben. Variierte er bereits die eineinhalb Stunden zuvor zwischen einer sehr verspielten Optik in den Rückblenden und sehr ruhigen, fast apathischen, schwerfälligen Bildern am titelgebenden Strand, deren Szenen als erzählerische Klammer dienen, kommt in den beiden Schlussszenen beides zusammen und „Am Strand“ findet zu einem weitgehend runden Abschluss.

Fazit: Die Verfilmung des berühmten Romans „Am Strand“ erlaubt sich einen intimen Einblick in die Gefühlswelt eines sexuell unerfahrenen Paares, bleibt der guten Schauspielleistungen zum Trotz aber in vielen Beobachtungen zu oberflächlich, um wirklich mitzureißen.

„Am Strand“ ist ab dem 21. Juni in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.

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