Foxcatcher

Einer der heißesten Kandidaten der Oscar-Saison 2014/2015 ist FOXCATCHER, ein Psychodrama über einen Ringer, der in einem millionenschweren Gönner die Chance zur großen Karriere sieht. Was trocken klingt, wird mit der Zeit zu einer immer beklemmender werdenden Charakterstudie, die aller höchste Schauspielkunst mit dem akribisch genauen Blick für das Schaffen von intensiver Atmosphäre vereint. Wie sich Steve Carell ein filmisches Denkmal setzt und was Channing Tatum unternimmt, um sich endlich den längst überfälligen Respekt der Kritiker zu verdienen, verrate ich in meiner Kritik.
Der Plot
Der Ringer und einstige Olympiasieger Mark Schultz (Channing Tatum) hat den Höhepunkt seiner Karriere bereits überschritten, als er ein Angebot bekommt, das er nicht ablehnen kann: Der exzentrische Multimillionär John Du Pont (Steve Carell) lädt ihn ein, auf sein luxuriöses Anwesen zu ziehen und dort gemeinsam mit dem US-Ringer-Team für die Olympischen Spiele 1988 in Seoul zu trainieren. Marks älterer Bruder und Mentor Dave (Mark Ruffalo), ebenfalls Ringer und gemeinsam mit seinem Bruder Doppel-Olympiasieger vier Jahre zuvor, soll sich auch anschließen. Während Mark sich schnell von den Verlockungen des reichen Lebens einlullen lässt, zögert der reifere, überlegtere Dave. DuPont, waffenvernarrter Neurotiker und Patriot mit Hang zum Größenwahn, verwickelt Mark währenddessen in eine gefährliche Abhängigkeit – Lob und Luxus werden gepaart mit Trainingsqualen und Psychospielen. Als sich Dave eines Tages doch überreden lässt, Teil von „Team Foxcatcher“ zu werden und mit Frau und Kindern auf das Anwesen zu ziehen, entfalten divergierende Ansichten, unterschwellige Aggressionen und DuPonts wachsende Paranoia eine desaströse Dynamik.
Kritik
US-amerikanische Sportfilme sind hierzulande ein zweischneidiges Schwert. Entweder sie überraschen und begeistern, wie es im vergangenen Jahr etwa das Formel-1-Drama „Rush – Alles für den Sieg“ bewies, oder sie gehen trotz eines immensen Erfolges in Übersee und etwaiger Award-Gewinne gnadenlos unter. Ausgerechnet Bennett Miller erlebte diese Erfahrung bereits am eigenen Leib. Sein preisgekröntes Baseball-Drama „Die Kunst zu gewinnen – Moneyball“ kam im Jahre 2011 gar mit sechs Oscar-Nominierungen daher, konnte hierzulande jedoch nicht einmal 100.000 Besucher zum Ticketkauf animieren. Verwunderlich ist dieser Umstand wahrlich nicht. Während Baseball in den USA einen enormen gesellschaftlichen Stellenwert genießt wie es hierzulande wohl nur König Fußball zu schaffen vermag, tut man sich in Deutschland schwer, auch nur die Spielregeln des Sports zu verstehen. Entsprechend konnten selbst Brad Pitt, Jonah Hill und Co. dem deutschen Publikum dieses offenbar so trockene Thema nicht schmackhaft machen. Auch in „Foxcatcher“ widmet sich Bennett Miller nun einer hierzulande wenig Aufmerksamkeit erhaschenden Sportart sowie einer dahinter stehenden, wahren Tragödie. Der mit insgesamt fünf Nominierungen hoch gehandelte Oscar-Kandidat greift eine Geschichte der Neunziger auf, in der ein hoffnungsvoller Ringer mit den ehrgeizigen Plänen eines zwielichtigen Investors konfrontiert wird. Was wie die trockene Aufbereitung eines Kriminalfalles klingt, wird mit der Zeit zu einem der unberechenbarsten Psychospiele aller Zeiten.
Bennett Millers auf den ersten Blick konventionelles Drama, das von zwischenmenschlichen Differenzen und der Kollision unterschiedlicher (Moral-)Vorstellungen erzählt, lässt rasch die Einflüsse moderner Suspensefilmer erkennen. Irgendwo zwischen der harten Realität im internationalen Kampfsport, wie sie David O. Russel einst in „The Fighter“ einfing, der paranoiden Atmosphäre in Darren Aronofskys „Black Swan“ sowie den ungeschönten Filmen des Neo-Realismus der Marke „Prisoners“ und „Winter’s Bone“ findet sich auch „Foxcatcher“ wieder, der ganz klar mehr ist als eine einfache Charakterstudie. Bennett Miller fokussiert nicht bloß die persönlichen Veränderungen seiner Protagonisten, sondern hinterfragt vermeintlich existenzielle Richtlinien des Sports sowie des Lebens. Es entsteht eine Atmosphäre, die aufgrund so unberechenbarer Gegebenheiten eine Intensität aufweist, die selbst im Kinosaal regelrecht spürbar ist. Passieren kann alles, zu jeder Zeit. Ausgelöst von jeder Figur, die charakterlich nicht gefestigt ist. Da dies in „Foxcatcher“ auf nahezu jede zutrifft, sind die Möglichkeiten der Storyentwicklung schier grenzenlos. Doch auch die brennende Spannung, die das Drama in ein elegantes Thriller-Gewand kleidet, kann das ganz Elementare nicht verdecken: „Foxcatcher“ ist Darstellerkino aller erster Güte, das den Betrachter ernsthaft dazu animiert, darüber nachzudenken, mit welchen Worten man die hohe Kunst der Schauspielerei in diesem Fall angebracht würdigt.
Auch die Verfasserin dieser Zeilen scheut bei der Betrachtung herausragender Akteursleistungen nicht selten die Verwendung von Superlativen. Bei dem, was Steve Carell in „Foxcatcher“ für eine Darbietung zum Besten gibt, ist allerdings jedes noch so positive Attribut schlichtweg zu wenig, um das Gesehene in angemessenen Worten beschreiben zu können. In seiner Rolle des undurchsichtigen Trainers John Du Pont pulverisiert der einstige Comedy-Star („The Office“) nahezu sämtliche bahnbrechenden Schauspielleistungen der vergangenen Jahrzehnte im Alleingang. Ob Kevin Spacey in „American Beauty“, Daniel Day-Lewis in „Lincoln“ oder auch Jack Nicholson in „Einer flog über das Kuckucksnest”: So begeisternd das männliche Who-is-Who aus Hollywoods A-Schauspielriege in den letzten Jahren diverse Figuren verkörperte, so unauffällig sehen sie doch neben dieser einen Rolle aus, die aus Steve Carell endgültig einen Charaktermimen für die Ewigkeit macht. Dabei ist nicht bloß das verblüffend lebensechte Make-Up, das Carell im wahrsten Sinne des Wortes mit seinem Charakter verschmelzen lässt, der Grund dafür, dass es dem Publikum ab dem Auftauchen sener Figur immer wieder die Sprache verschlägt. Nachdem sich der Zuschauer mehrmals vergewissert hat, dass sich hinter dem aufgedunsenen, ergrauten Antlitz des durch Schminke um mehrere Jahrzehnte gealterten Schauspielers tatsächlich Steve Carell steckt, paralysiert, ja, hypnotisiert das Agieren des so sympathischen US-Amerikaners auf eine Art und Weise, wie so in der Form noch nie da gewesen ist. Carell macht vergessen, dass er für die zwei Stunden bloß eine Rolle verkörpert. In seinem zwischen Wahnsinn und beunruhigendem Charisma balancierenden Spiel benötigt der Akteur stets nur kleine Gesten, um das Optimum an Authentizität aus seiner Figur herauszuholen. Dass Steve Carell in der Originalfassung mit einer Art „nasalem Akzent“ spricht, ist nur eine Kleinigkeit dessen, was die Figur ausmacht. Der Schauspieler spricht nicht bloß wie sein reales Vorbild; er läuft, guckt und, so möchte man fast meinen, blinzelt gar exakt so, wie man es sich von einem Menschen vorstellt, wie John Du Pont einst einer war.
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