Melancholia

„Die ersten Minuten dieses Films möchte man so, wie sie sind, ins Museum stellen.“, schrieb die FAZ zu Lars von Triers neustem und vielleicht bestem Meisterwerk MELANCHOLIA. Damit stand die „Frankfurter Allgemeine“ nicht alleine da mit ihrem Lob – Kritiker überschlugen sich in ihrer Begeisterung über das melancholische Endzeitdrama, das den Zuschauer mit seiner Bildgewalt umhaut und sich in seiner Dramatik nahezu selbst die Luft abschnürt. Doch was verbirgt sich tatsächlich hinter all der Lobhudelei? Tatsächlich ein Meilenstein in der Filmgeschichte, oder ein überschätztes Kritikerfilmchen? Die Antwort darauf in meiner neusten Kritik.
Der Plot
Justine (Kirsten Dunst) und Michael (Alexander Skarsgård) sind glücklich – denn sie sind seit wenigen Stunden verheiratet. Da macht es auch nichts, dass auf dem Weg zum Schloss, in welchem die Hochzeitsfeier stattfinden soll, einiges schief geht. Dort angekommen erwartet die beiden Justines Schwester Claire (Charlotte Gainsbourg). Sie ist die ruhigere der beiden Schwestern und schafft es nicht, sich von der lebensfrohen Justine von ihren melancholischen Stimmungen ablenken zu lassen. Doch im Laufe der Feier ändern sich die Rollen: Justine verliert ihr Lächeln, entwickelt innerhalb kürzester Zeit schwere, depressive Züge, wohingegen Claire langsam aufzutauen beginnt. Dennoch kommt es zu einem Eklat: vor versammelten Gästen wird Justine von ihrer Mutter bloßgestellt, sie verliert ihren Job und je später der Abend, desto unsicherer wird selbst Justines frisch angetrauter Ehemann, in ihr die Frau seines Lebens gefunden zu haben; er trennt sich. All dies scheint unmittelbar mit Melancholia – einem Planeten, welcher in direkter Nähe zur Erde kreist – zusammenzuhängen. Melancholia ist der Erde mittlerweile ziemlich nah gekommen und es scheint, als stünde ein Zusammenprall zwischen den beiden Planeten schon bald bevor. Dieser Zustand versetzt Claire zunehmend in Angst, während Justine in ihrer Obhut wieder aufblüht. Doch ein Happy End scheint im Laufe der Zeit immer abwegiger…
„Da ist er – euer Vorbeiflug!“
Kritik
Fernab vom Mainstream-Popcornkino schuf Lars von Trier („Dogville“, „Antichrist“) einen künstlerisch anspruchsvollen Arthouse-Film, dessen vorrangige Stärke die überaus ästhetische Optik ist. Allein die ersten zehn Minuten präsentieren sich wie ein verfilmter Bildband. Es passiert nichts, außer dass sich mal mehr, mal weniger mit dem Film in Verbindung bringende Bilder in einer auf’s Äußerste reduzierten Zeitlupe zeigen. Wie genau dieses Opening einzuordnen ist, bleibt unklar. Auf die Handlung bezogen, könnte man es sogar weglassen. Aus künstlerischer Sicht jedoch versprühen die Bilder eine ganz eigene, verneigungswürdige Vollkommenheit.
Nach dieser Anfangssequenz setzt der erste von zwei Handlungssträngen ein. In „Justine“ erzählt der Plot von der in einer Katastrophe endenden Hochzeitsfeier von Justine und Michael. Obwohl sich auf dem Bildschirm eine frohgestimmte Hochzeitsgesellschaft zeigt, ist eine die Luft abschnürende Tristesse allgegenwertig. Man sucht verzweifelt nach lächelnden Gesichtern, nach Menschen, die frohen Smalltalk führen, doch Fehlanzeige. Der prunkvoll geschmückte Festsaal ist lediglich Fassade einer Gesellschaft, die einander nicht leiden kann, die lieber woanders wäre. So, wie es auch in der Realität immer wieder vorkommt, dass Menschen gute Miene zum bösen Spiel machen, zeigt „Melancholia“, was passiert, wenn jeder derart oberflächlich agiert und es keinen Kontrast dazu gibt – z.B. Menschen, die sich in der aktuellen Situation wohlfühlen. Somit zeigt sich die Hochzeitsgesellschaft ungeheuer ehrlich, wenngleich es einige Zeit braucht, um zu dieser Erkenntnis zu gelangen. Denn oberflächlich betrachtet, liegt es nicht fern, einfach alle Festgäste als „Spielverderber“ zu titulieren. Besonders gut gelingt diese Abgrenzung hierzu einer grandios agierenden Kirsten Dunst („Spider Man“, „Mona Lisas Lächeln“), da sie zum einen in ihren ersten zwanzig Spielminuten noch eine Frohnatur abgibt, in den nächsten zwanzig den Anschein macht, tatsächlich „nur“ eine Spielverderberin zu sein und schlussendlich von dieser zu einem seelischen Wrack wird. Während dieser emotionalen Wandlung (die dabei keineswegs einer Charakterwandlung gleich kommt), kommt es zu einem Rollentausch zwischen Claire und Justine, der ganz banal vom zweiten Handlungsstrang eingeläutet wird, der den Titel „Claire“ trägt.
Charlotte Gainsbourg („21 Gramm“, „Antichrist“), neigt in ihrer Rolle immer wieder dazu, sich einerseits hinter Dunst zu verstecken, handelt aber gleichzeitig exakt gegensetzlich, wenn sie ihre toughe, fascht harsche Art zum Vorschein bringt. Damit kommt es vor, dass sie den Fluss von „Melancholia“ zu stören scheint und doch wird es wohl genau das sein, was Lars von Trier mit derart gegensätzlichen Charakteren erreichen wollte: zwei haltlose Frauen, die sich immer wieder die Bälle zuspielen, sie dann voneinander wegkicken, um sich schlussendlich in der Mitte zu treffen und ihn sich einander zu überreichen. Beobachtet vom Planeten Melancholia, der zwar droht, den Weltuntergang zu bringen, gleichzeitig aber auch die beiden Schwestern in ihrer Verzweiflung zusammenführen könnte.
Fast nichtig wirken da die Nebenrollen, die allesamt ordentlich besetzt sind, gegen die emotionale Stärke der Frauenrollen jedoch absolut nichts ausrichten können. Sie werden schlicht und einfach an die Wand gespielt.
Die Handlung als solches ist sicher für einen heimischen Filmabend eine anspruchsvolle und außergewöhnliche. Der Film ist von Dialogen durchzogen und gleichzeitig gespickt mit einer ebenso beeindruckenden, wie originellen Bildsprache, die ganz klar die Handschrift eines Lars von Trier erkennen lässt. Das Besondere an dem über zweistündigen Filmvergnügen ist vor allem die Richtung, die nie ganz deutlich auszumachen ist. Allzu oft scheint der Film bereits am Ende, nur um noch einmal 20 Minuten Handlung hinten anzuhängen, die einem radikalen Richtungswechsel Folge leistet. Passend hierzu wird der gesamte Film vom „Tristan-Motiv“ aus Richard Wagners Oper „Tristan und Isolde“ untermalt, das aufgrund seine harmonischen Zusammenstellung für den Musiker undurchsichtig erscheint und damit die ebenfalls unklare Handlungsrichtung bekräftigt. Die Stimmung ist trist und traurig, gleichzeitig lebensbejahend und die Hoffnung nie aus den Augen verlierend. So scheint von Trier, der offen zugab, mit „Melancholia“ seine Depression bebildert und verarbeitet zu haben, die Verzweiflung melancholischer und depressiver Fantasien zum Ausdruck bringen zu wollen, auf der anderen Seite jedoch zu verhindern, dass nach Sichtung des Filmes ebenso depressive Menschen zum Strick greifen.
Damit gelang Lars von Trier ein Meisterwerk auf der Ebene des Kunstfilms. Während die FAZ sich in Sachen Museumsbestückung noch auf den Prolog beschränkte, so wäre es aus meiner Sicht nur angebracht, „Melancholia“ als Ganzem einen Platz in einem Kunstmuseum zu vergönnen. Zwar bleibt das Drama, das wegen seiner Thematik auch in die Science-Fiction-Ecke passt, aufgrund der leisen Töne, die es anschlägt und des komplexen Plotaufbaus ein typischer Kritikerfilm, der seine Fans wohl ausschließlich unter „Zufalls-Sehern“ finden wird, jedoch ist ihm die Aufmerksamkeit des Cineasten sicher. Allein für die allerletzte Einstellung lohnt es sich, diesen Film in seiner Vollendung einfach zu genießen.
BluRay oder DVD?
Da „Melancholia“ vor allem aufgrund seiner Bildsprache funktioniert, sollte dieser Vorzug des Films mithilfe der BluRay-Disc unterstützt werden, wenngleich Bild und Ton der DVD hervorragend sind.Doch die BluRay kommt außerdem mit einem ausführlichen, absolut sehenswerten Making Of in vier Teilen daher. Ein Audiokommentar von Lars von Trier persönlich rundet die BluRay ab, die hiermit von mir empfohlen wird.