Hexenjagd

Ursprünglich sollte HEXENJAGD ins Kino gelangen. Nun aber wird der deutsche Historienstoff zur Heimkinopremiere, unter anderem bei Amazon Prime. Weshalb das ein Jammer ist, verraten wir in unserer Kritik zum Film.

OT: Hexenjagd (DE 2021)

Der Plot

Das 18. Jahrhundert: Obwohl sich die Welt im Großen und Ganzen im Umbruch befindet, lebt der Großteil der Menschen weiterhin in großer Armut. Aberglauben und Hungersnöte beherrschen weiterhin das Bild der Städte. Eine einzige Anschuldigung genügt, um das Leben eines Menschen zu zerstören. Als die Heilerin Catharina (Xenia Assenza) die sexuellen Angriffe eines Adligen abwehrt, wird sie daraufhin von ihm der Hexerei angeklagt und zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt. Auch der Osmane Tahir (Erkan Acar) wird Opfer der Bigotterie eines Deutschlands, das gedanklich im Mittelalter stecken geblieben ist: Zwangsgetauft soll er Pfarrer Johann (Alexander Schubert) dienen, doch er will sich nicht verbiegen lassen. Als Tahir und Catharina die Möglichkeit ergreifen, gemeinsam zu fliehen, bläst der mächtige Fürst Wilhelm (Gedeon Burkhard) zur Jagd auf das Paar …

Kritik

Im Mai 2019 machte die deutsche Kreativschmiede Mavie Films bekannt, dass sie einen neuen Deal einging, der dafür sorgt, dass ihre nächsten Projekte eine reguläre Kinoauswertung erhalten, statt wie „Schneeflöckchen“ nur auf Festivals und „on Demand“ auf der großen Leinwand zu laufen. Während die in der damaligen Pressemitteilung erwähnte Komödie „Ronny & Klaid“ auch wie versprochen ins Kino kam, hatte der ebenfalls darin angeschnittene Historienstoff „The Witch and the Ottoman“ schieres Pech: Eingangs für einen Start Anfang 2020 anvisiert, kam der aufwändigen Indieproduktion die Corona-Pandemie dazwischen. Nun, fast ein Jahr nach dem einst erhofften Kinostart, wird die Regiearbeit des Berliners Sebastian Mattukat unter neuem Titel als Heimkinopremiere ausgewertet. Das ist ein Jammer, denn „Hexenjagd“ leistet einen wertvollen Beitrag zu einer leidigen Diskussion über deutsche Filmproduktionen: Mit erschreckender Regelmäßigkeit schwillt in der Bundesrepublik die Debatte an, hiesige Filmschaffende könnten ja nur Familienkino, schwerfällige Dramen (bevorzugt über den Zweiten Weltkrieg/den Holocaust) und tumbe Komödien. Solch unterschiedliche Gegenbeweise wie „Steig. Nicht. Aus!“, „Der Nachtmahr“, „Abgeschnitten“, Hell – Die Sonne wird euch verbrennen“, „Berlin Falling“ oder „Tschiller: Off Duty“ werden üblicherweise sträflich vom Publikum ignoriert oder von der Kritik in der Luft zerrissen – oder gar beides.

Die Heilerin Catharina (Xenia Assenza) wird zum Opfer einer Hexenjagd.

Einzig das mit einem Hauch des magischen Realismus versehene Historienepos „Der Medicus“ bewies, dass deutsche Filme abseits der drei Klischeeschubladen Kritik und zahlendes Publikum gleichermaßen begeistern können. Und das dann aber umso furioser: Mit 3,63 Millionen Ticketverkäufen brachte es Philipp Stölzls Bestselleradaption hierzulande auf Rang sieben der erfolgreichsten Kinofilme des Jahres 2013 – womit sie „Hangover 3“, „Fast & Furious 6“ und „Kokowääh 2“ schlug. Umso rätselhafter ist es, dass seither nicht erneut in diese Kerbe geschlagen wurde, wo das Filmgeschäft doch sonst kaum einen Hit kommentarlos für sich stehen lässt. Nun fehlt es leider den kreativen Kräften vor und hinter der Kamera von „Hexenjagd – Ein Kampf um Liebe und Freiheit“ am Mainstream-Ruhm, um mit diesem Film eine kommerzielle Zugkraft zuzutrauen, die an „Der Medicus“ heranreicht. Aber es wäre ein weiteres, wichtiges Zeichen für das interessierte Publikum und an die Filmbranche gewesen, diesen Film über osmanische Kriegsgefangene und Hexenjagd ins Kino zu bringen und so erneut daran zu erinnern, wie variantenreich das deutsche Kino sein kann. Zumal „Hexenjagd“ trotz seiner vergleichsweise geringen Mittel die „Streng genommen ist längst die Neuzeit angebrochen, aber es fühlt sich weiterhin nach Mittelalter an“-Epoche visuell gekonnter zum Leben erweckt als so mancher kostenintensiv produzierter Historien-Fernsehfilm:

Produktionsdesignerin Maria Nickol („Der Geburtstag“) und Kostümdesignerin Sabrina Krämer („Er ist wieder da“) erschaffen hier ein verlebtes, nicht aber mehr völlig verschmutztes Deutschland zwischen Mittelalter und Aufklärung. Einzelne Requisiten und Kostüme wirken, schaut man ganz streng hin, vielleicht ein kleines Bisschen nach „frisch aus dem Fundus“, doch in der Gesamtheit sorgt „Hexenjagd – Ein Kampf um Liebe und Freiheit“ für ein stimmiges, überzeugendes Gesamtbild, statt in die „Willkommen auf dem Mittelaltermarkt“-Falle oder die ähnlich beliebte „Es war vor der Industrialisierung, also ist einfach alles abartig schmutzig“-Falle zu tappen. Mattukat und Kameramann Julian Landweer („Ronny & Klaid“) fangen diese Welt in klaren Bildern ein, die auf übermäßige Farbfilter verzichten – umso mehr werden die Emotionen des Publikums durch die Bildeinstellungen gelenkt: Keine monotone TV-Historienfilm-Bildabfolge, sondern ein fast schon exzentrisches, doch nie unruhiges Regiehändchen vermittelt deutlich das Innenleben der abgebildeten Figuren.

Gedeon Burkhard und Alexander Schubert komplettieren den Cast.

Jedoch überreizt Mattukat den Gebrauch von Slowmotion. Vor allem, nachdem Catharina und Tahir ausgebüxt sind und sich romantisch annähern, distanziert der häufige Einsatz dieses Verfremdungseffekt das Publikum von diesen beiden Figuren, obwohl wir ihnen erzählerisch näher kommen und sie von ihrer menschelnden, alltäglichen Seite kennenlernen – frei vom beengenden, vorurteilsbehafteten Korsett von Catharinas Heimatgemeinde. Glücklicherweise ist da noch das harmonische Zusammenspiel von Xenia Assenza („Tschick“) und Erkan Acar („Faking Bullshit“), die die einstigen Titelhelden des Films sehr nahbar anlegen und ihnen über ihre Position als gesellschaftlich Unterdrückte (sei es vom Patriarchat oder von starrer Religiosität) hinaus Charakter verleihen. Auch der Nebencast überzeugt: Während Gedeon Burkhard („Sauerkrautkoma“) als niederträchtiger Fürst Wilhelm eine routiniert-heuchlerische Darbietung abgibt, die eine schroffe Persönlichkeit mit royalem Auftreten vereint, gibt „heute-show“-Stammmitglied und Mavie-Films-Wiederholungstäter Alexander Schubert als schmieriger Geistlicher seine bisher beste Schauspielleistung.

„Es wäre ein weiteres, wichtiges Zeichen für das interessierte Publikum und an die Filmbranche gewesen, diesen Film über osmanische Kriegsgefangene und Hexenjagd ins Kino zu bringen und so erneut daran zu erinnern, wie variantenreich das deutsche Kino sein kann.“

Die größte Schwäche von „Hexenjagd – Ein Kampf um Liebe und Freiheit“ betrifft leider einen thematischen Aspekt, den wir ohne Spoiler unmöglich ansprechen könnten. Daher sei schon jetzt für alle, die unvoreingenommen an den Film herantreten wollen, ein Zwischenfazit gegeben: „Hexenjagd“ ist gut gespieltes, hochwertig produziertes, deutsches Indie-Historienkino, das trotz thematischer Fahrigkeit sehr gefällig ist und große Hoffnung weckt, noch viel mehr von allen Beteiligten zu sehen zu bekommen.

Letzte Spoilerwarnung, zur erwähnten thematischen Ungereimtheit im letzten Filmakt.

Im großen Finale von „Hexenjagd“ wird enthüllt, dass Catharina tatsächlich eine Hexe ist und bei der Abwehr einer versuchten Vergewaltigung unterbewusst das Verderben einer ganzen Ernte ausgelöst hat. Die für das Skript verantwortlichen Erkan Acar, Sebastian Mattukat und Alexander Schubert skizzieren dies deutlich als unbeabsichtigte Auswirkung eines berechtigten Abwehrmanövers Catharinas und nutzen den „Sie ist wirklich eine Hexe“-Twist zudem für einen tarantinoesk-geschichtstevisionistischen Racheakt, bei dem sich das Helden-Duo vom Scheiterhaufen freikämpft. Die Intentionen der Filmschaffenden hinter „Hexenjagd“ sind zweifelsfrei löblich: Einerseits wollten sie einfach im Historiengewand ein Stück Genrekino machen und so das deutsche Kino gegen den Strich bürsten. Und das zentrale Thema dieses Fantasy-Historienfilms ist es, Heuchelei anzuklagen – es geht um die Machtgier Adliger und Geistlicher, darum wie Männer Frauen anklagen, wenn sie nicht gefügig sind, und wie religiöse Ausflüchte und Traditionen genutzt werden, um Menschen zu drangsalieren. Die Autoren machen deutlich, dass keiner der Machthabenden wirklich Catharina für eine Hexe gehalten hat, bevor sie sich als eine enttarnt, sondern nur ihren eigenen Status durch das Opfern einer Frau verbessern wollten.

„Die Autoren skizzieren die Entwicklungen als Auswirkung eines berechtigten Abwehrmanövers Catharinas und nutzen den „Sie ist wirklich eine Hexe“-Twist für einen tarantinoesk-geschichtstevisionistischen Racheakt, bei dem sich die Helden vom Scheiterhaufen freikämpfen.“

Das Problem ist schlicht, dass diese für sich genommen völlig nachvollziehbaren filmemacherischen Absichten nicht all zu gut harmonieren: Denn selbst wenn keiner der ranghöheren Ankläger an Hexenkräfte geglaubt hat, so lag das in „Hexenjagd – Ein Kampf um Liebe und Freiheit“ gezeigte Volk vollkommen richtig, als es blindlings Catharina für die verdorbene Ernte verantwortlich gemacht hat. Hintergründe ihrer Hexerei hin oder her: Es verwässert das Thema der Toleranz und Bigotterie, wenn der hasserfüllte Mob richtig liegt. Horrorregisseur Scott Derrickson sagte über solche Konzepte einst: Ein Film über Hexenverfolgung, bei dem die Hexen schuldig sind, ist wie ein Holocaustdrama, in dem die Juden es verdienen.

Die Bilder in „Hexenjagd“ haben Kinoformat.

Ganz so harsch wollen wir es an dieser Stelle keinesfalls formulieren – die bereits erwähnten Gründe haben weiterhin Bestand: Einzeln für sich betrachtet sind gute Intentionen zu erkennen. Trotzdem passen diese Puzzleteile nicht mühelos zusammen – solcher Geschichtsrevisionismus wird bei Tarantino schließlich aus gutem Grund stets ganz anders und bedächtig vorbereitet. Mélanie Laurents Figur in „Inglourious Basterds“ fädelt beispielsweise einen komplexen Hinterhalt ein, statt dass Tarantino enthüllt, dass sie als Jüdin ein übernatürliches Monstrum ist, und nun ihre grausigen Fähigkeiten einsetzt, um den Nazis eins auszuwischen. „Hexenjagd“ wäre allein schon dadurch thematisch deutlich kohärenter, wenn eine gute Macht Catharina erst dann Kräfte verleihen würde, mit denen sie sich und Tahir beschützen kann, nachdem sie völlig unschuldig verurteilt wurde. Dies würde das Finale stärker in einer unmissverständlichen „Scheiße, ja! Zeig’s den Mistkerlen“-Tarantino-Art gestalten, und die von Scott Derrickson erwähnten Implikationen besser vermeiden. Gleichwohl wäre es unfair gegenüber dem talentierten Team hinter „Hexenjagd – Ein Kampf um Liebe und Freiheit“, den Film darauf zu beschränken, wie er in den letzten Minuten ins Taumeln gerät und durch die rein auf den einzelnen Moment blickende Umsetzung seine thematisch sonst so unmissverständlichen Aussagen ins Wanken bringt. Dafür sind das zur Schau gestellte Handwerk und die spürbare Passion der Verantwortlichen zu lobenswert.

Fazit: Der dritte Akt hätte eine inhaltliche Überarbeitung gebraucht, damit sich „Hexenjagd“ in seiner Aussage nicht selbst ein Beinchen stellt. Dennoch ist dieses Indie-Historiendrama mit Fantasy-Einschlag eine sehenswerte Abwechslung vom deutschen Mainstream.

„Hexenjagd“ ist ab dem 5. Januar als VOD auf den gängigen Plattformen sowie ab dem 14. Januar als DVD erhältlich.

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