The Devil all the Time

Ein Netflix-Highlight aus dem Jahr 2020 wollen wir nicht untergehen lassen: Mit ein paar Monaten Abstand verraten wir euch in dieser Kritik, wie wir die starbesetzte Bestsellerverfilmung THE DEVIL ALL THE TIME finden.
Der Plot
Die heruntergekommene Gemeinde Knockemstiff in Ohio vereint alles, was es an Schreckensgeschichten darüber gibt, wie der sogenannte „Bibelgürtel“ der USA wirklich ist: Hier wächst Arvin Eugene Russell (Tom Holland) zwischen religiösen Fanatikern, Psychopathen und korrupten Sheriffs auf. Seine Stiefmutter Charlotte (Haley Bennett) ist schwer krank und hoffnungslos. Ihr Mann Willard (Bill Skarsgård) ist Kriegsveteran und glaubt an Okkultismus. Arvin will der Gewaltspirale entkommen, die diesen Ort bestimmt. Aber solche Leute wie ein Serienkiller-Pärchen (Jason Clarke und Riley Keough), der dubiose Sheriff Lee Brodecker (Sebastian Stan) und der zwielichtige Priester Preston Teagardin (Robert Pattinson) verhindern dies. Durch ihre Taten … und teils allein schon durch ihre Präsenz…
Kritik
Der US-amerikanische Schriftsteller Donald Ray Pollock ist vornehmlich für seine schwere Kost bekannt, in der er die Tristesse und die moralischen Abgründe seiner Heimatregion verarbeitet. Seinen Durchbruch hatte der Autor, der zuvor unter anderem Schlachthofarbeiter war, mit einer 18-teiligen Anthologie über seinen Geburtsort Knockemstiff. Die kurzen Erzählungen waren von sinnloser Gewalt, zerrüttenden Hoffnungen und schmerzlichen Sehnsüchten durchsetzt – und Pollocks Roman „Das Handwerk des Teufels“, nun unter seinem Originaltitel für Netflix adaptiert, knüpft nahtlos an dieser Tonalität an. So gesehen hat Netflix mit „The Devil All the Time“ im Herbst also seinem als Oscar-Hoffnung veröffentlichten, aber durch sehr negative Kritiken rasch ausgebremsten Drama „Hillbilly-Elegie“ vorweg gegriffen. In beiden Filmen türmen sich die Schicksalsschläge und herben Dramen, die in ländlichen Regionen der USA, die sich selbst als christlich-konservativ sehen, häufig verbucht sind. Doch wo Ron Howards Film mit melodramatischer, mitleidiger „Diese Leute sind das Salz der Erde, und schaut, was ihnen zustößt!“-Tonalität auf dieses Milieu blickt, zeichnet Regisseur António Campos nach Pollocks Vorlage ein desolates, niederschmetterndes Bild einer Parallelgesellschaft, in der sich Teufelskreise noch und nöcher finden lassen.
Obschon etwa durch Tom Hollands Figur des wohlmeinenden, von seinem Umfeld erdrückten Eugene deutlich gemacht wird, dass keinesfalls verallgemeinert werden sollte, so konzentriert sich „The Devil All the Time“ auf die schwitzigen, seelisch verrotteten Abgründe von Knockemstiff: Extremistische religiöse Gefühle, Prediger, die mit voller Überzeugung die Bibel fehlinterpretieren und dafür Applaus ernten, in blinde Gewalt ausartende Verzweiflung, und völlige Rücksichtslosigkeit machen die Figuren aus, um die sich dieser Film primär dreht. Und Böses bedingt Böses: „The Devil All the Time“ ist ein narrativer Flickenteppich, in dem sich Einzelschicksale unwissentlich gegenseitig beeinflussen und so neue, fatale Einzelschicksale bedingen – ein Anti-„Tatsächlich… Liebe“, sozusagen. Getreu wird das Gezeigte durch poetische Formulierungen eines Erzählers konterkariert, der in der Originalfassung Pollock selbst ist, der mit einer ruhigen, besonnenen, dennoch kernigen Stimme für eine spezielle Stimmung sorgt. In der Synchro wiederum begleitet Hörbuchsprecher Axel Lutter mit einfühlsamer Gelassenheit das garstige Geschehen zu einem gewollt-irrtierenden Effekt – ein freundlicher Märchenonkel wühlt in den fauligen Eingeweiden des Bibelgürtels.
„The Devil All the Time“ ist ein narrativer Flickenteppich, in dem sich Einzelschicksale unwissentlich gegenseitig beeinflussen und so neue, fatale Einzelschicksale bedingen – ein Anti-„Tatsächlich… Liebe“, sozusagen.
Dem Cast von „The Devil All the Time“ kommt konsequenterweise nicht die Aufgabe zu, besonders nuanciert zu spielen, sondern diese zugespitzten Archetypen intensiv und dennoch plausibel anzulegen. Robert Pattinson gibt die wohl eindrucksvollste Darbietung im Film und macht aus einem schmierigen Geistlichen eine verlogene, selbstverliebte Witzfigur mit Quietsche-Akzent, die dennoch durchweg etwas Gefährliches ausstrahlt. Harry Melling wiederum ist die düstere Karikatur manischer Priester, wie sie in Bibelgürtel-Dramen oftmals vorkommen, und Riley Keough ist als aufgekratzte Killerbraut der wohl vitalste Teil des Films. Sebastian Stan als knurrender Cop und Tom Holland, Eliza Scanlen sowie Mia Wasikowska sind derweil Bauernopfer in diesem Schachspiel des Leids. Regisseur Antonio Campos setzt auf eine staubige, ranzige Bildästhetik, die dennoch nicht monoton wird – dafür gestaltet er die Art und Weise, wie sich Knockemstiffs Abgründe visuell äußern zu variantenreich.

Haley Bennett als Charlotte Russell und Bill Skarsgård als Willard Russell in Netflix‘ „The Devil all the Time.
Untermalt wird „The Devil All the Time“ mit einer illustren Auswahl an Country- und Bluegrass-Liedern voller Wehmut und romantischer Sehnsucht, die Knockemstiffs Realität auf den Traum des gelassenen Nirgendwos in den USA treffen lassen. Es lässt sich kritisieren, dass „The Devil All the Time“ bloß abbildet, statt erläutert, was genau solche Teufelskreise ermöglicht, geschweige denn sogar Lösungsansätze bietet. Dennoch wäre es verfehlt, „The Devil All the Time“ als „Elendsporno“ darzustellen – Antonio Campos Inszenierung ergötzt sich nicht an den Schicksalen, und ebenso wenig will er geheucheltes Mitleid für die herzlosen Schmerzverursacher:innen in diesem Film wecken. Viel mehr geht es darum, furchtbar verblendete Menschen und das Biotop, in dem sie in die Höhe schnellen, kompromisslos abzubilden – und es dem Publikum zu überlassen, welche Konsequenzen es zieht.
„Es lässt sich kritisieren, dass ‚The Devil All the Time‘ bloß abbildet, statt erläutert, was genau solche Teufelskreise ermöglicht, geschweige denn sogar Lösungsansätze bietet. Dennoch wäre es verfehlt, ihn als „Elendsporno“ darzustellen.“
Fazit: „The Devil All the Time“ ist ein dreckiges Drama über miese Menschen, das gekonnt und mit Sogwirkung ausgebreitet wird.
„The Devil all the Time“ ist bei Netflix streambar.
Auch wenn wir uns als Europäer einigermaßen in der us-amerikanischen Geschichte auskennen und via Medien sehr viel über die kulturelle und soziale Durchdringung des „selbst ernannten Anführers“ der Freien Welt zu wissen glauben, so bieten gerade so bildgewaltige Epen, die zudem asynchron verschachtelt inszeniert wurden, einen tieferen Einblick in dieses tief zerrissene, anachronistische Land zwischen Atlantik und Pazific, zwischen dem hedonistisch sich selbstbeweihräucherndem Futurestaat Kalifornien und der ambivalent zu beurteilenden intellektuellen Elitärblase an der Ostküste. Dazwischen liegen der Bible- und der Rustbelt und die Brutstätte der evangelikalen Fundamentalisten, die Meth-Kocher, aus prekären Sumpf agierenden Rustikalverbrechern und einzelnen Erbhöfen einer korrupten Mittelstandselite, die seit Ende des amerikanischen Bürgerkrieges diesen Mittelwesten und Mittelosten geprägt haben. Stammland der Reagan, Bush und Trumpwähler, die nichts zu gewinnen und schon gar nicht zu verlieren haben. Der im Film ausgesprochene Satz: Die Leute leben hier nur, um zu sterben“, sagt alles aus und die einzelnen Protagonisten verkörpern eben auch die einzelnen Charaktere und Gruppierungen, die tatsächlich in diesen herunter gewirtschafteten Landstrichen leben. Im Film schreiben wir die Jahre zwischen Korea/Indochina – und Vietnamkrieg, Aufschwung, Klassenspaltung und Reichtum in einigen Megacities und Regression wie Reaktion auf dem Lande. Es ist zu einfach, den Film, der auf den Novellen oder Kurzgeschichten von Pollock basieren, nur auf das Narrativ der einzelnen Erzählstränge wie sie beispielsweise Inarritu mit „amores perros“, oder 21 Gramm verfilmt hat, zu reduzieren. Gerade 2020 in der schleichenden bürgerkriegsähnlichen Spaltung wurden all diese Verwerfungen eines Staatengebildes deutlich sichtbar, in einem Land, das erst knapp 300 Jahre alt ist und wesentlich durch europäische Einflüsse der brachialeren Art entstanden ist. Der Beginn mit den Szenen aus dem Korea- oder Indochinakrieg finden ihren Abschluss in der Johnson-Rede zum Ende des Vietnamkrieges und verkörpern das krude Selbstverständnis der USA inmitten der gesellschaftlichen Ebenen ihres ureigenen Landes. Leider fehlen mir bei den Verwicklungen der Erzählstrukturen eine dezidiertere und verurteilende Kritik am neoliberal verkommenen System des „Land of the Free“. Denn dieses Land kann nur durch gnadenlose Unterdrückung, Rassendiskriminierung, white Trash, Lug und Trug, fanatischem Pietismus, der Verlogenheit des all american dreams und aufgrund der Ursünden der amerikanischen Entstehungsgeschichte existieren. Das Recht des Stärkeren, Gewalt als Regulativ im Krieg jeder gegen jeden. Dieser Film ist nicht das ganz große Highlight, aber in dieser Zeit, in der die USA immer kurz vor einer Implosion stehen, sehr bemerkenswert. Das Schauspielensemble ist besonders hervorzuheben.