Rememory

Was wäre, wenn wir all unsere Erinnerungen für immer aufbewahren könnten? Und zwar nicht in Form von Social-Media-Nachrichten, sondern als Video, das uns nach Belieben immer wieder zu ein und demselben Zeitpunkt in unserem Leben zurückversetzt? In seinem erst zweiten Spielfilm REMEMORY spielt Regisseur Mark Palansky dieses Szenario durch – mit tödlichen Konsequenzen! Mehr dazu verraten wir in unserer Kritik.
Der Plot
Dem berühmten Wissenschaftler Gordon Dunn (Martin Donovan) ist der absolute Durchbruch gelungen: mit einem kleinen Gerät, das dazu in der Lage ist, menschliche Erinnerungen zu speichern und abzuspielen. Doch noch bevor er sein bahnbrechendes Produkt überhaupt an die Öffentlichkeit bringen kann, wird Dunn tot aufgefunden. Die Todesursache gibt Rätsel auf und so macht sich der vom Schicksal gebeutelte Sam Bloom (Peter Dinklage) auf die Suche nach den Gründen für Dunns plötzliches Ableben. Bloom hat selbst großes Interesse daran, das Gerät in seinen Besitz zu bringen, denn seit kürzlich sein Bruder bei einem Autounfall ums Leben kam, kreisen seine Gedanken nur noch um dessen letzte Worte, an die sich Bloom einfach nicht mehr erinnern kann…
Kritik
Alles, was wir ins Internet posaunen, bleibt für immer dort bestehen. Die Privatsphäre-Einstellungen von sozialen Netzwerken wie Facebook, Twitter und Instagram können uns zwar vorgaukeln, dass wir die absolute Kontrolle darüber haben, wer was lesen kann, doch wer auch nur ein klein wenig technikaffin ist und die richtigen Programme kennt, kann sich ganz einfach Zugang zu jedem Profil verschaffen, das ihm gerade beliebt. Und je nachdem, was das Objekt der fragwürdigen Begierde gepostet hat, lassen sich schon mal ganze Tagesabläufe rekonstruieren. Das ist die eine Seite der Medaille. Die andere Seite kann uns aber auch genauso gut weismachen, dass wir durch unser vieles Herumgeposte wie nebenbei Tagebuch führen. Scrollen wir nur lang genug in unserer eigenen Timeline zurück, können wir rein theoretisch bis zum Anmeldezeitpunkt zurückverfolgen, was wir an diesem oder jenen Tag so getrieben haben. Unter diesen Gesichtspunkten ist die Prämisse von Mark Palanskys Science-Fiction-Drama „Rememory“ direkt weniger unrealistisch, denn auch, wenn dort ein (noch) fiktives Gerät im Mittelpunkt steht, mit dem wir nach Belieben zu einem Zeitpunkt unseres früheren Lebens zurückspringen können, weil unsere Gedanken von Anfang an aufgezeichnet werden, ist die Grundidee ja gar nicht so viel anders; in beiden Fällen geht es darum, dass unsere Gedanken für die Ewigkeit festgehalten werden und wie immer wieder auf sie zurückgreifen können.
Die Frage nach den Vor- und Nachteilen einer solchen Erfindung streift der sehr ruhig inszenierte „Rememory“ im Laufe seiner knappen zwei Stunden immer wieder mal, doch angetrieben wird der Plot in erster Linie von der Frage, wer den Wissenschaftler und Visionär Gordon Dunn nun eigentlich auf dem Gewissen haben könnte. Da das Skript von Mark Palansky („Penelope“) und Mike Vukadinovich („Marvel’s Runaways“) aber von Anfang an den von „Game of Thrones“-Star Peter Dinklage („Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“) aufopferungsvoll verkörperten Sam in den Fokus rückt, folgen sie zur Aufklärung des Todesfalls einer Art Schnitzeljagd-Dramaturgie: Im Laufe seiner Untersuchungen lernt Sam nach und nach das persönliche und berufliche Umfeld des Verstorbenen kennen, sodass er sich mit der Zeit ein Bild von Gordon Dunn machen kann, auch ohne dass es dafür ausführliche Rückblenden benötigen würde. Durch diese smarte Erzählstruktur behält „Rememory“ ein konsequent hohes Tempo bei. Und der von Martin Donovan („Inherent Vice – Natürliche Mängel“) einprägsam gespielte Wissenschaftler kommt zwar nur ganz zu Beginn im Film vor, doch neben Bloom beeinflusst seine Figur das Geschehen klar am meisten, auch ohne dass er sich selbst immer wieder in Erinnerung rufen müsste.
Das Setting wirkt ein wenig entrückt von der Realität, obwohl es eigentlich nur eine einzige Sache gibt, die tatsächlich nicht dem technischen Zeitgeist entspricht: Die Rememory-Technologie verlagert die Handlung klar in eine nicht näher definierte Zukunft. Gleichzeitig bettet sie Regisseur Palansky so zurückhaltend und in ihrer audiovisuellen Aufmachung auch absolut authentisch in die Szenerie ein, dass man sich die alleinige Existenz des Mikrochips in seiner hier dargebrachten Form jederzeit vorstellen kann. Das lässt zwangsläufig Diskussionen in Bezug auf tatsächliche technische Errungenschaften der heutigen Zeit zu, denn zwischen den (Video-)Aufzeichnungen unserer Gedanken und dem zigfachen Posting von Statusupdates und Homevideos verläuft wie zu Beginn bereits angekündigt bisweilen nur ein schmaler Grat. Wenn es dann auch noch um die Frage geht, zu welchem Zweck die Erinnerungen der Rememory-Kunden an die Öffentlichkeit gegeben werden dürfen, macht Palansky endgültig die brandaktuelle Diskussion über Themen wie Datenschutz auf, auch wenn das den Film selbst hier und da ins Stocken bringt. Mit 10 bis 15 Minuten weniger auf der Uhr wäre „Rememory“ noch eine Spur knackiger und dynamischer geraten.

Peter Dinklage macht sich in der Rolle des Sam Bloom auf die Suche nach Antworten in einem rätselhaften Todesfall.
So aber balanciert Mark Palansky weitestgehend elegant zwischen den Genres: Sein „Rememory“ ist zu gleichen Teilen Charakterstudie (Peter Dinklage verkörpert den motivierten Hobby-Ermittler und den trauernden Bruder als ambivalente, hochsympathische Figur), WhoDunIt-Thriller (es bleibt tatsächlich bis zuletzt offen, wer von den vielen Verdächtigen, auf die Sam während seiner Recherchen stößt, nun das größte Motiv hatte, den Forscher umzubringen) und Science-Fiction-Gedankenexperiment in einem, das den Zuschauer vor allem bei der Auflösung des Kriminalfalles lange im Dunkeln tappen lässt. Das ist aber auch ganz gut so, denn je mehr falsche Fährten Palansky in seinem Film streut, desto mehr spannende Figuren tauchen in „Rememory“ auf. Auch sie profitieren von der interessanten Dramaturgie; genauso wie Sam lernt auch das Publikum die verschiedenen Charaktere direkt in ihrem Umfeld kennen und benötigt keine lange Einführungszeit, um zu erkennen, was für einen Stellenwert sie im Leben des Wissenschaftlers besessen haben. Im spannendsten gestaltet sich die Performance des vor zwei Jahren auf tragische Weise verstorbene Anton Yelchin („Vollblüter“) in einer seiner letzten Rollen, der hier noch einmal unter Beweis stellt, dass er zu Lebzeiten einer der Besten war, wenn es darum ging, extreme Figuren zu verkörpern und diese trotzdem nie zu einer Karikatur werden zu lassen. Allein für sein einmal mehr herausragendes Schauspiel lohnt sich ein Blick auf den Film im Gesamten.
Fazit: Ein wunderbar nachdenklich aufspielender Peter Dinklage brilliert in einem Film, der trotz einiger zäher Momente zum Sinnieren darüber anregt, wie viel Vertrauen wir Menschen in unsere Technik stecken sollten. Dabei ist „Rememory“ nie belehrend, sondern einfach nur smart und sympathisch.
„Rememory“ ist ab dem 8. November in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.