Ballon

Regisseur Michael Bully Herbig ist bisher vorwiegend für seine Arbeiten in und an Komödien bekannt. Mit BALLON begibt er sich nun erstmals auf das Gebiet der Inszenierung fernab von Comedy und Blödelei – und wer bislang daran gezweifelt haben sollte, dass ihm das gelingt, den belehrt er hier eindeutig eines Besseren. Mehr dazu verraten wir in unserer Kritik.
Der Plot
Im Sommer 1979 in Thüringen fassen zwei Familien einen aberwitzigen Plan: Sie wollen raus aus der DDR und heile in den Westen – und das alles in einem Ballon. Dafür nähen, basteln und tüfteln sie wochenlang, bis ihr erster Versuch fehlschlägt. Nur wenige Meter vor der westdeutschen Grenze wird dem Ballon das Wetter zum Verhängnis. Er stürzt ab und die beiden Familien können froh sein, nicht von der Polizei erwischt worden zu sein. Doch diese macht ab sofort Jagd auf sie. Und so fassen die beiden Familienoberhäupter Peter Strelzyk (Friedrich Mücke) und Günter Wenzel (David Kross) den Entschluss, es noch einmal zu versuchen. Sie müssen noch effektiver arbeiten und ihre Pläne noch einmal genau kontrollieren, eh sie eine zweite Flucht planen können. Doch die Regierung ist bereits auf die Pläne aufmerksam geworden. Das ganze Vorhaben wird zu einem irren Wettlauf gegen die Zeit…
Kritik
Ganz gleich, ob man mit dem Humor eines Michael Bully Herbig („Der Schuh des Manitu“, „(T)Raumschiff Surprise“) nun etwas anfangen kann oder nicht: Der gebürtig aus München stammende Filmemacher ist einer der wenigen in Deutschland, die ein Gespür für große Kinobilder haben. Selbst 14 Jahre nach seinen nachdichtenden Weltraumeskapaden hat die Zeit die Computereffekte noch lange nicht eingeholt und auch die Indianerodyssee rund um Abahachi, Ranger und Winnetouch besitzt noch immer Leinwandformat. Kein Wunder also, dass es nach wie vor diese beiden Filme sind, die zu den drei erfolgreichsten deutschen Filmen aller Zeiten gehören. Inwiefern es Herbigs neuester Produktion „Ballon“ ähnlich ergeht, steht aktuell (und erst recht nach dem allenfalls mittelmäßigen Erfolg der Episoden-Sketchcomedy „Bullyparade – Der Film“ zwar noch in den Sternen, auf dieselben inszenatorischen Stärken besinnt sich der Filmemacher, Schauspieler und Drehbuchautor allerdings auch diesmal. „Ballon“ ist dank der Mitarbeit von Herbigs Stammkameramann Stephan Schuh und -Komponist Ralf Wengenmayr einmal mehr Augen- und Ohrenweide und gehört zweifelsohne auf die ganz große Leinwand. Erzählerisch dagegen bleibt das Fluchtdrama recht durchschnittlich, aber spannend und mitreißend gerät es trotzdem allemal.

Familie Strelzyk (Tilman Döbler, Karoline Schuch, Friedrich Mücke, Jonas Holdenrieder) sucht die US-Botschaft in Berlin.
Erzählerisch ist „Ballon“ zwar „nur“ eine weitere dramatische Flucht vom Osten in den Westen, doch schon Walt Disney Pictures wusste Anfang der Achtzigerjahre darum, wie filmreif diese gewesen sein muss. 1982 erschien „Mit dem Wind nach Westen“, inszeniert von Delbert Mann, der sich ebenfalls dem Schicksal der zwei Familien Strelzyk und Wenzel annahm. Herbig verleiht dem Ganzen nun allerdings nicht nur mithilfe seines Namens deutlich mehr an Prestige, sondern auch durch seine inszenatorische Finesse. Ohne sich nun ausschließlich auf sein neues Dasein als Thriller-Regisseur zu besinnen (auch wenn er sichtbar Anleihen an bekannte Genrevertreter sucht, die er auf der Leinwand rauf- und runter zitiert), streut er auch immer mal wieder zurückhaltend-komische Momente ein, was andere, bislang vorwiegend für Comedy zuständige Filmemacher sicher nicht getan hätten, um sich so erst recht von ihrer bisherigen Vita abzuheben. Darüber hinaus wirkt es, als wäre all das für Herbig lediglich eine Fingerübung: Er lässt wie selbstverständlich sein ganzes inszenatorisches Know-How in Kleinigkeiten wie einen dynamischen Schnitt oder die richtige Bildaufteilung miteinfließen; selbst abgegriffene Motive wie zwei parallel erzählte Handlungsstränge, die unbemerkt aufeinander zulaufen, um eine bestimmte Situation zu suggerieren, die sich am Ende jedoch als falsche Fährte erweist, schaffen es am Ende, dass die Geschichte, aller Vorhersehbarkeit zum Trotz, einen Sog aus Spannung, Dramatik und Menschlichkeit entwickelt.
Herbig ist in „Ballon“ immer ganz nah dran an seinen Protagonisten, die erzählerisch leider blasser bleiben, als man es von einer solch emotionalen Geschichte erwarten dürfte. Was außerhalb ihrer vier Wände im Hinblick auf geschichtsträchtige deutsche Ereignisse passiert, weiß ohnehin jeder aufmerksame Zuschauer. Anstatt nur ein weiteres Mal den Staatsapparat der DDR zu sezieren und auf dortige Missstände hinzuweisen, die schon zigmal im deutschen Film auseinandergenommen wurden, legt Herbig seine Story als mit Thrillerelementen versehenes an, das ausschließlich die beiden Familien selbst betrifft. Inwiefern ihr Schicksal auch Einfluss auf eine ganze Bevölkerung haben könnte, deutet Herbig nur vereinzelt an. Und das reicht auch. Besonders spannend ist aber vor allem die parallel zu den Flucht-Vorbereitungen stattgefundene Ermittlerarbeit. Mit jeder Sekunde, die sich die Flüchtigen und die Polizei näher aufeinander zu bewegen, wird „Ballon“ spannender, der es für Unkundige des Stoffes außerdem lange Zeit angenehm offen hält, ob die Flucht über die Grenze am Ende überhaupt gelingen wird, oder nicht. Auch die aller letzte Szene reichert das Geschehen nochmal zusätzlich mit Originalität an – am Ende verlässt man den Kinosaal nicht in gedrückter, sondern in zuversichtlich-positiver Stimmung, was „Ballon“ zu einem Film macht, dessen verströmte Hoffnung es ist, die der Zuschauer zu dieser Zeit braucht.

Oberstleutnant Seidel (Thomas Kretschmann), Leutnant Strehle (Kai Ivo Baulitz) und Hauptmann Heym (Christian Näthe) nehmen die Verfolgung auf.
Wenngleich Michael Herbig in „Ballon“ zwar auf die erzählerische Tube drückt und die visuelle Aufmachung (gedreht wurde tatsächlich in und an einem echten Heißluftballon) in all ihrer akribischen Aufbereitung nicht daran erinnert, es hier mit einer deutschen Produktion zu tun zu haben, ist das Fluchtdrama immer noch weitaus konventioneller, als etwa Florian Henckel von Donnersmarcks Kunst- und Kriegsepos „Werk ohne Autor“. „Ballon“ schaut sich letztlich wie eines von vielen anderen nationalen Filmen, die die deutsche Historie aufgreifen. Und wir würden sogar so weit gehen, zu sagen, dass allein der Name Herbig dafür sorgen dürfte, dass dieser Film mehr Beachtung erhält, als all die artverwandten Produktionen der letzten Jahre. Trotzdem kann es allen Beteiligten nur recht sein, zu denen auch das Ensemble gehört. Dieses besteht aus zwar bekannten, aber immer noch frischen Gesichtern, die den Film mit ihren starken Darbietungen veredeln. Friedrich Mücke („SMS für Dich“) mimt als Vater der Strelzyk-Familie das selbstbewusste Oberhaupt. Gleichzeitig gelingt es ihm in einigen ruhigen Momenten, glaubhaft die Angst vor dem Versagen zu verkörpern, die mit seinem Drang, endlich in den Westen aufzubrechen, einhergeht. David Kross („Simpel“) bleibt als zurückhaltender Ballonbauer vornehmlich im Hintergrund. Genauso wie Alicia von Rittberg („Herz aus Stahl“) und Karoline Schuch („Da muss Mann durch“) das ganz große Drama im Kleinen austragen. Besonders starke Akzente setzen derweil Thomas Kretschmann („Central Intelligence“), der wie verbissen nach den Flüchtigen fahndet, und Ronald Kukulies („In Zeiten des abnehmenden Lichts“), der als vermeintlich freundlicher Stasi-Nachbar eine kaum einzuordnende Bedrohung darstellt.
Fazit: Michael Bully Herbig war schon immer ein guter Filmemacher, weshalb die inszenatorischen Qualitäten von „Ballon“ nicht überraschen. Das Drehbuch hält sich an gängige Erzählkonventionen, sodass Herbigs Regiedebüt im ernsten Fach letztlich einen absolut souveränen Eindruck macht.
„Ballon“ ist ab dem 27. September bundesweit in den deutschen Kinos zu sehen.