Colonia Dignidad – Es gibt kein Zurück

Es ist ein düsteres Kapitel des südamerikanischen Staates Chile, das Anfang der Siebzigerjahre weltweit für Erschütterung sorgte. Im Film COLONIA DIGNIDAD – ES GIBT KEIN ZURÜCK kommt Regisseur Florian Gallenberger dem Mythos der gleichnamigen Sekte auf die Spur, die über Jahrzehnte lang Angst säte und sich unter der Leitung des skrupellosen Anführers Paul Schäfer als vermeintlicher Zufluchtsort für einsame Seelen verkaufte. Mehr zum Film in meiner Kritik.
Der Plot
Chile, 11. September 1973. Hunderttausende protestieren auf den Straßen Santiagos gegen General Pinochet, der sich gegen den Präsidenten Salvador Allende an die Macht putscht. Unter den Demonstranten sind auch Lena (Emma Watson), die als Stewardess am Tag zuvor in Chile gelandet ist, und ihr Freund Daniel (Daniel Brühl), der als Fotograf in Santiago lebt. Unzählige werden in den Wirren des Aufruhrs vom Geheimdienst verhaftet, so auch Daniel und Lena. Daniel wird noch in der Nacht an einen unbekannten Ort verschleppt. Nach dem ersten Schock versucht Lena herauszufinden, was mit Daniel passiert ist. Doch die Mitstreiter seiner Studentengruppe tauchen unter und auch die Deutsche Botschaft verweigert ihr jede Hilfe. Bei Amnesty International hört sie das erste Mal von der berüchtigten Colonia Dignidad, einer abgeschotteten deutschen Sekte im Süden Chiles, die enge Verbindungen zum Geheimdienst unterhält: es geht das Gerücht um, dass auf dem Gelände der Colonia Gefangene gefoltert werden – und Daniel vermutlich dort gefangen gehalten wird. Völlig auf sich allein gestellt, entschließt sich Lena, der mysteriösen Sekte beizutreten und so Daniel wiederzufinden. Doch schon bald erkennt sie, in welch aussichtslose Situation sie geraten ist, denn noch nie ist jemandem die Flucht aus der Colonia gelungen…
Kritik
Die Colonia Dignidad gab es wirklich. Sie wurde im Jahr 1961 vom deutschen Sanitäter Paul Schäfer gegründet und organisierte sich als von der Zivilisation abgeschnittene Kolonie, die sich ähnlich der Amische selbst versorgte und nach eigenen hierarchischen Regeln lebte. Doch während die Amische ihre Zurückgezogenheit mit ihrer Herkunft als Glaubensgemeinschaft begründet, die jegliche modernen Einflüsse konsequent ablehnt, geht die Herkunft der Colonia Dignidad auf die größenwahnsinnigen Machtvorstellungen des Gründers zurück. Schon seit 1976 steht die heute nach wie vor in Teilen existente Siedlung unter Beobachtung von UNO und Amnesty International. Der chilenische Geheimdienst nutzte die Einrichtung jahrelang als Folterzentrum, in der das Prinzip der Zwangsarbeit herrschte und wo Niemand hinsah, wenn sich Paul Schäfer über viele Jahre hinweg an Dutzenden von kleinen Jungen verging. 2010 starb er im Gefängnis – verurteilt zu 20 Jahren Haft aufgrund von sexuellem Missbrauch in 25 Fällen. In der heute unter dem Namen „Villa Bavaria“ bestehenden Kolonie leben nach wie vor über 100 Mitglieder, wenngleich innere Strukturen mittlerweile aufgebrochen wurden und die Gemeinschaft heute mehr einer friedlichen Glaubensgemeinschaft denn einer Sekte gleicht. Doch dieses düstere Kapitel in der chilenischen Historie versprüht nach wie vor einen beklemmenden Reiz, den sich Florian Gallenberger („John Rabe“) in seinem teils fiktiven, teils auf wahren Ereignissen basierenden Thrillerdrama „Colonia Dignidad – Es gibt kein Zurück“ zunutze macht. Sein internationaler Cast erweckt eine Geschichte zum Leben, die gerade aufgrund ihrer wahren Herkunft einen unwiderstehlichen Sog entwickelt.
Trotz seiner Herkunft als auf Inszenatorenseite durch und durch deutsches Projekt werden die wichtigen Rollen in „Colonia Dignidad“ mit internationalen Topstars besetzt. Im Gespräch mit dem Produzenten Benjamin Herrmann („Hin und weg“) wurde für uns rasch ersichtlich, weshalb eine Besetzung von „Harry Potter“-Star Emma Watson in der Hauptrolle der Lena und Michael Nyqvist („John Wick“) als barbarischer Sektenführer Paul Schäfer alles andere als überraschend ist: Der Stoff, auf dem der Thriller basiert, ist schlicht und ergreifend von internationalem Interesse. Und das nicht nur deshalb, weil das Drama um die Colonia Dignidad Anfang der Siebzigerjahre um die Welt ging. Darüber hinaus ist das Thema Sekten und die Faszination dafür eines von weltumspannender Relevanz. Erst im vergangenen Jahr machte der spanische Gruselvirtuose Alejandro Amenábar einen satanischen Sektenkult zum Dreh- und Angelpunkt seines internationalen Comeback-Films „Regression“. Auch hier spielte Emma Watson das Opfer ebenjenes Kultes, wenngleich sich die fiktive Geschichte des „The Others“-Schöpfers in eine gänzlich andere Richtung entwickelte, als Florian Gallenbergers Nacherzählung weitestgehend reeller Ereignisse. Die Umstände von „Colonia Dignidad“ basieren auf dem, was man bis heute über die gleichnamige Siedlung in Erfahrung brachte. Mit den beiden Protagonisten Daniel und Lena entschied sich das Drehbuchautorenduo aus Gallenberger selbst und dem debütierenden Torsten Wenzel für ausgedachte Figuren. Das erhöht mit den Möglichkeiten in der Erzählung gleichermaßen den Reiz für den Zuschauer. Doch der Regisseur verzichtet weitestgehend auf Effekthascherei und setzt lieber ein Szenario in Szene, das nie die Frage aufkommen lässt, ob sich die Geschehnisse so vielleicht auch tatsächlich abgespielt haben könnten.
„Colonia Dignidad“ beginnt als sehr politischer Film. Fast eine halbe Stunde verbringt Gallenberger damit, das Szenario um die Entführung Daniels genau in den historischen Kontext einzuordnen. Eine derart genaue Ausführung ist für die Ausführlichkeit und Details der Erzählung löblich, allerdings steht es nicht ganz im Verhältnis zu dem, worüber sich die Geschichte den Hauptteil der Laufzeit definiert. Hat sich Lena nämlich erst einmal auf den Weg in die Colonia Dignidad gemacht, um ihren Freund aus der Gefangenschaft der Sekte zu befreien, wird aus dem politischen Drama ein packender Thriller, der auch an visueller Gewalt nicht spart und die Qualen hinter den hohen Mauern der Gemeinschaft bis ins kleinste Detail nachstellt. Von den (sich Gott sei dank im Off abspielenden) Missbräuchen Paul Schäfers an den hier beheimateten Jungs über die psychischen wie physischen Misshandlungen bis hin zu den medizinischen Versuchen bekommt der Zuschauer die volle Breitseite der moralisch verwerflichen Taten der Colonia Dignidad zu sehen, bei der die Grenzen zwischen Täter und Opfer irgendwann verschwimmen. Wenngleich vor allem Paul Schäfer und seine an Schergen erinnernden Helfer für die Gewalt an den Insassen zuständig waren, inszeniert Florian Gallenberger auch das Verschieben der ethischen Vorstellungen Inhaftierter feinfühlig. Wenn selbst gefangene Frauen ihre Machtposition über Neuankömmlinge ausnutzen, dann steht die Frage nach dem Schuldigen im Raum, auf die „Colonia Dignidad“ keine Antworten liefert und auch nicht liefern kann.
Gleichsam stellt sich bei jeder Figur die Frage nach der Motivation. Selbst ein Monstrum wie Paul Schäfer ist weit mehr als ein eindimensionaler Schurke. Michael Nyqvist spielt den abscheulichen Sektenführer mit einer tyrannischen Feinfühligkeit, die über die eines einfachen Bösewichts hinaus geht, indem gerade dieser Charakter die interessantesten Dialoge in den Mund gelegt bekommt. Seine düstere Weltsicht vollends zu erfassen gelingt dem Skript leider nur bedingt. Dafür Fokussiert „Colonia Dignidad“ gerade in der zweiten Hälfte zu sehr die Fluchtplanung der beiden Hauptfiguren. Trotzdem ist es Michael Nyqvists Darstellung, das hier am meisten beeindruckt, wenngleich auch Daniel Brühl („Ich und Kaminski“) sowie Emma Watson alles daran setzen, ihre insgesamt weitaus weniger komplexen Figuren zu bodenständigen Charakteren zu machen, mit denen der Zuschauer mitfiebert. Mitfiebern ist dann gerade im Finale das Zauberwort, erinnert dieses doch stark an Oscar-Gewinner „Argo“, was laut Benjamin Herrmann übrigens ein reiner Zufall ist. Den Vergleich zu Ben Afflecks phänomenalen Politthriller darf sich „Colonia Dignidad“ übrigens durchaus gefallen lassen. In Sachen Spannung steht Gallenbergers Version einer Flucht von Verfolgten dem US-Pendant in Nichts nach.
Fazit: „Colonia Dignidad“ ist das vielschichtige Portrait eines Ereignisses, das angereichert von fiktiven Elementen nichts von seinem Schrecken einbüßt. Wenngleich Michael Nyqvist als quälender Tyrann den Rest des Casts an die Wand spielt, beeindrucken auch Daniel Brühl und Emma Watson, die diesem beklemmenden Thrillerdrama ein authentisches Gesicht geben.
„Colonia Dignidad – Es gibt kein Zurück“ ist ab dem 18. Februar in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.
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