The Program – Um jeden Preis

Lance Armstrong war eine der beeindruckendsten Sportlerpersönlichkeiten der Neuzeit. Bis ihn der spektakulärste Dopingfall aller Zeiten in die Knie zwang und sein Image für immer zerstörte. „Philomena“-Regisseur Stephen Frears wirft in dem Thrillerdrama THE PROGRAM – UM JEDEN PREIS einen Blick hinter die Kulissen des Radrennzirkus‘ und versucht, das ‚Phänomen Lance Armstrong‘ so neutral wie möglich zu ergründen. Ein spannendes Filmerlebnis. Mehr dazu in meiner Kritik.

Der Plot

Sie lügen alle – dessen ist sich David Walsh (Chris O´Dowd) sicher. 1999 begleitet er für die Sunday Times die Tour de France. Ein einfacher Journalist, der nur seinen Job machen will. Doch von Anfang an ist er davon überzeugt, dass das, was er sieht, nicht mit rechten Dingen zugehen kann. Radrennprofi Lance Armstrong (Ben Foster), der gerade den Krebs erfolgreich besiegt hat, gewinnt eine Etappe nach der anderen und wird für Millionen von Menschen zur Ikone für Millionen. Ein ebenso charismatischer wie skrupelloser Sportler, der bereit ist, alles für den Sieg zu tun. Doch was mit einem einfachen Verdacht beginnt, wird bald zu einem mehr als bedrohlichen Unterfangen für Walsh. Denn wie stellt man sich als Einzelner einem übermächtigen Programm? Hinter einer Mauer aus Schweigen schafft er es, ein gigantisches Netzwerk aus Betrug und Vertuschung aufzudecken: Er bringt nicht nur die Wahrheit über einen der größten Sporthelden unserer Zeit ans Licht, sondern entlarvt ein perfides System, das so lange Sieger erschaffen hat , bis es von der Realität eingeholt wurde…

Kritik

Lance Armstrongs Aufstieg und Fall ist in der Sportgeschichte bisher beispiellos. Der ehemalige Profi-Radrennfahrer stand nach der Diagnose Hodenkrebs schon früh vor seinem sportlichen Aus, ehe er diese Krankheit nutzte, um zu einem Symbol der Hoffnung für viele, viele Krebspatienten zu werden. Nach vollständiger Genesung gewann er die Tour de France – das schwerste Radrennen der Welt – insgesamt sieben Mal in Folge. Nach seinem letzten Sieg im Jahr 2005 erklärte er seinen Rücktritt vom Profisport, feierte allerdings vier Jahre später ein Comeback, bei dem es ihm nicht gelang, an seine ehemalige Erfolgshistorie anzuknüpfen. Dies führte dazu, dass Armstrong bereits zwei Jahre später erneut zurücktrat und vorerst aus den Medien verschwand. Bis ihn ein Ermittlungsfall zum Thema Doping unsanft zurück in die weltweiten Schlagzeilen beförderte. Nicht nur, dass ihm sämtliche Siege der Tour de France rückwirkend aberkannt wurden, auch sein mühsam aufgebautes Image des personifizierten Hoffnungsträgers, dem er mit der Lifestrong-Stiftung zusätzlichen Nährboden abgewann, wurde spätestens mit Armstrongs Rücktritt von seinem Vorsitzenden-Posten der Lance Armstrong Foundation endgültig für nichtig erklärt. Seither ist es zwar weitestgehend still um den unnahbaren Ex-Radrennfahrer geworden, doch das Mysterium um seine Person, einhergehend mit dem publikumswirksamen Gerichtsprozess – dem aufwendigsten Anti-Doping-Verfahren aller Zeiten – verschwand nie vollends aus dem Blickfeld der breiten Masse. Bis heute fördern unterschiedliche Sportgremien fast im Monatstakt neue Erkenntnisse zutage, was sich Regisseur Stephen Frears („Philomena“) zunutze macht, um die ganze Geschichte von Anfang an in Spielfilmform aufzubereiten. Sein Thrillerdrama „The Program – Um jeden Preis“ zeichnet die Geschehnisse von 1996 bis heute nach und versucht auf der einen Seite, dem Publikum die rätselhafte Figur Lance Armstrong näherzubringen. Auf der anderen Seite ist er vor allem daran interessiert, dem Zuschauer den immensen organisatorischen Aufwand zu zeigen, mit dem die dunklen Machenschaften um ihn und sein Team überhaupt erst möglich waren.

The Program

Dieser mehr spannende denn dramatisch-dokumentarische Schwerpunkt rührt von der Inszenierung her. Nicht Lance Armstrong selbst steht im Mittelpunkt des Geschehens. Stattdessen nimmt „The Program“ die Sichtweise eines damals tatsächlich ins Geschehen involvierten Journalisten an. David Walsh (Chris O’Dowd) äußerte früh seine Zweifel ob des kometenhaften Aufstiegs von Armstrong und übernimmt die Rolle eines Ermittlers, der sich bemüht, hinter die Kulissen des Radrennzirkus‘ zu blicken. Regisseur Stephen Frears gestaltet seinen Film dabei zwar durchgehend pulsierend-mitreißend, eine kommentierende Sichtweise fehlt jedoch. Das Skript bewegt sich nicht von seiner objektiv-berichtenden Perspektive weg und schildert die Ereignisse weitestgehend neutral, ohne sich eine Wertung zu erlauben. Dies könnte einigen Zuschauern sauer aufstoßen. Schließlich kann man es sich bei diesem Thema eigentlich kaum erlauben, neutral zu berichten. Doch da Frears um diesen Umstand weiß, hält er es schlicht nicht für nötig, Offensichtliches durch die Aussprache noch einmal zu unterstreichen. Sein Film soll keine Anklage sein, sondern ein Thriller – genährt von der unglaublichen Präzision und an den Tag gelegten Akribie, mit welcher sämtliche Beteiligten das sogenannte Programm damals an den Sportlern vollzogen.

„The Program“ ist bei dieser Thematisierung sehr fokussiert. David Walsh symbolisiert die Wahrnehmung von Außen, während die Szenen, in denen Armstrong und seine Team-Kollegen gezeigt werden, einen sehr intimen Blick auf das Geschehen ermöglichen. Die Schauspielleistung von Ben Foster („Lone Survivor“) spielt dabei eine entscheidende Rolle. Der 35-jährige Bostoner verkörpert den ehemaligen Profisportler mit einer unangenehmen Präsenz, die es dem Zuschauer bewusst schwer macht, von Anfang an mit ihm zu sympathisieren. Foster nimmt das überhöhte Ego und die nur schwer nachvollziehbare, selbstzerstörerische Sicht auf die sportlichen Dinge in Fleisch und Blut auf und macht aus der Hauptfigur einen schwer zu durchschauenden Widerling, dem man eine gewisse Faszination jedoch nie absprechen kann. Armstrong entzieht sich in jeder Hinsicht der einfachen Pro- oder Antagonistenrolle, sondern wird zum Fokus eines Kriminalfalles, bei dem es letztendlich nur Verlierer geben kann. Lässt sich Armstrongs Verhalten zu Beginn noch in Teilen nachvollziehen, wenn man sich in die vom Schicksal gebeutelte Seele eines Todkranken hineinversetzt, so verliert der Charakter dieses anfängliche Zugeständnis mit der Zeit immer mehr. Auch sein Team macht nie einen Hehl daraus, sich nur schwer mit der Vormachtstellung ihres von der Öffentlichkeit gefeierten Kollegen anfreunden zu können. Während die internationale Journaille sowie die Fans immer neue, spektakuläre Siege von ihrem Idol geliefert bekommen, bleiben Armstrongs Mitstreiter stets – im wahrsten Sinne des Wortes – im Windschatten des Gelbes-Trikot-Trägers. Dies gilt auch für die Darsteller. Lediglich der Armstrongs schärfsten Konkurrenten Floyd Landis verkörpernde Jesse Plemons („The Homesman“) kann sich gegen Fosters einprägsame Performance behaupten.

Chris O’Dowd

Auf der anderen Seite ist es natürlich vor allem „IT Crowd“-Star Chris O’Dowd, der es dem Zuschauer wesentlich leichter macht, den Leinwandgeschehnissen zu folgen und ehrliches Interesse an den Ereignissen zu entwickeln – selbst, wenn man sich aus thematischer Sicht nicht unbedingt für den Sport interessiert. Mit einer unterschwelligen Euphorie und dem unbedingten Willen, hinter die beeindruckende Sporthistorie von Armstrong zu gelangen, versucht Walsh mitreißend und auf unterschiedliche Weise, mehr über die Hintergründe zu erfahren. Gerade der ungeschönte Blick auf die Mechanismen der Presse (Stichwort: Konferenz) führen dem Publikum vor Augen, mit welch verdeckten Manipulationsmöglichkeiten der Radrennsport uns alle an der Nase herumführt. Dabei wird „The Program“ selbst nicht viel dazu beitragen können, das Image des Sports zu verändern – weder in positiver, noch in negativer Hinsicht. Dafür inszeniert Frears einfach zu ehrlich, um das Publikum an dieser Stelle zu beeinflussen. Doch es löst vielleicht das ein oder andere Fragezeichen über den Köpfen der Außenstehenden auf, die sich bislang fragten, wie ein solch ausuferndes Dopingprogramm überhaupt funktionieren konnte.

Fazit: „The Program – Um jeden Preis“ ist eine mitreißende Mischung aus Drogenthriller und Sportlerdrama, dem weder an der Bloßstellung von Hauptfigur Lance Armstrong gelegen ist, noch daran, für sie Partei zu ergreifen. Stattdessen gelingt Regisseur Stephen Frears ein spannender Einblick hinter die Kulissen des größten Dopingverbrechens aller Zeiten – mit einem herausragenden Hauptdarsteller und technisch präzise inszeniert.

„The Program – Um jeden Preis“ ist seit dem 8. Oktober in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.

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