The Empty Man

David Prior nahm sich für sein Regiedebüt THE EMPTY MAN große Horrorklassiker zum Vorbild. Und auch wenn er aufgrund kleinerer Macken nicht vollends an diese heranreicht, ist sein modernes Spukstück packend und beklemmend geraten. Mehr dazu verraten wir in unserer Kritik.

OT: The Empty Man (USA/ZAF/UK 2020)

Der Plot

Der ehemalige Detektiv James Lasombra (James Badge Dale) hat vor einem Jahr seine Frau Hallison und seinen Sohn Henry bei einem Autounfall verloren. Seine seither ziemlich trostlose Zeit verbringt er als Verkäufer in einem Sicherheitsgeschäft. Eines Tages ruft ihn eine Freundin namens Nora (Marin Ireland) zu Hilfe: Ihre Tochter Amanda (Sasha Frolova) ist spurlos verschwunden und auf dem Spiegel ihrer Wohnung prangt eine in Blut geschriebener Schriftzug: „The Empty Man made me do it“. Die Polizei sieht trotz dieser Nachricht keinen Anlass, zu ermitteln und geht davon aus, dass das junge Mädchen von zuhause weggelaufen ist. Also übernimmt James selbst den Fall und entdeckt hinter dem „Empty Man“ eine schaurige Legende, die ihn schon bald selbst in seiner Gewalt hat…

Kritik

In den Siebziger- und Achtzigerjahren war es für Horrorfilmer:innen relativ einfach, große Horrorikonen zu etablieren. Basierend auf dem Hype rund um Figuren wie Michael Meyers, Freddy Krueger und Jason Vorhees musste man seinem Killer nur irgendeine furchterregende Maske aufsetzen, ihm eine halbwegs spannende Hintergrundgeschichte verpassen und eine Kultfigur ward geboren. Das funktioniert bis heute: Obwohl längst nicht so erfolgreich und dadurch omnipräsent wie die zig Sequels nach sich gezogenen Teenslasher vergangener Dekaden konnten sich selbst die Maskenfratzen aus „The Strangers“ oder „The Purge“ einen gewissen Status erarbeiten. Zuletzt wich der handwerkliche Aufwand, Schreckensfiguren mit Kultpotenzial zu kreieren, allerdings der simplen Entstehung am Computer. Und unter Zuhilfenahme lahmer Skripte wurde weder aus „The Bye Bye Man“ noch aus dem „Slender Man“ ein vergleichbarer Kult, obwohl das Potenzial dazu – bestehend aus Wiedererkennungswert, einem einprägsamen Namen und interessantem Background – definitiv bestand. Regiedebütant David Prior startet mit „The Empty Man“ nun einen nächsten Versuch: Sein Titelmonster basiert auf einer bekannten Comicserie, hat also schon eine gewisse Fanbase. Ihre Hintergrundgeschichte ist interessant und sogar eklatanter Bestandteil des Films. Und nicht zuletzt sind die von ihm ausgehenden (Todes-)Regeln simpel. Und siehe da: Trotz kleinerer Macken ist Prior ein äußerst gelungener Vertreter des modernen Horrorthrillers gelungen, der seine Anleihen bei einem der besten Genrefilme jüngerer Geschichte findet.

Ein gruseliger Fund, tief unter der Erde.

Anders als zuletzt etwa „Hereditary“, „Get Out“ oder das „Suspiria“-Remake lässt sich „The Empty Man“ nicht dem seit einigen Jahren herangewachsenen Trend des „Neuen intellektuellen Horrors“ zuordnen, in dessen Folge diverse Horrorfilmer:innen plötzlich begannen, tiefgreifende Dramaschicksale mit Horrorelementen anzureichern, um anstatt banaler Schockeffekte das Grauen greifbarer Alltagsschicksale für sich sprechen zu lassen. Dass der „nur“ eine geradlinige Spukgeschichte erzählende „The Empty Man“ trotzdem eine Laufzeit von knapp zweieinhalb Stunden (!) aufweist, deutet jedoch bereits an, dass der auch für das Drehbuch verantwortliche Prior mehr vorhat, als einfach nur ein paar banale Jumpscares aneinanderzureihen, wie es viele seiner Kolleg:innen zuletzt handhabten. Stattdessen findet Prior sein sowohl erzählerisches als auch inszenatorisches – dazu später mehr – Vorbild in einem modernen Genreklassiker der frühen Zweitausender: Gore Verbinskis „Ring“, das herausragende US-Remake des japanischen Horrorfilms „Ringu“. Nun lässt sich „The Empty Man“ gerade dadurch nur bedingt so etwas wie Innovation attestieren: Viele der Motive, aus denen sich der Film zusammensetzt, hat man in abgewandelter Form schon in vielen anderen Filmen dieser Couleur gesehen. Und doch gelingt es Prior, sie so aufzubereiten, dass sie hier dennoch ihre volle Wirkung entfalten.

„Viele der Motive, aus denen sich der Film zusammensetzt, hat man in abgewandelter Form schon in vielen anderen Filmen dieser Couleur gesehen. Und doch gelingt es Prior, sie so aufzubereiten, dass sie hier dennoch ihre volle Wirkung entfalten.“

Das beginnt bei der Beschreibung der Spukgestalt und dessen, was eine Begegnung mit ihr zur Folge hat: Wenn man sie ruft, indem man auf einer Brücke in eine leere Flasche bläst und dabei ganz fest an den Empty Man denkt, ruft man sie. Die Legende besagt, dass man sie am darauffolgenden Tag hört, am zweiten Tag sieht und sie einen am dritten Tag findet (= tötet). Doch nicht nur da werden Erinnerungen an „Ring“ wach: Auch die Ermittlungen im Vermisstenfall Amanda, die den Empty Man zuvor gemeinsam mit Freund:innen gerufen haben soll, setzen sich aus denselben Versatzstücken zusammen wie schon Naomi Watts‘ Suche nach dem Urheber des verfluchten Todesvideos. Auf Gespräche mit Amandas bester Freundin Davara (Samantha Logan) und vage Andeutungen, dass der Empty Man etwas mit ihrem Verschwinden zu tun haben könnte, folgt minutiöse Recherche, die James immer weiter in einen mysteriösen Kult hineinzieht. Da ähneln sich dann bisweilen sogar konkrete Settings, etwa, wenn James in eine einsame Hütte fährt, um hier den Hinweisen weiter auf den Grund zu gehen. Manch ein Motiv mag da sicher auch der Atmosphäre selbst geschuldet sein – es macht einfach viel mehr her, wenn da jemand in einer einsamen Holzhütte sitzt und Ermittlungen in diversen gruseligen Vermissten- und Todesfällen anstellt, als wenn er dies zuhause oder in einem Büro macht. Aber es erfüllt seinen Zweck und intensiviert die durchgehend unbehagliche Stimmung, die durch James‘ überraschend authentisches Verhalten begünstigt wird. Dieser ist nämlich kein abgebrühter (Ex-)Detective, der all die zutage geförderten Erkenntnisse wie selbstverständlich hinnimmt, sondern reagiert in vielen Momenten nahbar menschlich, sodass es sich trotz der immer konstruierter werdenden Prämisse durchgehend mit ihm mitfühlen lässt.

James (James Badge Dale) geht der Legende des Empty Man auf den Grund…

Dass „The Empty Man“ trotz seiner bekannten Motive nicht langweilt, liegt nicht nur an den vereinzelten Jumpscares, die David Prior sehr gezielt und dadurch umso wirkungsvoller zu platzieren weiß. Sondern vor allem an all dem, was er, basierend auf der Comicvorlage, um die Legende des Empty Man herum aufbaut. Im Gegensatz zu vergleichbaren Horrormonstern wie dem „Bye Bye Man“ oder dem „Slender Man“ haben die hier dargebotene Entstehung des Empty Man sowie die von ihm ausgehende Faszination für ihn Hand und Fuß. So nimmt sich Prior etwa Zeit für einen zwanzigminütigen Prolog (der übrigens auch hervorragend als Kurzfilm funktionieren würde!), in dem auf gleichermaßen kompakte wie intensive Weise die Vorgeschichte der Empty-Man-Legende dargeboten wird. So werden einem die Ausmaße der Geschichte sofort bewusst, ohne bereits sämtliche Antworten auf offene Fragen vorwegzunehmen. Und dann ist da ja auch noch die Hauptfigur James, die mit ihrem Abziehbild eines vom Schicksal gebeutelten Ex-Cops, der den Alltag nur mithilfe von Medikamenten bestreiten kann und von schrecklichen Albträumen geplagt wird, zunächst wie ein lahmer Horrorfilm-Stereotyp wirkt. Doch selbst diese Vermutung entlarven die Ereignisse im Film mit der Zeit als Irrtum – in „The Empty Man“ hat (fast) alles irgendeinen plausiblen Grund.

„Im Gegensatz zu vergleichbaren Horrormonstern wie dem „Bye Bye Man“ oder dem „Slender Man“ haben die hier dargebotene Entstehung des Empty Man sowie die von ihm ausgehende Faszination für ihn Hand und Fuß.“

Auch audiovisuell stand „Ring“ für „The Empty Man“ Pate. Kameramann Anastas N. Michos („The First Purge“) taucht den Film in von Grau-und-Blautönen dominierte Albtraumbilder, die immer dann ihre größte Wirkung entfalten, wenn Michos möglichst lange auf einem Bild verharrt und dabei winzige Änderungen im Detail einfängt, ohne eine solche Einstellung sofort mit einem Jumpscare zu beenden. Die hier porträtierte Welt erscheint ungreifbar, unwirtlich, was einen hübschen Kontrast zu den bodenständigen Ermittlungsmethoden bietet. Lediglich das frühe Zeigen des Empty Man selbst, dessen Optik noch dazu nicht vollends überzeugt, passt nicht so ganz zu Priors Grundsatz, das Grauen erst nach und nach zu entschlüsseln.

Fazit: David Priors Regiedebüt „The Empty Man“ ist ein stark inszenierter Horrorthriller, der trotz kleiner Makel deshalb so gut funktioniert, weil der auch für das Drehbuch zuständige Filmemacher nicht einfach nur plumpe Schockeffekte aneinanderreiht, sondern seinen knapp zweieinhalbstündigen Film mit einer mitreißenden Geschichte und einer plausiblen Origin-Story seines Titelmonsters versieht.

„The Empty Man“ ist auf US-amerikanischen Streamingplattformen als VOD erhältlich. Ein Start in Deutschland ist bislang nicht bekannt.

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