Shadow in the Cloud

Im Zweiten Weltkrieg bekommt es Chloë Grace Moretz mit einer unheimlichen Gestalt und nicht minder frustrierenden Männern zu tun: SHADOW IN THE CLOUD mischt Pulp mit Gesellschaftskommentar. Wir verraten euch, ob dieses Experiment gelingt.

OT: Shadow in the Cloud (NZL/USA 2020)

Der Plot

August 1943 in Neuseeland: Flight Officer Maude Garrett (Chloë Grace Moretz) hat die Mission, sich in letzter Sekunde einem Kampfflugzeug anzuschließen, das die Reise von Auckland nach Samoa antritt. Doch Maude und ihr streng geheimes Gepäck stoßen bei der komplett männlichen Besatzung nicht gerade auf einen herzlichen Empfang: Wenn die Testosteronbolzen nicht Maudes Loyalität zu den Alliierten hinterfragen und sie entgegen der Befehle wegen ihrer Lieferung löchern, dann machen sie sich über sie lustig – und machen ihr im gleichen Atemzug vulgäre Angebote. Als wäre das nicht schon Belastung genug, stellt sich das Flugzeug als schlecht in Schuss heraus – und nur Maude erkennt dies. Als sich dann auch noch der Feind am Horizont blicken lässt und ein sonderbares Wesen Maude attackiert, was die Männer an Bord nicht wahrhaben wollen, lässt es sich nicht weiter abstreiten: Dieser Flug wird für Maude zu einem wahren Überlebenskampf …

Kritik

Während des Zweiten Weltkrieges schoben US-Soldat:innen und -Techniker:innen etwaige Mängel an ihren Gerätschaften sowie daraus resultierende Unfälle gerne auf Gremlins. Für wenige war es ein Aberglaube, hinter dem sie mit Überzeugung standen, für viele war es bloß eine scherzende, alberne Art, die Verantwortung von sich zu schieben. Das ist vergleichbar mit der in Teilen Deutschlands verbreiteten „Erklärung“, nicht man selbst habe ein Glas umgeworfen, den Herd angelassen oder ähnliches getan – „nein, das war der Heilige Geist“. Popularisiert (und an der Heimatfront bekannt gemacht) wurden die Gremlins durch ein Disney-Kinderbuch von „Charlie und die Schokoladenfabrik“-Autor Roald Dahl, das als Grundlage für einen (letztlich nie verwirklichten) Zeichentrickfilm dienen sollte, sowie durch Disneys Mitbewerber Warner Bros.: Im September 1943 duellierte sich Bugs Bunny im immens beliebten Cartoon „Falling Hare“ mit einem kleinen, zerstörerischen Knilch, der auf einer Basis der Air Force  und in US-Kampfflugzeugen Schaden anrichtet. Warner produzierte während des Zweiten Weltkrieges zudem eine ganze Cartoon-Ausbildungsreihe namens „Private Snafu“, in der sich ein knollennasiger, etwas untersetzter Private jede Menge Patzer leistet, die das zum Militärdienst eingezogene Publikum vermeiden sollte, indem es aus seinen Fehlern lernt.

Die Kameraarbeit von „Shadow in the Cloud“ kann sich sehen lassen.

„Shadow in the Cloud“ greift charmant auf diese Cartoons zurück: Regisseurin Roseanne Liang („My Wedding and other Secrets“) stellt dem Vorspann einen Fake-Vorfilm voran, der wie ein ultrakonzentrierter „Private Snafu“-Kurzfilm anmutet, in dem zudem ein Gremlin sein Unwesen treibt. Liang bereitet so kurzweilig und effizient die Bühne für ihren Genremix, durch den sich spürbare Verehrung und Dankbarkeit für die Frauen zieht, die im Zweiten Weltkrieg dienten – nur um von der Geschichtsschreibung vergessen zu werden. So sehr, dass heutzutage uninformierte Typen im Internet was von historischer Inkorrektheit faseln, wann immer Frauen im Militärdienst während der 1940er gezeigt (oder im Fall von „Dunkirk“ von manchen Kritiker:innen gefordert) werden. Daher ist dieser Film gleichzeitig auch als Kampf genau dagegen zu verstehen. Mit Referenzen auf Cartoons, Pin-ups und Stilistik jener Zeit versehen, schickt die Regisseurin und Autorin in „Shadow in the Cloud“ den „Bad Neighbors 2“-Star Chloë Grace Moretz als resolute Flugoffizierin auf eine Mission, bei der versagende Technik und im Luftraum lauernde Flugzeuge des Feinds, ja, selbst die Furcht vor einem Monstrum in Sachen Ärgernis und Bedrohlichkeit vor dem sie umgebenden Chauvinismus verblassen.

„Liang bereitet so kurzweilig und effizient die Bühne für ihren Genremix, durch den sich spürbare Verehrung und Dankbarkeit für die Frauen zieht, die im Zweiten Weltkrieg dienten – nur um von der Geschichtsschreibung vergessen zu werden.“

Liang und ihr Kameramann Kit Fraser („Under the Shadow“) stilisieren den ersten Akt von „Shadow in the Cloud“ ebenso dezent wie konsequent: Wenn Maude allein in der Geschützkabine sitzt, blicken wir gelegentlich in ihren Kopf, wo sie vor innerem Auge das Gesicht zur jeweils über Funk hörbaren Stimme vorstellt – vor einem satt schwarzen Hintergrund, mit dominierenden Schatten und rötlichen sowie grünlichen Neonlichtern, die ihre Gesichter ominös umranden. Auch die Lichtsetzung in der Geschützkabine lässt Realismus links liegen, um stattdessen Moretz in Bildern zeigen, die deutlich kontrastreicher und farblich gesättigter sind, als bei einem Nachtflug in dieser Position logisch betrachtet möglich. Das verleiht, angesichts der Farbwahl, dem Film ein leicht „pulpiges“ Feeling, weckt also Erinnerungen an Groschenroman-Cover oder Filme mit Groschenroman-Logik – und lässt gleichzeitig zu, dass wir mehr von Moretz‘ Mimik zu sehen bekommen, die in diesem klaustrophobischen Setting mitreißend zwischen Wut, Frustration, Panik, Verbissenheit und dem heroischen Sammeln von Mut schwankt.

Findet Flight Officer Maude Garrett (Chloë Grace Moretz) ihre große Liebe?

Auch akustisch wird dieser 80er-Jahre-Retro-Pulp-Einschlag durchgezogen: Der Score von Mahuia Bridgman-Cooper („Housebound“) setzt auf eine dichte Wand aus atmosphärischer Synthie-Grundstimmung, über die akzentuiert weitere Synthie-Ebenen gelegt werden, die eher eine New-Wave-Dynamik aufweisen und so markant aus der angespannten Klang-Grundstimmung herausstechen. Dieser Clash aus einer akkurat rausgeputzten 40er-Jahre-Ästhetik (Moretz‘ Frisur und Fliegerjacke sitzen so perfekt, als sei sie einem US-amerikanischen WWII-Propagandaplakat entsprungen) und zurückblickendem 80er-Jahre-B-Movie wird von Liang lange Zeit sehr versiert durchgezogen. Sie vereint so das zeitliche Setting fähig mit ihrer thematischen Herangehensweise (modern-selbstbewusster Feminismus trifft die Kantigkeit von 80er-B-Movies mit Botschaft). Es ist dieser Auftakt, der „Shadow in the Cloud“ zu einer Art filmischen Verwandten von „Die Weite der Nacht“ und glatt Lust auf ein Double Feature beider Filme macht. Verschmilzt Andrew Patterson in seinem 2020 auf Amazon Prime veröffentlichten Regiedebüt doch stilistische Elemente der 1950er, 1980er und von heute zu einem nostalgisch-modernen Sci-Fi-Mysterystoff, bei dem die Kamera ebenfalls lange Zeit einfach nur auf den Hauptfiguren ruht. Sobald Liang jedoch das anfängliche, prominente klaustrophobische Element aufgibt, gerät ihr Film zwischenzeitlich auf inszenatorischer Ebene ins Wanken.

„Moretz‘ Frisur und Fliegerjacke sitzen so perfekt, als sei sie einem US-amerikanischen WWII-Propagandaplakat entsprungen.“

Digital bewusst unrunde Bildkompositionen erwecken im Mittelteil nicht etwa (die wahrscheinlich intendierten) Erinnerungen an ruckelige Rückprojektionen in Filmen der 1940er, sondern fallen ins Niemandsland zwischen „Nicht als real gemeint überzeugend“ und „Nicht stilisiert genug, um als bewusst artifiziell zu gefallen“. Und auch auf Skriptebene bewegt sich der Film in eine Grauzone: Eine an „Alien“ (den Liang als eine von vielen Inspirationen bestätigte) erinnernde Passage, in der die Spannung darauf basiert, wie sich die männliche Besatzung in Gefahr schlägt, fällt zwangsweise flach. Die Figuren wurden zuvor mit ihrem verbalen Dauerfeuer an rassistischen und frauenfeindlichen Kommentaren zu unsympathisch, als dass Sorge um sie entstehen könnte. Gleichzeitig fällt die „Kanonenfutter muss dran glauben“-Freude gering aus, da Moretz‘ Figur im Mittelteil stets zu nah an der Bedrohung ist und Liang die blutigen Passagen zudem längst nicht so mitreißend inszeniert wie den suspensebasierten ersten Akt.

Kopfüber ins Ungewisse: „Shadow in the Cloud“ ist für so manche Überraschung gut.

Glücklicherweise kriegt der Film im letzten Drittel wieder die Kurve, wenn Liang den Fokus von den männlichen Nebenfiguren lenkt und sich an einer kleinen, feschen Frauenpower-Hommage an einen Arnold-Schwarzenegger-Klassiker übt. Gewiss: Der Bogen, den Liang spannt (vom kammerspielartigen Auftakt voller Suspense hin zum actionreichen Finale, der eine wunscherfüllende Tonalität verfolgt), ist verdreht und wird sicher manche Filmfans vergraulen, die lieber bei der anfänglichen Gangart geblieben wären – und durch den unsteten Mittelteil fehlt es ihr an genügend Zugkraft, um das Publikum geschlossen und ungefragt einfach ihren Weg entlang zu zerren. Dennoch ist es (dank des gelungenen Abschlusses) eine konzeptuell stimmige Wandlung, die der Hauptfigur gebührt. Es ist daher ein Jammer, dass „Shadow in the Cloud“ in den USA so enorm auf die Beteiligung von Max Landis reduziert wurde. Über den „Chronicle“-Drehbuchautor kursierten schon seit einigen Jahren medial wenig beachtete Vorwürfe der sexuellen Nötigung und missbräuchlichen Verhaltens, im Frühjahr 2019 (kurz nach Beginn des „Shadow in the Cloud“-Produktionsprozesses, noch vor Beginn der Dreharbeiten) machten acht Frauen konkrete, mehr Gehör findende Anschuldigungen des emotionalen und körperlichen Missbrauchs. Und auch Vergewaltigung wurde Landis vorgeworfen. Dass so jemand als Autor eines feministischen Films aufgeführt wird, wurde kontinuierlich Liangs Regiearbeit vorgehalten.

Dass Landis laut Liang nicht in den Produktionsprozess involviert war, sondern „Shadow in the Cloud“ lediglich auf einem älteren, schlappe 70 Seiten langen Drehbuchentwurf von ihm basiert, den sie intensiv überarbeitete und ausbaute, interessierte dabei nur wenige. Der Ruf von „Shadow in the Cloud“ war ruiniert – womit Moretz nun bereits zwei Filme in ihrer Vita hat, die aufgrund eines übergriffigen Manns in Verruf geraten sind (der andere: „I Love You, Daddy“ von Louis C.K.). Bitte nicht missverstehen: Abscheu gegenüber Landis zu verspüren, ist angesichts der schwerwiegenden Vorwürfe vollkommen nachvollziehbar. Aber ist es wirklich gerecht, dadurch Liangs Arbeit in Mitleidenschaft zu ziehen, die sich nach Lautwerden der Vorwürfe gegen Landis dafür stark gemacht hat, ihn als Produzenten vom Projekt zu entfernen, und die zudem eine erneute Überarbeitung des Skripts vornahm, mit dem Ziel, ihn somit auch für den Drehbuch-Credit im Abspann zu disqualifizieren (selbst wenn die Autorengewerkschaft beschloss, Landis müsse weiter genannt werden)? Vor diesem Hintergrund drängt sich glatt die Frage auf, ob Moretz und Liang beim Dreh des Finales gewisse Hintergedanken hegten und kathartisch ihrer Wut und Abscheu Luft gemacht haben. Aber die Antwort darauf werden sie sicher so schnell nicht verraten…

„Ist es wirklich gerecht, durch die Landis-Kontroverse Liangs Arbeit in Mitleidenschaft zu ziehen, die sich nach Lautwerden der Vorwürfe selbst dafür stark gemacht hat, ihn als Produzenten vom Projekt zu entfernen, und die zudem eine erneute Überarbeitung des Skripts vornahm, mit dem Ziel, ihn somit auch für den Drehbuch-Credit im Abspann zu disqualifizieren?“

Fazit: „Shadow in the Cloud“ ist ein gelungener Genre-Mischmasch, der zwar größere Ambitionen hat als es Regisseurin Roseanne Liang in der Umsetzung gelingt. Dennoch ist der Clash aus 40er- und 80er-Ästhetik sowie 80er- und gegenwärtiger Tonalität ein unterhaltsames Abenteuer mit einer einmal mehr kräftig austeilenden Chloë Grace Moretz.

„Shadow in the Cloud“ ist ab sofort als VOD und ab dem 24. April auf DVD und Blu-ray Disc erhältlich.

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