Raya und der letzte Drache

Für den 59. Eintrag in den Disney-Meisterwerke-Kanon zieht es die Filmemacher:innen aus dem Mäusekonzern in die fantastische Welt von Kumandra, wo eine einsame Kriegerin die entzweiten Menschen wieder zusammenzubringen versucht. Ihr zur Seite stehen ein Drache und weitere zahlreche Sidekicks. Wie RAYA UND DER LETZTE DRACHE gelungen ist, das verraten wir in unserer Kritik.

OT: Raya and the last Dragon (USA 2021)

Der Plot

Vor langer Zeit lebten in der magischen Welt von Kumandra Menschen und Drachen Seite an Seite in Harmonie zusammen. Doch als eine böse Macht das Land bedrohte, opferten sich die Drachen für die Menschen. Heute, 500 Jahre später, kehrt das Böse zurück, um die Menschheit endgültig auszulöschen. Um dies zu verhindern, reist die einsame Kriegerin Raya (deutsche Stimme: Christina Ann Zalamea) nach einem schweren Verlust durch das zerbrochene Land, auf der Suche nach dem legendären letzten Drachen Sisu. Denn nur mit seiner Hilfe kann wieder Frieden in Kumandra einkehren. An Rayas Seite: ihr bester Freund Tuk Tuk – und viele neue Bekanntschaften, die Raya auf ihrem Feldzug zur Seite stehen.

Kritik

Weibliche Heldinnen haben im Hause Disney eine lange Tradition: Schon im aller ersten abendfüllenden Disney-Zeichentrickfilm „Schneewittchen und die sieben Zwerge“ stand eine junge Frau im Mittelpunkt der Erzählung. Weitere, zumeist Prinzessinnen, folgten ihr zahlreich, von Cinderella in ihrem gleichnamigen Abenteuer über Alice aus dem Wunderland bis hin zu Yasmin in „Aladdin“. Über eine quantitative Unterrepräsentation des weiblichen Geschlechts kann man sich bei der Trickfilmschmiede wahrlich nicht beschweren, wohl aber über die Art und Weise, wie es in die animierten Abenteuer integriert ist. Es benötigte gar nicht erst die große #MeToo-Debatte, um darauf aufmerksam zu werden, dass Dornröschen, Belle und Co. in ihren Filmen häufig weniger Heldinnen als vielmehr Opfer der Umstände und abhängig von männlichen Nebenfiguren sind. Emanzipatorisch wertvoll waren die wenigsten Disneyfilme früherer Dekaden. Gleichwohl hat mit den Jahren eine positive Trendwende stattgefunden. Schon in „Mulan“ stellte sich eine Frau selbstbewusst der „Männerdomäne Krieg“, in „Zoomania“ erarbeitete sich eine selbstbewusste Häsin entgegen ihrer Natur den Job einer gerissenen Polizistin und auch Filme wie „Die Eiskönigin“ und „Vaiana“ propagieren selbstbewusste Heldinnen, die die Dinge in die eigene Hand nehmen, um wahlweise die Welt oder ihr Königreich zu retten. Der nunmehr 59. Eintrag in den Disney-Meisterwerke-Kanon schlägt eindrucksvoll in dieselbe Kerbe emanzipatorisch wertvoller Animationsabenteuer und etabliert eine toughe Heldin, die sich in einer Fantasiewelt mit vorzugsweise weiblichen Nebenfiguren um ein friedliches Miteinander der Menschen bemüht. Doch nicht alles an „Raya und der letzte Drache“ ist gelungen.

Raya trifft auf den legendären Drachen Sisu.

Der kurze Streifzug durch die Geschichte weiblicher Disney-Hauptfiguren als Einleitung eines Texts über „Raya und der letzte Drache“ könnte viele Leser:innen zur falschen Schlussfolgerung führen. Ja, Autor Qui Nguyen („The Society“) und Autorin Adele Lim („Crazy Rich“) mögen ihrer Geschichte eine toughe Heldin verpasst und viele wichtige Nebenfiguren ebenfalls weiblich besetzt haben, das daraus resultierende Female Empowerment trägt der Film jedoch längst nicht derart offensiv vor sich her, wie man es im Anbetracht der Umstände vielleicht erwarten mag. Dass ein Großteil der Charaktere im Film weiblich ist, ist hier kein Statement, sondern eine von zahlreichen kreativen Entscheidungen, die dem Film sein Herz und seine Seele verpassen. Wie man es von den aller meisten Disney-Animationsfilmen gewohnt ist, hat auch „Raya und der letzte Drache“ davon eine ganze Menge. So dürfte sich nicht bloß die gleichermaßen selbstsichere als auch von ihrer Aufgabe heillos überforderte Kriegerin Raya mühelos zur Identifikationsfigur für ein Kinder- und Jugendpublikum emporschwingen, sondern auch ihre unzähligen Begleiter:innen. Und nicht zuletzt steckt die Ausarbeitung der magischen Welt Kumandra – für deren Landschaft und Architektur sich die Filmemacher:innen von den südostasiatischen Ländern Thailand, Vietnam, Kambodscha, Myanmar, Malaysia, Indonesien, den Philippinen und Laos inspirieren ließen – so voller visuellem Ideenreichtum, dass das Disney-Universum seinen Fans ein weiteres Mal eine völlig neue, im eigenen Kosmos zuvor nie dagewesene Welt eröffnet, in der man sich unbedingt verlieren möchte. Der Grundstein für ein mehrteiliges Franchise ist also gelegt.

„Es dürfte sich nicht bloß die gleichermaßen selbstsichere als auch von ihrer Aufgabe heillos überforderte Kriegerin Raya mühelos zur Identifikationsfigur für ein Kinder- und Jugendpublikum emporschwingen, sondern auch ihre unzähligen Begleiter:innen.“

Doch so üppig das Potenzial für diverse weitere „Raya“-Filme und -Serien auch sein mag: In „Raya und der letzte Drache“ ist davon nur im Ansatz etwas zu spüren – sicherlich auch deshalb, weil ein (zu) tiefes Eintauchen in die Historie Kumandras und die einzelnen Teile der einst auseinandergebrochenen Welt den erzählerischen Rahmen gesprengt hätte. Und so muss es genügen, dass die Geschichte des Landes in den ersten Minuten im Eilverfahren abgehandelt wird und dabei das ein oder andere Fragezeichen hinterlässt. Für den weiteren Fortverlauf der Story mag das ausreichen; Genauso dürften auch jüngere Zuschauer:innen den Ereignissen folgen können, selbst wenn ihnen einige Details in der durchaus komplexen Hintergrundgeschichte Kumandras verborgen bleiben. Gleichwohl wird der im Kern äußerst simple Schatzsuch-Plot dem Ideenreichtum der für den Film erschaffenen Welt nicht gerecht. Geht es in „Raya und der letzte Drache“ doch vor allem darum, die Einzelteile eines bestimmten Artefakts zusammenzusammeln, von dem sich in jedem Teil Kumandras eines befindet. Man erahnt den heraufbeschworenen Zusammengehörigkeitsgedanken: „Nur gemeinsam können wir Kumadra wiedervereinen!“. Mit dieser an ein friedvolles Miteinander auch über ethnische Grenzen hinaus appellierenden Botschaft ist „Raya und der letzte Drache“ voll auf der Höhe der Zeit. Mehr noch: Die Art und Weise wie die Drehbuchautor:innen das damit einhergehende Thema Vertrauen in ihre Geschichte einbeziehen, tangiert zeitgenössische, weltbewegende Problematiken und funktioniert als hoffnungsvolle Vorstellung einer besseren Welt; ein klein wenig naiv zwar, doch so kitschrei wie hier aufbereitet, wirkt die Message durch und durch aufrichtig.

Sisu kann sich auch in einen Menschen verwandeln…

Doch eh „Raya und der letzte Drache“ seine erzählerischen Stärken vor allem im letzten Drittel offenbart, ist der Film bis zu diesem Zeitpunkt in erster Linie ein rasantes Abenteuer, in dem es vor allem darum geht, auf welch trickreiche Weise Raya und ihr vierbeiniger Begleiter Tuk Tuk das auseinandergebrochene Kumandra durchkämmen. Die über den beiden schwebende Bedrohung – immerhin ist Raya die Einzige, die die Welt noch retten kann – scheint dabei nur selten durch. Erst auf der Zielgeraden offenbaren sich die weitreichenden Folgen ihres Handelns, zuvor kaschiert von den action- und slapstickreichen Eskapaden der Titelheldin. „Raya und der letzte Drache“ ist lange Zeit ein sehr kurzweiliger Spaß, dessen viele Kampf- und Verfolgungsszenen ein hohes Tempo vorgeben (schon die Eröffnungssequenz ist eine ausufernde Actionsequenz). Viel Zeit zum Durchatmen bleibt da nicht. Auch deshalb, weil die Gruppe rund um Raya im weiteren Verlauf immer größer wird. Die Sidekicks summieren sich sukzessive, sind manchmal richtig witzig, ein anderes Mal eher vergessenswert. Doch immerhin haben sie allesamt eine Relevanz für den Ausgang der Geschichte. Vor allem natürlich der bereits im Titel genannte „letzte Drache“, im Original gesprochen von „The Farewell“-Star Awkwafina, deren optisches Erscheinungsbild zudem für das Design von Sisus menschlicher Inkarnation Pate stand. Doch auch charakterlich schien man sich für die Ausarbeitung des Drachen an Awkwafinas Quirligkeit zu orientieren. Und so ist die sagenumwobene Sisu eben kein ehrfurchtgebietender, eleganter, geschweige denn gefährlicher Drache, sondern vor allem ein Comic Relief, der den Film zwar mit jeder Menge Witz und Charme bereichert, die hohen Erwartungen des Publikums jedoch ein Stückweit untergräbt.

„Die sagenumwobene Sisu ist kein ehrfurchtgebietender, eleganter, geschweige denn gefährlicher Drache, sondern vor allem ein Comic Relief, der den Film zwar mit jeder Menge Witz und Charme bereichert, die hohen Erwartungen des Publikums jedoch ein Stückweit untergräbt.“

Auch das optische Design des Drachen beißt sich mit der detailverliebten, bisweilen gar fotorealistischen Optik der hier animierten Welt. Macht „Raya und der letzte Drache“ aus bildästhetischer Sicht einen durch und durch erwachsenen Eindruck und scheint sich mit seinen zahlreichen Actionszenen vor allem an ein jugendliches Publikum zu richten, wirkt die knuddelige Sisu wie aus einem ganz anderen Film. Dieser Clash verschiedener Stilrichtungen hat etwas Reizvolles, kann einen in Ermangelung eines einheitlichen Stils aber auch irritieren. Dafür überzeugt die stimmliche Chemie zwischen Kelly Marie Tran („Star Wars – Der Aufstieg Skywalkers“) und Awkwafina im Original sowie Christina Ann Zalamea („Wishlist“) und Maria Hönig (Awkwafinas Stammsprecherin) in der deutschen Synchronfassung voll und ganz. Sie alle haben die charakteristischen Eigenheiten ihrer Figuren hervorragend verinnerlicht.

Fazit: „Raya und der letzte Drache“ ist ein gewohnt hochwertig produziertes Animationsfilmabenteuer aus dem Hause Disney, das mit überraschend viel Action daherkommt und gewohnt viel Herz besticht. Gleichzeitig bleibt am Ende des Films das Gefühl zurück, längst noch nicht alles von der Welt gesehen zu haben. So wirkt der Film vor allem wie ein Auftakt für noch viele Abenteuer mehr. Als alleinstehendes Abenteuer funktioniert er erwartungsgemäß routiniert.

„Raya und der letzte Drache“ ist ab dem 5. März über einen Disney+-VIP-Zugang streambar.

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