Neues aus der Welt

Der von Universal Pictures bei Netflix geparkte Neo-Western NEUES AUS DER WELT bekommt Oscar-Chancen eingeräumt und wird von Tom Hanks mit „The Mandalorian“ verglichen. Was davon zu halten ist, verraten wir in unserer Kritik.

OT: News of the World (USA/CHN 2020)

Der Plot

Amerika im Jahr 1870: Captain Jefferson Kyle Kidd (Tom Hanks) streift im Wilden Westen von Stadt zu Stadt. Er verdient sich sein Geld damit, die Zeitung auf mitreißende Art vorzulesen und somit jene, die an seinen Lippen kleben, über die aktuellen Entwicklungen in der Welt zu informieren. Eines Tages begegnet ihm auf seinen Reisen ein einsames Mädchen: Die kleine Johanna (Helena Zengel) hat vor sechs Jahren ihre Eltern verloren und spricht bloß eine Kidd fremde Sprache. Doch eine Botschaft bittet den Captain, das junge Mädchen zu Verwandten nach San Antonio zu eskortieren. Der Kriegsveteran nimmt sich trotz zahlreicher Widrigkeiten, die sich ihm in den Weg stellen, der gefährlichen Mission an. Überraschenderweise zählt auch Johanna zu denen, die Kidd hindern wollen. Denn sie hat keine Lust auf die ihr fremde Welt, in die er sie führen soll …

Kritik

Es gibt drei Gründe, weshalb Filminteressierte vor Netflix-Start der neuen Paul-Greengrass-Regiearbeit von „Neues aus der Welt“ gehört haben könnten: Vor allem deutsche Filmfreunde dürften von diesem Western Wind bekommen haben, weil Helena Zengel darin mitspielt. Die Castingnews kam im Fahrwasser des aufwühlenden Programmkinohits „Systemsprenger“ und zeichnete die junge Schauspielerin somit als neue internationale Schauspielhoffnung aus der Bundesrepublik. Zengel ist es auch, die „Neues aus der Welt“ in den vergangenen Tagen einen soliden Buzz bei den alljährlichen Filmpreisen verschafft hat – so wurde sie schon für einen Satellite Award, einen Golden Globe und den Screen Actors Guild Award nominiert. Und dann machte noch ein Zitat von Hauptdarsteller Tom Hanks („Der wunderbare Mr. Rogers“) in der Onlinepresse die Runde: Gegenüber ‚CinemaBlend‘ beschrieb die Schauspiellegende „Neues aus der Welt“ als „’The Mandalorian‘ ohne Lichtschwerter“. Man muss es Hanks lassen: Er ist nicht nur ein hervorragender Schauspieler, sondern auch ein PR-Profi – im heutigen Zeitalter der Filmberichterstattung ist bei einem „Star Wars“-Vergleich garantiert, dass diese Beschreibung des eigenen Projekts auf digitalen Filmportalen die Runde macht. Und Hanks wirft nicht einfach ein Buzzword in die Runde – „Neues aus der Welt“ lässt sich zwar auch mit zahlreichen Western vergleichen und auch so manchen Videospielen, aber der Vergleich mit „The Mandalorian“ ist dennoch nicht so weit hergeholt.

Aus Kidd (Tom Hanks) und Johanna (Helena Zengel) werden nach und nach Vertraute…

Das ist natürlich insofern überhaupt nicht überraschend, als dass sich „The Mandalorian“ mit dem zentralen Storyelement seiner ersten beiden Staffeln freimütig bei Western-Konventionen bedient: Schon oft wurde von einem erfahrenen Haudegen erzählt, der einen jüngeren Schützling von A nach B transportieren und dabei vor Gefahren bewahren muss, seien sie witterungsbedingt, wilde Tiere oder herzlose Menschen. Während „The Mandalorian“ diese Formel dadurch abwandelt, indem sie mit Raumschiffen, Lichtschwertern, Lasergeschossen und zahlreichen Vorbereitungen von Spin-off-Serien und anderen „Star Wars“-Projekten bereichert wird, geht „Neues aus der Welt“ einen Weg, der sehr gut zu Tom Hanks‘ heutigem Leinwandimage passt: Obwohl Hanks‘ Schauspielkarriere nicht frei von Charakteren ist, die böse, frech oder ungestüm sind, so dominiert in der öffentlichen Wahrnehmung ganz klar das Bild von Tom Hanks als weiser Onkel von einem Teddybären. Passenderweise dreht sich „Neues aus der Welt“ nicht um einen kernigen Revolverhelden, der erst im Laufe seiner Mission seine Herzlichkeit entdeckt: Captain Jefferson Kyle Kidd ist schon zu Beginn des Films empathisch – er wirft sorgenvolle, einladende Blicke in Richtung einer schwarzen Frau, die im hintersten Winkel des Raumes steht, als er einem sonst ausschließlich weißen (und leicht aufzubringenden) Publikum die Nachrichten vorliest. Und ihm steht es ins Gesicht geschrieben, wie es ihm den Magen zuschnürt, als er im Wald einen gelynchten Schwarzen vorfindet.

„Schon oft wurde von einem erfahrenen Haudegen erzählt, der einen jüngeren Schützling von A nach B transportieren und dabei vor Gefahren bewahren muss, seien sie witterungsbedingt, wilde Tiere oder herzlose Menschen.“

Dass Kidd die weder Deutsch noch Englisch verstehende Rabakuin Johanna aufliest und begleitet, die einst ihren deutschen Migranteneltern entrissen wurde, ist also selbstverständlich. Er legt zwar kurz Widerspruch ein, als ihm verdeutlicht wird, dass niemand diese Aufgabe für ihn übernehmen wird. Doch das rührt mehr aus der Sorge, dass er nicht dafür gemacht sei – und weniger daher, dass er von seinem warmherzigen Naturell überrascht ist und findet, er hätte besseres zu tun. Es ist eine Hanks‘ Talent für gutherzige Autoritätsfiguren in die Karten spielende erzählerische Entscheidung, und es hebt „Neues aus der Welt“ vom Gros der Ein-Mann-und-sein-Schützling-Subkategorie des Westernfilms ab. Jedoch flacht es auch die Charakterentwicklung ab: Kidd macht in den weniger als zwei Filmstunden nur einen spärlichen Wandel durch. Er stößt zwar immer wieder an die Grenzen seines Erfahrungshorizonts; Der sehr manierliche Einzelgänger ist beispielsweise kurz pikiert, wenn das völlig anders als er aufgewachsene Mädchen in einem Etablissement mit den Fingern isst und halblaut vor sich her singt. Doch stets zeigt er sich zügig gewillt, verständnisvoll zu reagieren und Unterschiede zwischen der Kultur sowie dem Naturell des von Eingeborenen erzogenen Mädchens und seiner eigenen Art zu respektieren.

Captain Jefferson Kyle Kidd streift durchs Land, um den Menschen aus der Zeitung vorzulesen.

Solche Wohlfühlvariationen bestehender Genres haben ihre Daseinsberechtigung und können wahrlich grandiose Formen annehmen – siehe etwa Olivia Wildes Regiedebüt „Booksmart“, das als „John-Hughes-Teeniekomödie für Generation Z, mit einer lesbischen Hauptfigur, in der es keinerlei homophobes Mobbing gibt“ eine großartige Gute-Laune-Bombe abgibt. Und es ist ja wahrlich nicht so, als sei das Konzept eines Wohlfühlwesterns völlig unerprobt (allein der konsequenterweise Jahrzehnte später von Tom Hanks gespielte Walt Disney machte zahlreiche von ihnen). Doch „Neues aus der Welt“ schafft es nicht, in seiner Gänze Kapital aus seiner Position zu schlagen. Es ist fast so, als seien sich die für das Drehbuch verantwortlichen Paul Greengrass („Jason Bourne“) und Luke Davies („Beautiful Boy“) nicht vollauf dessen gewiss, was sie entwickelt haben – oder aber, sie haben es erkannt, dem Publikum jedoch nicht ausreichend vertraut: In den besten Strecken von „Neues aus der Welt“ wird dieser Western zu einem Film über zwei Figuren, die versuchen, sich aus ihrem (Sub-)Genre heraus zu strampeln. Aber die Strecken sind kürzer als man hoffen dürfte.

„Es ist fast so, als seien sich die für das Drehbuch verantwortlichen Paul Greengrass und Luke Davies nicht vollauf dessen gewiss, was sie entwickelt haben – oder aber, sie haben es erkannt, dem Publikum jedoch nicht ausreichend vertraut.“

Kidd, der nur wenige Jahre vor Handlungsbeginn noch auf der Seite des rassistischen Südens kämpfte (wobei unklar bleibt, weshalb und mit welcher Überzeugung), und die ihm eingangs misstrauende Johanna werden zu einem goldigen, herzlichen Gespann, das auf rauem Territorium und in einer noch raueren Gesellschaft einfach nur zusammenhalten und für mehr Verständnis einstehen will. Das reicht über die von Hanks und Zengel (deren Darstellung einer schreienden, misstrauischen Nervensäge, die in Wahrheit nur ein verletzliches, traumatisiertes Mädchen ist, das den richtigen Vormund braucht, einer Art „Systemsprenger light“ gleicht) gefühlvoll und teils gewitzt gespielten Dialogszenen hinaus. So ist der Moment, in dem Kidd Angreifer mit improvisierter, relativ harmloser Munition zu verscheuchen versucht und fragend angefaucht wird, ob er sie zu Tode kitzeln will, auf köstliche Weise bezeichnend für die Glanzlichter in „Neues aus der Welt“.

Die gemeinsame Reise der beiden gestaltet sich dramatisch und aufregend.

Jedoch fällt Greengrass zu häufig und zu langwierig in eine Fließband-Westerndramaturgie, die mit diesen Figuren keine Spannung erzeugt, obwohl sie darauf abzielt. Ausgedehnte Actionszenen, die der seinen Wackelkamera-Stil ausnahmsweise stark unterdrückende Greengrass mit wenig Schauwert versieht, lassen Aufregung missen, ebenso wie Szenen, die sich nahezu allein aus der Frage generieren, ob Kidd seinen Schützling im Stich lassen wird. Für solche Passagen erzeugen Greengrass und Davies schlicht zu wenig Ambiguität – und es sind Passagen, die sich generell nicht in diesen Film fügen. Ästhetisch lässt sich „Neues aus der Welt“ dagegen nichts ankreiden: Kameramann/„Pirates of the Caribbean“-Wiederholungstäter Dariusz Wolski zeigt mit seinen atmosphärisch ausgeleuchteten, prägnanten Bildern, wie es wohl ausgesehen hätte, hätte er mit seinem filmischen Weggefährten Gore Verbinski „Lone Ranger“ gefilmt. Und Komponist James Newton Howard schafft einen Score, der mit seinen groß aufgefahrenen, gefühlvollen Melodien sehr konsequent das Wesen des Films erfasst – wenn zu seinen Klängen Zangels zappeliges Mädchen Ruhe findet, aufhellt und anmerken lässt, wie wohlig Johanna sich fühlen kann, wenn sie sich angekommen fühlt, kann einem echt das Herz aufgehen.

Fazit: „Systemsprenger 1870“ trifft „Was, wenn Mister Rogers ein Westernheld wäre?“: „Neues aus der Welt“ lässt einen ruhigen Mann und kindliches Nervenbündel auf eine Wild-West-Reise antreten, die unterstreicht, wie wichtig es ist, stets den Horizont zu erweitern. Schade nur, dass sich durch den Film der Verdacht zieht, dass die Filmschaffenden der Essenz ihres Films nicht gänzlich vertraut haben.

„Neues aus der Welt“ ist ab sofort bei Netflix streambar.

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