Yung

Es ist ein flirrender Trip durch die pulsierende und hedonistische Subkultur einer modernen Großstadt, vor allem aber das Porträt einer innigen Freundschaft: YUNG begleitet vier Mädchen auf ihrer Reise durch Berlin. Authentizität kann man dem Film nicht absprechen. Trotzdem gibt es Schwächen. Welche das sind, das verraten wir in unserer Kritik.

OT: Yung (DE 2018)

Der Plot

Vier Freundinnen, Berlin und der Traum vom unbeschwerten Leben: Die siebzehnjährige Janaina (Janaina Liesenfeld) verdient sich etwas Taschengeld mit Webcam-Sex hinzu. Ihre beste Freundin Emmy (Emily Lau) ist nur ein Jahr älter. Für sie ist die Stadt ein einziger Rausch, bei dem sie nicht realisiert, dass sie immer tiefer in den Strudel der Abhängigkeit gerät. Joy (Joy Grant), 17, sinnt über die Liebe nach, wenn sie nicht gerade Drogen verkauft, und die gerade einmal 16 Jahre alte, süße Abbie (Abbie Dutton) träumt davon nach Los Angeles abzuhauen. Doch diese Pläne liegen in weiter Ferne. Denn wer einmal in den Berliner Abgrund geblickt hat, den lässt die Stadt so schnell nicht wieder los…

Kritik

Über die letzten Jahre hat sich an der Wahrnehmung Berlins im modernen (deutschen) Kino praktisch nichts geändert. Die flirrende Metropole übt auf Filmemacher immer noch eine enorme Faszination aus; sowohl der schöne Schein mit all seinen ikonischen Wahrzeichen als auch die gleichermaßen gefährliche wie reizvolle Unterwelt. Regisseur und Autor Henning Gronkowski („Berlin für Helden“) wählt wie zuletzt schon Burhan Qurbani („Berlin Alexanderplatz“), Ute Wieland („Tigermilch“) oder Detlev Buck („Asphaltgorillas“) Letzteres und erzählt in „Yung“ von der Hauptstadt als Sog aus Drogen, Alkohol und Sex, der vier junge Mädchen in seinen Bann gezogen hat und diese nun zu zerquetschen droht. Sein Inszenierungsstil ist dabei außergewöhnlich authentisch und verzichtet auf jedwede Überstilisierung. Das Porträt der Freundinnen dagegen kann der üblichen Betrachtungsweise von Berlin als Schmelztiegel von Kulturen und Ansammlung gefährlicher Verführungen aber kaum Neues hinzufügen.

Die vier Mädels fahren früh morgens aus dem Club nach Hause.

Wie stark Gronkowski und sein Kameramann Adam Ginsberg („7 Chinese Brothers“) in „Yung“ auf ein Echtheitsgefühl setzen, realisiert man in den ersten Filmminuten fast unbewusst, wenn man sich plötzlich mit der Frage konfrontiert sieht, ob das Gezeigte nun eigentlich Dokumentar- oder Spielfilm ist. Die vier Hauptdarstellerinnen spielen quasi sich selbst und durchbrechen in eingestreuten Interviewsequenzen, in denen sie ihr Handeln selbst erklären und zu reflektieren versuchen, immer wieder die vierte Wand. Inwiefern die auf der Leinwand dargestellten Ereignisse aber auch tatsächlich auf wahren Erlebnissen beruhen, bleibt offen. Da Henning Gronkowski allerdings selbst lange Zeit in der Berliner Clubszene aktiv war, liegt die Annahme nahe, dass Realität und Fiktion in „Yung“ Hand in Hand gehen. Das ginge natürlich nicht ohne die dazu passenden Hauptdarstellerinnen. Und die hat das Team mit Janaina Liesenfeld, Emily Lau, Joy Grant und Abbie Dutton zweifelsohne gefunden. Die vier Newcomerinnen, für die dieses Projekt die allererste Arbeit als Schauspielerin darstellt, agieren derart ungezwungen und intuitiv miteinander und mit ihrem Umfeld, dass sie den dokumentarischen Kern des Films lange Zeit nähren und den Eindruck aufrecht erhalten können, dass ihnen all das so wirklich passiert ist; Letzteres kommt erst recht in den eingeschobenen Interviewsequenzen zum Vorschein, auch wenn diese die eigentliche Filmhandlung immer wieder arg ausbremsen.

„Das Porträt der Freundinnen kann der üblichen Betrachtungsweise von Berlin als Schmelztiegel von Kulturen und Ansammlung gefährlicher Verführungen aber kaum Neues hinzufügen.“

Nun muss man sagen, dass „Yung“ so etwas wie eine stringente Handlung ohnehin nicht hat. Henning Gronkowski liefert eher eine Momentaufnahme, die hier und da gar improvisiert wirkt, wenn sich Ereignisse nicht so entwickeln, wie sie es sich vermutlich in einem herkömmlichen deutschen Problemfilm über abzustürzen drohende Jugendliche entwickeln würden. Die Macher folgen den Protagonistinnen auf ihrem Weg durch Berlin; machen mal hier Halt, mal dort. Blicken sogar mal hinter die geschlossenen Türen der Kinderzimmer. Doch nie scheint es so, als würde in „Yung“ irgendwas der Dramaturgie wegen geschehen. Das bedeutet allerdings auch, dass die Kamera bei expliziten Sexszenen nicht wegblendet; Und das wirkt dann bisweilen doch etwas befremdlich, weil sich der voyeuristische Anklang nicht leugnen lässt. Die entsprechenden Momente benötigt der Film nämlich in dieser Ausführlichkeit nicht. Und trotzdem blickt die Kamera bei ausgiebigen Masturbations- und Beischlafszenen bisweilen – im wahrsten Sinne des Wortes – zwischen die Beine der Darstellerinnen, wenn diese sich wahlweise selbst befriedigen oder mit anderen Menschen schlafen. Auch dann, wenn dieser Sex gegen den Willen eines der Mädchen geschieht. Das soll vermutlich noch mehr Intimität schaffen, hat in der hier dargebotenen Drastik jedoch eher einen gegenteiligen Effekt.

Janaina (Janaina Liesenfeld) verkauft sich in ihrem Kinderzimmer an zahlungswillige Internetkunden.

Die authentische Aufmachung sowie die expliziten Sexszenen sind dann aber auch die einzigen Alleinstellungsmerkmale von „Yung“ der letztlich nicht mehr erzählt als so viele andere Filme dieser Couleur, die 1981 mit „Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ ihren Anfang nahmen. Nun blickt Henning Gronkowski zwar auf eine neue Generation von Junkies, Partygängern und Sexdienstleisterinnen, die damit einhergehenden Probleme sind allerdings dieselben; und auch die Erkenntnisse. Die dabei stattfindende Reflektion der Jugendlichen fühlt sich dann auch eher vorgeschoben an. Im Grunde erklären die Mädels in ihren Interviews einfach nur das Leinwandgeschehen und sagen nicht mehr aus, als es die Bilder ohnehin tun. Das bedeutet nicht, dass „Yung“ keine starken Einzelmomente hätte. Insbesondere die Eröffnungsszene, in der wir sehen, wie eines der Mädchen zunächst ein ganz normales Alltagsgespräch mit ihrem Vater zu führen scheint, bevor sich der vermeintliche Vater im nächsten Moment als ihr Freier entpuppt, der im Begriff ist, mit einer um viele Jahrzehnte jüngeren Frau Sex zu haben.

„Die entsprechenden Momente benötigt der Film in dieser Ausführlichkeit nicht. Und trotzdem blickt die Kamera bei ausgiebigen Masturbations- und Beischlafszenen bisweilen – im wahrsten Sinne des Wortes – zwischen die Beine der Darstellerinnen.“

In solchen Momenten wird „Yung“ immerhin auf eine Art und Weise unangenehm, wie es ein Film nur sein kann, wenn er dem Zuschauer das Gefühl gibt, dass er hier an etwas Echtem teilhat. Und es ist verwunderlich, dass er das viel zu selten tut, obwohl die Macher alles unternehmen, den Dreck und die Widerwärtigkeit, aber auch die Faszination der Stadt Berlin einzufangen. Doch vielleicht haben wir das alles mittlerweile schon zu oft gesehen.

Fazit: Ein absolutes Echtheitsgefühl kann man „Yung“ nicht absprechen. Die vier Hauptdarstellerinnen sind ein Ereignis. Doch das kalkulierte Spiel mit Tabubrüchen, insbesondere in den ausladenden Sexszenen, läuft der authentischen Aufmachung zuwider. Und wirklich Neues erzählt dieser Ableger des „die Berliner Jugend verroht“-Genres auch nicht.

„Yung“ ist ab dem 24. Juli auf DVD und Blu-ray erhältlich.

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