Allein unter Schwestern

Ein alleinerziehender Vater muss nach einem Herzinfarkt ins Krankenhaus. Seine vier Sprösslinge sollen sich in der Zeit um das gemeinsame Hotel kümmern. Da ist Chaos vorprogrammiert! Die Niederländerin Ineke Houtman erzählt in ALLEIN UNTER SCHWESTERN von Gender-Klischees und der ersten großen Liebe und überzeugt trotz einiger irritierender Regieentscheidungen. Mehr dazu verrate ich in meiner Kritik.

Der Plot

Der 12-jährige Kos (Julian Ras) hat es nicht leicht. Der talentierte, von Mädchen umschwärmte Nachwuchs-Fußballer wohnt nach dem Tod der Mutter mit den drei Schwestern Libbie (Abbey Hoes), Briek (Bente Fokkens) und Pel (Linde van der Storm) sowie seinem Vater (Frank Lammers) in einem Hotel an der holländischen Küste. Doch um das „Hotel zum großen L“ steht es schlecht – als Kos‘ Vater aufgrund eines Herzinfarkts auch noch ins Krankenhaus eingeliefert wird, müssen die vier Geschwister das Haus am Laufen halten. Doch das ist leichter gesagt als getan, denn die Kinder liegen überhaupt nicht auf einer Wellenlänge. Erst als sich ein Gerichtsvollzieher ankündigt, beginnen sie, am selben Strang zu ziehen. Die vier müssen innerhalb weniger Tage 7000 Euro auftreiben, um zu verhindern, dass das Hotel und damit ihr Zuhause geschlossen wird. Als ganz in der Nähe eine mit einem hohen Preisgeld dotierte Misswahl für Mädchen von 12 bis 18 Jahren stattfindet, wittern die Vier ihre große Chance. Doch damit fängt das Chaos erst an…

Kritik

In den USA dürfen schon Kleinkinder an Schönheitswettbewerben teilnehmen. Hierzulande hat sich eine solche Kultur glücklicherweise nie etabliert, im Gegenteil: Wer bei seinem Nachwuchs schon in ganz jungem Alter an Erfolg und Vermarktung denkt, wird in der Regel harsch von den Medien und seinem Umfeld kritisiert. Insofern wirkt es doch arg befremdlich, was sich der niederländische Drehbuchautor Sjoerd Kuyper („Das Taschenmesser“) für sein neuestes Kinderfilm-Skript hat einfallen lassen: In seiner Geschichte findet eine Misswahl für junge Mädchen statt, die im Laufe des Films nicht nur im Bikini posieren sollen, sondern von ihrer Trainerin sogar dazu animiert werden, mit nach vorne gestreckten Brüsten und einem sexy in Szene gesetzten Hintern die Jury zu verführen. Das wirkt alles ganz schön befremdlich und hätte „Allein unter Schwestern“ abseits davon nicht bloß eine smarte Pointe, sondern auch unzählige andere gelungene Aspekte vorzuweisen, käme man wohl kaum auf die Idee, hier auch nur irgendeine Empfehlung auszusprechen. Doch die Familien-Tragikomödie ist neben einer rührenden Erzählung über familiären Zusammenhalt eigentlich auch eine ungeheuer charmante Auseinandersetzung mit gängigen Genderklischees – und manchmal muss man diese eben erst einmal bedienen, um sie anschließend zu unterwandern.

Als der Vater ins Krankenhaus kommt, müssen die Kids allein ein Hotel am Laufen halten.

Vor allem deutschen (Kinder-)Filmen lässt sich immer wieder eine gewisse Prüderie vorwerfen. In „Allein unter Schwestern“, der zwar mit deutschen Geldern mitfinanziert wurde, jedoch in erster Linie eine niederländische Produktion ist, wird ganz selbstverständlich über Sex gesprochen und schon die aller Kleinsten wissen hier um die Existenz von Homosexualität. Umso größer ist eben die Fallhöhe zur fragwürdigen Misswahl-Idee, doch wenn sich Hauptfigur Kos gen Ende darüber aufregt, dass nur Mädchen an derartigen Schönheitswettbewerben teilnehmen dürfen, während er zuvor ganz selbstverständlich in Frauenkleider geschlüpft ist (und dabei eine alles andere als schlechte Figur macht!) dann offenbart sich, welche Intention hinter „Allein unter Schwestern“ steckt. Das ist ohne den notwendigen inszenatorischen Nachdruck zwar ein wenig unbeholfen und auch besagte Trainingsszene hätte deutlich mehr Augenzwinkern und vielleicht sogar einen satirischen Unterbau vertragen, um die Absurdität derartiger Veranstaltungen zu entlarven. Aber immerhin erkennt man, dass die Macher eine solch frühe Fixierung auf den weiblichen Körper nicht gut heißen und der bittere Nachgeschmack bleibt weitestgehend aus.

Trotzdem hätte es den Subplot rund um die Misswahl, die „Let’s Dance“-Jurymitglied Jorge González zu einem kleinen Gastauftritt verhilft, nicht gebraucht. „Allein unter Schwestern“ ist nämlich vor allem in der Interaktion unter den vier Geschwistern am stärksten – drei Pubertierende unter einem Dach (und eine, die davon noch weit entfernt ist) sorgen eben mächtig für Zündstoff. Dabei bleiben auch unangenehme Themen nicht aus: Eine Szene, in der Kos damit konfrontiert wird, als Junge überhaupt nicht von seinen Eltern gewollt gewesen zu sein, da seine Mutter immer nur Mädchen haben wollte, gibt den rauen Tonfall vor, der davon lebt, dass in „Allein unter Schwestern“ kein Blatt vor den Mund genommen wird. Wie die Familie in den entscheidenden Momenten aber eben doch zusammenhält, inszeniert Ineke Houtman („Stille Nacht“) mit viel Fingerspitzengefühl, das am Ende auch dafür sorgt, dass man sich in die Kopf stehenden Gefühlswelten der jungen Protagonisten hervorragend hineinversetzen kann.

Kos (Julian Ras) und sein Vater Frank Lammers) reden über die verstorbene Mutter.

Das Ensemble rund um Newcomer Julian Ras ist hierzulande nahezu unbekannt – da befinden sich innerhalb der sehr soliden Synchronisation schon weitaus bekanntere Namen, die man unter Anderem aus der deutschen Sprachfassung von „Es“ kennt. Doch es ist gerade die Anhäufung unbekannter Gesichter, von der „Allein unter Schwestern“ profitiert, denn an den niederländischen Kinder- und Erwachsenendarstellerinnen und -Darstellern hat man sich nicht bloß noch längst nicht satt gesehen, sie alle spielen auch absolut ungezwungen auf und manövrieren sich mit Leichtigkeit durch jede noch so schlüpfrige Szene – etwa, als Kos und sein Vater sich über die Männervorlieben der verstorbenen Mutter unterhalten, bei denen eben auch Sex eine tragende Rolle spielte. Nicht ganz so viel Aufmerksamkeit schenken die Macher der allenfalls angedeuteten Liebesgeschichte zwischen Kos und seiner Freundin, genauso wie dem Subplot rund um seine bevorstehende Karriere als Profifußballer. Zwar brauchte Ineke Houtman für die Grundaussage ihres Films eine Art männliches Gegenstück zur weiblich konzentrierten Misswahl, doch durch die vielen Handlungsfäden, die teilweise auch nur durch einen einzigen Satz den Eindruck einer Auflösung erwecken sollen, wirkt „Allein unter Schwestern“ tendenziell überladen. Die eigentlich so intime Geschichte rund um familiären Zusammenhalt und die Entwicklung einer Geschlechteridentität gerät da leider ein paar Mal zu oft ins Hintertreffen.

Fazit: „Allein unter Schwestern“ ist eine unkonventionelle und charmante Familienkomödie, die durch einige merkwürdige Ideen des Drehbuchautoren zeitweise irritiert, am Ende allerdings zum allgemeinen Wohlgefallen aufgelöst wird.

„Allein unter Schwestern“ ist ab dem 21. Juni in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.

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