Ich. Darf. Nicht. Schlafen.

Produktionen mit einer unvorhersehbaren Wendung haben unter dem Begriff „Mindfuck-Film“ mittlerweile fast ein eigenes Genre gefunden. Rowan Joffe fügt dieser neuartigen Kinogattung mit seiner Buchadaption ICH. DARF. NICHT. SCHLAFEN. nun einen neuen Beitrag hinzu und versammelt gleich ein ganzes Starensemble um sich herum. Mit deutlichen Anleihen an Christopher Nolans „Memento“ kreiert der Regisseur ein interessantes Filmerlebnis, das seinen eigenen Ansprüchen jedoch nie auch nur im Ansatz gerecht wird. Lest Näheres in meiner Filmkritik!
Der Plot
Tag für Tag erwacht die Mittvierzigerin Christine (Nicole Kidman) an der Seite ihres Mannes Ben (Colin Firth) und muss sich jeden Morgen aufs Neue erklären lassen, weshalb sie weder ihn, noch die Umgebung oder gar ihren Namen wiedererkennt. Seit Jahren leidet sie an Amnesie – ausgelöst durch einen Schlag auf den Kopf. Die Umstände des Unfalls sind nicht bekannt. Nur mithilfe ihres Psychiaters Dr. Nash (Mark Strong) gelingt es ihr, nach und nach die Puzzleteile ihrer Vergangenheit zusammenzusetzen. Dabei hilft ihr eine Kamera, die sie auf Anraten des Doktors einst im Wandschrank versteckt hält und mithilfe derer Christine hofft, dass sich ihre Vergangenheit nach und nach zusammensetzt…
Kritik
Gerade erst gewährte uns Regielegende Christopher Nolan erneut einen Einblick in seine visionären Vorstellungen von innovativem Geschichtenerzählen. Sein Science-Fiction-Drama „Interstellar“ bricht in den USA derzeit alle Rekorde und auch in Deutschland kann der potenzielle Oscar-Kandidat mit einem starken Auftaktwochenende aufwarten. Besonders in seiner Anfangszeit als Filmregisseur – weit vor seinen Leinwandepen wie der „The Dark Knight“-Trilogie sowie „Inception“ – bewies Nolan ein vorzügliches Händchen für das Kreieren sogenannter „Mindfucks“ – Storyentwicklungen, die das vorher Gesehene in Gänze auf den Kopf stellen. Bestes Beispiel hierfür: „Memento“. Guy Pearces atmosphärischer One-Man-Thriller gibt nichts auf eine konventionelle Erzählstruktur. Die beiden Drehbuchautoren Jonathan und Christopher Nolan lassen ihren an Amnesie erkrankten Protagonisten Leonard (Pearce) eine Story bestreiten, die zur Hälfte vorwärts, zur anderen Hälfte rückwärts erzählt wird und sich in einem fulminanten Finale schließlich am Ursprung beider Handlungsstränge trifft. Diese regelrecht absurde Form der Chronologie ist bis heute einzigartig im Hollywoodkino und auch, wenn sich Filmemacher und Drehbuchautor Rowan Joffe („28 Weeks Later“) mit seiner Romanverfilmung des Bestsellers „Ich. Darf. Nicht. Schlafen.“ nun anschickt, ein ähnlich eindringliches Filmerlebnis zu kreieren, so gelingt dieses Vorhaben nie auch nur annähernd. Dafür ist nicht bloß die Filmgrundlage zu beliebig, die Szenerie zu wenig fesselnd; auch die auf Nicole Kidman („Stoker“) gefallene Protagonistenwahl ist im Anbetracht einer so verletzlichen Hauptfigur eher kontraproduktiv.
Lässt man das aus weiblicher Sicht wenig geglückte Casting einmal außer Acht, so hat „Ich. Darf. Nicht. Schlafen“, im Original „Before I Go to Sleep“, zwei Kernprobleme. Zum einen orientiert sich Rowan Joffe in seinem zweiten Leinwandprojekt überdeutlich an „Memento“ und verlässt sich dabei nicht bloß auf kleine Referenzen, sondern kopiert einfach mal ganze Sequenzen und Szenerien aus ebenjenem Nolan-Klassiker. Kontinuierliche Zeitsprünge im Storyverlauf, die Fotocollage an den Wänden, oder die Notizen, die sich Christine täglich macht: All das ist im Rahmen des Plots zwar stimmig umgesetzt, lässt jedoch nie auch nur ansatzweise so etwas wie Innovation erkennen. Was „Ich. Darf. Nicht. Schlafen.“ als vermeintlich überraschende Entwicklungen zutage fördert, ist erwartungsgemäß vorhersagbar und erweist sich somit rasch als ermüdend. Als zweiter, die Geschichte ausbremsender Faktor entpuppt sich bei fortschreitender Spieldauer allmählich auch die Tatsache, dass die Mischung aus Thriller und Drama einzig und allein auf einen vermeintlich großen Storytwist angelegt ist. Der große Turnaround funktioniert an der platzierten Stelle zwar tatsächlich ordentlich und dürfte selbst manch einen Mindfuck-Experten noch arg überraschen. Doch leider ist es der Weg dorthin sowie der viel zu sentimentale Epilog, die ebenjenen Storytwist nun mal als einziges Highlight auf weiter Flur stehen lassen.
Dabei ist es gar nicht so, dass das Drehbuch, welches Rowan Joffe auf Basis des gleichnamigen Romans von S. J. Watson selbst verfasste, völlig frei von sehenswerten Szenerien wäre. Es ist vielmehr das nicht vollständig ausgeschöpfte Potenzial der Vorlage, sowie das bewusste Messen an viel zu großen Vorbildern, die „Ich. Darf. Nicht. Schlafen.“ automatisch schwächer erscheinen lassen, als der Film es wohlmöglich in der Gesamtheit ist. Dazu gehört auch der in der deutschen Fassung irreführende Titel. Während der Fokus im Original auf den wohl wichtigsten Zeitpunkt im Film gelegt wird, nämlich der, bevor die Protagonistin zu Bett geht und vorab alle neuen Informationen möglichst sicher verstaut, legt der deutsche Filmtitel nah, dass Nicole Kidman alias Christine stets damit zu kämpfen hat, die bewusste Entscheidung des Schlafengehens zu fällen. Innerhalb der Geschichte selbst steht für die Hauptfigur jedoch nie zur Debatte, ob man sich am Ende des Tages dazu entschließt, über Nacht wieder alle gesammelten Informationen zu vergessen. Die eintönigen Tagesrhythmen sind von Anfang an vorgegeben und erwecken recht schnell einen nahezu selbstverständlichen Eindruck. Und so wundert es auch kaum, dass selbst die Figurenzeichnung allenfalls ein oberflächlich entworfenes Profil vorweisen kann.
An diesem Punkt überrascht immerhin Oscar-Preisträger Colin Firth („The King’s Speech“), auf den die Wahl als zweite Hauptperson in „Ich. Darf. Nicht. Schlafen.“ Sicher nicht ganz umsonst gefallen ist. Um dem unwissenden Publikum wichtige Plotentwicklungen nicht vorweg zu nehmen, seien an dieser Stelle keine näheren Ausführungen zu Firth’s Leistungen abgegeben. Gleichwohl muss angemerkt werden, dass der charismatische Mime in diesem Thrillerdrama allerhand Emotionen vom Stapel lassen darf. Auch solche, die man von ihm bislang eher weniger gewohnt war. Darüber hinaus gefällt Mark Strong („Zero Dark Thirty“) in der Rolle des zwar sympathischen aber durch und durch undurchsichtigen Psychotherapeuten. Zu guter Letzt enttäuscht Nicole Kidman aufgrund ihres highlightarmen Spiels. Wenngleich die Aktrice Mut zur Natürlichkeit beweist, lassen es ihre Gesichtszüge kaum mehr zu, irgendeine natürliche Regung zu erkennen. Das ist schade, da die Figur der Christine per se hervorragend auf den Hollywoodstar passt. Dem behäbigen Skript zum Trotz füllt der Hauptcast die Story mit Leben, die bis zum Schluss auch das zwar unspektakuläre, aber immerhin recht ausdrucksstarke Setting auf seiner Seite hat. Kameramann Ben Davis („Guardians of the Galaxy“) gelingt eine unheilvolle Atmosphäre, deren kontrastarme die innere Beklemmung sämtlicher Figuren unterstreichen. Musikalisch bleibt „Ich. Darf. Nicht. Schlafen.“ hingegen seltsam zurückhaltend.
Fazit: „Ich. Darf. Nicht. Schlafen.“ nimmt sich viel vor und scheitert schlussendlich zwar nicht auf ganzer Linie, nutzt als einzig effektvollen Faktor jedoch bloß seinen zugegeben ordentlichen Twist, um sich anhand diesem zu definieren. Liegt dieser nach rund einer Stunde erst mal auf dem Tisch, ist allerdings im wahrsten Sinne des Wortes die Luft raus. Da der Weg dorthin zudem mit allerhand Stolpersteinen gespickt ist, allen voran einem reichlich unausgewogenen Erzähltempo, lädt „Ich. Darf. Nicht. Schlafen.“ höchstens zum einmaligen Sehen auf DVD ein. Nicht jedoch für einen unterhaltsamen Kinoabend und schon gar nicht als ansehnliche Hommage an Christopher Nolans immerwährenden Klassiker „Memento“.
„Ich. Darf. Nicht. Schlafen.“ ist ab dem 13. November bundesweit in den Kinos zu sehen.
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