Blackfish vs. Die Bucht

2009 gewann der US-Amerikanische Fotograf und Regisseur Louie Psihoyos für seinen Delphinfilm DIE BUCHT den Oscar für die beste Dokumentation. 2013 nahm erneut ein Dokumentarfilm über Meeressäuger Kurs auf die Awards dieser Welt. BLACKFISH schaffte es zwar nicht bis zu den Oscars, war aber immerhin für einen Golden Globe nominiert. Was fasziniert Dokumentarfilmer an den eleganten Tieren und wo liegen die unterschiedlichen Schwerpunkte beider Produktionen? Reicht es, einen von ihnen zu sehen oder entpuppen sich gar beide Vertreter als herausragendes Doku-Kino? Zum DVD-Start von BLACKFISH wage ich mich an einen Vergleich mit DIE BUCHT.

VS. 

Kritik

Die zwei Tierdokumentationen „Blackfish“ und „Die Bucht“ verfolgen ein ehrenwertes Ziel. Während beide Filme, jeweils Golden-Globe-nominiert beziehungsweise Oscar-prämiert, vorsichtig den Zeigefinger über die menschliche Zivilisation, ihr Denken und Handeln zu erheben versuchen, sowie das Fehlen jedweder Moral und ethischer Grundsätze anprangern, liegt die eigentliche Message in einem Weckruf an all diejenigen, welche die Interaktion zwischen Mensch und Wal als völlig selbstverständlich erachten, und denen ein schlechtes Gewissen aufgrund eines Mangels an Hintergrundwissen fehlt. In beiden Fällen sind die Umstände und Beweggründe der Filmemacher ähnlich. Während die ehemalige Waltrainerin und Dokumentarfilmerin Gabriela Cowperthwaite ihr Insiderwissen nutzt, um dem Zuschauer einen nie dagewesenen Blick hinter die Kulissen diverser Sea-World-Parks zu gewähren, nutzt „Die Bucht“-Regisseur Louie Psihoyos, ehemaliger Verantwortlicher für das Training sämtlicher für die TV-Serie „Flipper“ agierenden Delphine, seine Erfahrungen, um mit seinem Werk ein Statement zu setzen und auf Missstände innerhalb des Zusammenlebens zwischen Tier und Mensch aufmerksam zu machen. Gleichzeitig versucht Psihoyos, sein aus seiner Sicht falsches Handeln zu „Flipper“-Zeiten mithilfe seines Filmbeitrages wiedergutzumachen. Erst durch ein bewegendes Erlebnis mit einer Suizid-begehenden Delphin-Dame begriff dieser, wie fehlgeleitet und profitdenkend sein Leben als Delphintrainer einst war. „Die Bucht“ wird nun zum Vermächtnis seiner Karriere.

Louie Psihoyos

Sowohl „Blackfish“ als auch „Die Bucht“ nutzen ein besonderes Kernthema als Dreh- und Angelpunkt, was beiden Filmen einen gewissen Spielfilmcharakter verleiht. „Die Bucht“ findet seine Ausgangslage im jährlichen Delphinschlachten vor der Küste des japanischen Taiji sowie der unfassbaren Doppelmoral seitens der Japaner, die das blutige Gemetzel befürworten, die eleganten Meeressäuger jedoch ebenso verehren. In „Blackfish“ steht die Geschichte des Orcas Tilikum im Mittelpunkt. Der größte Wal der je in Gefangenschaft lebte entwickelte im Laufe der Jahre Psychosen, die sich in Aggressionen äußerten, bei denen mehrere Menschen zu Tode kamen.

Beide Filmemacher wollen nicht nur dokumentieren, sondern auch beobachten. Sie führen Gespräche mit Beteiligten und Augenzeugen. Gleichzeitig verzichten sie nahezu gänzlich darauf, ihre eigene Meinung aktiv miteinzubeziehen. Stichhaltige Nachfragen oder auch im Stile eines Enthüllungsjournalisten selbst vor die Kamera zu treten: Beide Regisseure belassen es bei einer weitestgehend nüchternen Berichterstattung. Wenn sowohl Psihoyos als auch Cowperthwaite zu Beginn ihrer Filme ihre Beweggründe schildern, ist dies bereits das Maximum an Meinungsäußerung. Die tiefgreifende Gesinnung der beiden Herzblut-Umweltaktivisten macht sich dagegen durch den Verlauf der dokumentarisch erzählten Geschichten bemerkbar.

Trotz der ähnlichen Ausrichtung unterscheiden sich beide Filme im Erzählton. Während Gabriela Cowperthwaite in „Blackfish“ die Leidensgeschichte von Tilikum beleuchtet, spielt sie mit der Innen- und Außenwahrnehmung der verschiedenen Aquazoos. Dabei klingt ab und zu ein Tonfall durch, der aussagt, wie offensichtlich der psychische Verfall des Tieres eigentlich ist; der Zuschauer muss sich also mit dem Vorwurf konfrontiert sehen, weshalb er persönlich jahrelang die Augen verschloss. Weniger aggressiv sondern vielmehr subtil agiert Louie Psihoyos, der um das  fehlende  Bewusstsein über die Zustände in der japanischen Bucht weiß. Mithilfe von langen, unbewegten Einstellungen, die das blutige Treiben unkommentiert einfangen, gelingen dem Filmemacher somit stärkere Akzente als es Cowperthwaite mit ihrer direkten Art schafft. Letztere unterstreicht Cowperthwaite zudem immer wieder mit Augenzeugenvideos von schweren Unfällen, die aufgrund ihres Inhalts zwar nicht allzu effekthascherisch wirken, „Blackfish“ insgesamt jedoch reißerischer erscheinen lassen als „Die Bucht“. Schlussendlich erreichen die Macher jedoch das Gleiche, wenn ihr Appell an den Zuschauer gelingt.

Als besonderer Pluspunkt erweist sich in „Die Bucht“ die Begleitung des Filmteams auf eine besondere Mission. Der Regisseur sowie mehrere aktive Umweltschützer beweisen in einer Nacht-und-Nebel-Aktion, dass es den Film selbst um ein Haar nicht gegeben hätte. Gegen die Widerstände der japanischen Delphin-Jäger macht sich das Team vor den Augen der Nachtsichtgeräte auf, in der Bucht Kameras zu deponieren, um am nächsten Tag ganz nah an dran zu sein, an der Katastrophe. Sogar ein Blick hinter die Kulissen von Hollywoods Trickkünstlern darf nicht fehlen, der eindrucksvoll zeigt, was sich hinter dem Begriff „versteckte Kamera“ wirklich verbirgt. Somit erweist sich dieser Teil des Films weniger als Delphin-Doku denn als dokumentarische „Ocean’s Eleven“-Variation. Genau dies macht „Die Bucht“ jedoch zu einem gleichzeitig aufrüttelnden wie unterhaltsamen Film. Erst wenn beide Faktoren Hand in Hand gehen, ist das Publikum zur maximalen Informationsaufnahme bereit.

Ausschnitt aus „The Cove – Die Bucht“

„Blackfish“ kann mit einem solchen Kniff in der Inszenierung nicht punkten, jedoch gleichzeitig mit einer wesentlich höheren Informationsdichte aufwarten. So entpuppt sich die 2013 für den Golden Globe als Bester Dokumentarfilm nominierte Produktion als Zusammenschnitt der denkwürdigsten Ereignisse hinter den verschlossenen Türen der weltweiten Aquazoos und wirft zugleich einen Blick auf den geschichtlichen Anfang. Die Zuhilfename bekannter Biologen, welche die Szenerie jeweils einschätzen und den Zuschauer mit verständnisvollen Erklärungen informieren, erweist sich dabei als überaus gelungen. Vor allem die Vertuschungsmethoden der Aquazoo-Betreiber besitzen ein unangenehmes Unterhaltungspotenzial und verleihen „Blackfish“ eine „Das-habe-ich-noch-nie-gesehen“-Mentalität.

Fazit: Auch wenn „Blackfish“ und „Die Bucht“ ein ähnliches Thema anreißen, ist die Herangehensweise sehr von der Mentalität der Filmemacher geprägt. Mit seiner ruhigen Betrachtungsweise und der Art, Bilder auch einfach mal nur für sich sprechen zu lassen, ist „Die Bucht“ der ruhigere Vertreter beider Filme und durch seine an ein Heist-Movie erinnernden Passagen gleichzeitig der unkonventionellere. „Blackfish“ baut dagegen verstärkt auf eindringliche Bilder und konfrontiert den Zuschauer direkt mit seinen Fehleinschätzungen. Schlussendlich ergeben also beide Dokumentationen jeweils ein äußerst gelungenes Ganze.