Jungle Cruise

Nach „Pirates of the Caribbean“ wird nun erneut eine Disney-Bootsfahrt als übernatürliches Abenteuer verfilmt. Ob Dwayne Johnson und Emily Blunt auf ihrer JUNGLE CRUISE mit dem Mega-Franchise mithalten können, verraten wir in unserer Kritik.
Der Plot
Forscherin Lily Houghton (Emily Blunt) ist den Normen ihrer Zeit voraus – und daher hat sie einen schlechten Stand in ihrem Kollegium. Ihre Suche nach einem Baum im Amazonas, der laut einer Sage über außergewöhnliche Heilkräfte verfügt, findet im Ersten Weltkrieg kein Gehör. Also bricht sie nur von ihrem Bruder McGregor (Jack Whitehall) begleitet nach Brasilien auf, wo sie Skipper Frank (Dwayne Johnson) für ihre Expedition anheuert. Der ist ein Tagelöhner voller List und mit einer mächtigen Passion für Kalauer – hat aber auch eine herzliche Seite. Noch bevor Lily, McGregor und Frank aufbrechen, macht sich Ärger breit. Franks Gläubiger Nilo (Paul Giamatti) nervt herum, der kauzige und militaristische deutsche Prinz Joachim (Jesse Plemons) hat es auf Lily abgesehen, und dann hetzt er auch noch drei verfluchte Konquistadoren (angeführt von Édgar Ramírez) auf das Trio…
Kritik
Ein in den USA mit der Altersfreigabe PG-13 versehenes, unter dem Disney-Label veröffentlichtes Big-Budget-Abenteuer, das eine gesellschaftliche Konventionen brechende Frauenfigur, ein listiges Großmaul, übernatürliche Schurken, eine Bedrohung in Form des Militärs und die Suche nach einem verborgenen Ort umfasst: Das beschreibt nicht bloß „Jungle Cruise“, sondern ebenso das „Pirates of the Caribbean“-Franchise, dessen Erfolgsgeheimnis der Disney-Konzern stets zu replizieren versucht. Doch weder die Videospielverfilmung „Prince of Persia“ noch die Sci-Fi-Kultroman-Adaption „John Carter“ vermochte es, ein Kino-Franchise loszutreten. Und „Lone Ranger“ ebenso wenig, obwohl der Film mehrere Leute aus dem Piraten-Team wiedervereint. Während all diese Filme hinter Disneys Hoffnungen zurückblieben, tüftelte das Haus der Maus im Hintergrund an einem „Jungle Cruise“-Film. Mal war die Geschichte im Heute angesiedelt, mal in der Vergangenheit. Kurzzeitig strebte man an, Tom Hanks und Tim Allen (die im Original das „Toy Story“-Duo Woody und Buzz sprechen) in den Hauptrollen zu besetzen. Aber erst, als Dwayne Johnson dazustieß, nahm das Projekt Fahrt auf. Er schlug Jaume Collet-Serra als Regisseur vor und warb unerbittlich um Emily Blunt, damit sie an seiner Seite als Hauptdarstellerin des Films agiert. Johnson und Blunt sind sich bis dahin nie begegnet – aber aufgrund Blunts humorvollen Late-Night-Show-Interviews malte er sich aus, dass sie und er eine perfekte Leinwandchemie hätten. Wir packen kurz eine Stecknadel in diese Anekdote, in Ordnung?

Frank (Dwayne Johnson), Lily (Emily Blunt) und MacGregor (Jack Whitehall) auf abenteuerlicher Mission.
Eine Fortsetzung ist schon angedacht, wird aber erst angepackt, wenn das Publikum gesprochen hat. Doch „Jungle Cruise“ ist nicht durch und durch ein „Pirates of the Caribbean“-Nachfolger mit der Intention, genauso langlebig zu werden – geht man weit zurück, erkennt man: Die Dschungelflussfahrt war noch vor den karibischen Piraten da. Denn die „Jungle Cruise“ ist eine der Eröffnungstag-Attraktionen von Disneyland. Und die hat ihre Verfilmung über den Titel hinaus beeinflusst. Neben einigen Anspielungen, die Disney-Themenpark-Fans erkennen und alle anderen überhören werden, ohne zu bemerken, dass sie etwas verpasst haben, rettet sich vor allem der Humor der Attraktion in den Film. Noch zu Walt Disneys Lebzeiten wurde nämlich aus der Fahrt durch einen künstlichen Fluss, vorbei an künstlichen Tieren, während ein Skipper Informationen über den Dschungel und seine Bewohner erzählt (und sporadisch scherzt) eine Kalauerparade. Wie am Fließband werden Wortspiele, voller Stolz vermittelte Humor-Tiefflieger und sonstige Flachwitze erzählt. Dwayne Johnson lebt das bei seiner „Jungle Cruise“ voll aus: Er spielt Frank als Alleinunterhalter, der riesige Freude daran hat, jeden Gag zu ernten, ganz gleich, wie tief er liegt, ob ihm überhaupt jemand zuhört oder er sogar eine Bootsladung an Kundschaft mit seinen Kalauern vergrätzen könnte.
Johnson ist die Art Mime, bei der das amüsiert, statt zu nerven: Man lacht in „Jungle Cruise“ förmlich mit Johnson darüber, wie seine Figur sich innerlich darüber kaputtlacht, dass alle Frank unlustig finden. Und was man dem Drehbuch-Team des Films (Michael Green, Glenn Ficarra & John Requa teilen sich den Skript-Credit, Ficarra, Requa, John Norville und Josh Goldstein den Story-Credit) lassen muss: Man hätte es auf „Frank hat einen lahmen Humor, weil’s im Disneyland so ist“ beruhen lassen können. Stattdessen wird diese Seite Franks im Laufe des Films erörtert – er ist Alleinunterhalter, weil er sich irgendwie seinen drögen Skipperalltag versüßen muss, da er sonst nichts in seinem Leben hat. Da will man dann glatt auch noch aus Mitgefühl über seine Witze lachen.
„Neben einigen Anspielungen, die Disney-Themenpark-Fans erkennen und alle anderen überhören werden, ohne zu bemerken, dass sie etwas verpasst haben, rettet sich vor allem der Humor der Attraktion in den Film.“
Leider teilt sich „Jungle Cruise“ noch etwas mit der gleichnamigen Bahn: die veraltete Technologie. Die Disneyland-Flussfahrt sieht gegenüber neueren Attraktionen antiquiert aus, und die Tricktechnik des Films ist geradezu befremdlich wacklig in ihrer Qualität. Digitale Landschaften sehen nur selten so aus, als hätte „Jungle Cruise“ wirklich über 200 Millionen Dollar gekostet. Bei Stunts, die mittels Computeranimation aufgepeppt wurden, erkennt selbst das ungeübte Auge die Naht zwischen real und virtuell. Und CG-Wesen fügen sich auch nur sporadisch auf überzeugende Weise in die echten Elemente des Films. Bei so vielen mageren Effekten ist es egal, wie viel überzeugende Trickserei dazwischen stattfindet – der negative Eindruck bleibt. So hemmt „Jungle Cruise“ leider das Potential seiner übernatürlichen Schurken. Die verfluchten Konquistadoren könnten glatt einem nicht verwirklichten „Pirates of the Caribbean“-Teil entliehen sein und beeindrucken mit einem echt coolen Design: Die drei Fieslinge sind über die Jahrhunderte mit dem Dschungel verschmolzen und bestehen teils aus Schlamm, Lianen, Schlangen oder Bienen und Waben. Wann immer sie in ihrer deformierten Pracht gut zu sehen sind, erinnert das an den Grusel-Einschlag der ersten beiden „Die Mumie“-Filme mit Brandon Fraser. Einzelne Shots könnten glatt Referenzen auf die Horror-Ursprünge von Regisseur Jaume Collet-Serra sein, der vor seinen Liam-Neeson-Thrillern wie „Non-Stop“ unter anderem „House of Wax“ drehte.
Doch viel zu oft sind die Animationen so matschig, dass all das nicht zur Geltung kommt. Das haptische Spektakel in „Jungle Cruise“ überzeugt hingegen: Die Kostüme sind liebevoll gestaltet und strotzen vor Charakter, die realen Sets sind weitläufig und detailverliebt, und der größte Pluspunkt an diesem Film ist ebenfalls echt, statt aus dem Computer – die Chemie zwischen Blunt und Johnson. Ja, wir ziehen endlich die Reißzwecke wieder raus. Denn zwischen den Co-Stars des Films sprühen hell glühende Funken: Als souveräne Forscherin mit Abenteuerlust und Dickkopf reibt sich Lily auf äußerst amüsante Weise mit dem in seiner Routine gefangenen, faul gewordenen Skipper Frank. Beide Figuren halten sich für was Besseres, und haben genug auf dem Kasten, um sich ihr Selbstbewusstsein zu verdienen – und beide sind zugleich sehr empathische Menschen, weshalb ihr neckisch-freundliches Gegeneinander erfrischende Harmonien und Widerhaken entwickelt. Blunts nobel ausgespielter, spritziger Humor ergänzt sich wunderbar mit den knochentrockenen Kalauern Johnsons. Man spürt geradezu, wie da auf der Leinwand eine Freundschaft entsteht – auch metafiktional. Denn laut „The Hollywood Reporter“ haben Johnson und Blunt während der Dreharbeiten eine innige Freundschaft entwickelt, die ihnen dabei half, ihren Figuren liebevoll-freche Improviationen in den Mund zu legen und die sich obendrein darin äußert, dass diese zwei Stars mittlerweile ständig kollegiales Feedback über individuelle Karrierentscheidungen geben.
Aber neben Blunt und Johnson, die sich eine modernisierte Variante das Rapports aus dem Abenteuerklassiker „African Queen“ leisten (der ästhetisch bereits als Vorlage zur „Jungle Cruise“-Attraktion diente), unterhalten auch Whitehall und Plemons. Whitehall gibt den genretypischen, abenteuerscheuen Comedy-Sidekick, unterfüttert diesen Part aber mit einem schönen Familiensinn zwischen McGregor und Lily, sowie mit einer glaubwürdigen Balance aus Selbststolz und Verletzlichkeit gegenüber seiner gesellschaftlichen Position. Plemons wiederum ist eine wahre Wonne als grinsbackiger Kauz von einem Schurken – und dass Plemons im Original mit seinem humorig-aufgesetzten deutschen Akzent fast wie Hape Kerkeling klingt, ist für deutsche Ohren ein zusätzlicher, ungeplanter Bonus. Dass die Motivation von Prinz Joachim arg dünn skizziert ist und McGregor auch ein paar sehr ausgelutschte Slapstickgags durchleidet, mindert den Eindruck von „Jungle Cruise“ wiederum. Veronica Falcón („Ozark“) ist derweil als rauchig-stimmige Anführerin eines Eingeborenenstamms eine positive Überraschung: Falcón hat in ihrer Rolle eine einnehmende Ausstrahlung und suggeriert mühelos eine lange Geschichte innerhalb ihres Volkes sowie zwischen ihrem Stamm und Frank. Ihre Szenen machen glatt Lust auf mehr.
Tonal ist „Jungle Cruise“ übrigens entgegen all der oberflächlichen, die letztlich gesponnenen Figurendynamiken ausblendenden Parallelen zu „Pirates of the Caribbean“ anders geartet als das Jerry-Bruckheimer-Franchise: Während Regisseur Gore Verbinski seiner Piraten-Trilogie eine Rockoper-Attitüde mitgegeben hat, was in weiteren Teilen Rob Marshall und das Duo Joachim Rønning und Espen Sandberg ihrem eigenen Stil angepasst haben, ohne es völlig aus der DNA der Filmreihe zu verbannen, ist „Jungle Cruise“ stärker von klassischer Abenteuerromantik geprägt. Es ist, als träfe das Geplänkel aus „African Queen“ auf die Vorstellung von Abenteuern, wie sie die „Indiana Jones“-Reihe auslebt (mit Blunt als Indy-Pendant – forsch, rau-charismatisch, fähig und mit einer eklatanten Achillesferse), und auf die satt-grüne Farbwelt sowie die leichtgängige, aber zumeist ironiefreie Tonalität von „Auf der Jagd nach dem grünen Diamanten“. Kurioserweise sorgt aber nicht die „Pirates of the Caribbean“-Saga, sondern „Jungle Cruise“ für eine Disney-Metallica-Kooperation in Form eines epischen Instrumental-Neuarrangements von „Nothing Else Matters“. Was noch sonderbarer ist: Es funktioniert!
Komponist James Newton Howard, der schon viele Disney-Abenteuer veredelte, entwirft für „Jungle Cruise“ eine klassische Hollywood-Abenteuerfilm-Klangtapete: Die Musik strahlt eine „Ich stürze mich munter ins exotische Risiko“-Stimmung aus, geht ins Ohr und bleibt dennoch zumeist im Hintergrund, statt ein wuchtiger Motor des Films zu werden. In Rückblenden und übernatürlichen Momenten moduliert Howard seine Arrangements etwas, indem er etwas mehr Verve beigibt – und Metallica kommt genau in der Szene zum Einsatz, in der es zur Klangwelt des Films und Tonalität der Szene passt. So viel Pepp, dass die Szene den etwas überdehnten zweiten Akt wieder in Gang bringt, hat die Passage zwar auch wieder nicht – aber Blunt und Johnson lachen dafür jede Länge locker weg.
„Während Regisseur Gore Verbinski seiner Piraten-Trilogie eine Rockoper-Attitüde mitgegeben hat, was in weiteren Teilen Rob Marshall und das Duo Joachim Rønning und Espen Sandberg ihrem eigenen Stil angepasst haben, ohne es völlig aus der DNA der Filmreihe zu verbannen, ist ‚Jungle Cruise‘ stärker von klassischer Abenteuerromantik geprägt.“
Fazit: Trotz Ähnlichkeiten kein reiner „Pirates of the Caribbean“-Abklatsch, sondern ein Abenteuer, das auf eigenen Füßen steht: „Jungle Cruise“ kann wahrlich nicht mit seinem Spektakel locken, wohl aber mit einem heroischen, neckischen Duo, das so viel Spaß miteinander hat, dass man es lieben muss und wiedersehen will.
„Jungle Cruise“ ist ab dem 29. Juli 2021 in den deutschen Kinos und ab dem 30. Juli bei Disney+ streambar.