Nebenan

Für sein Regiedebüt hat sich der längst auf internationalem Terrain etablierte Schauspielstar Daniel Brühl mit dem preisgekrönten Autor Daniel Kehlmann zusammengetan. Ob NEBENAN auf eine lange Brühl-Regiekarriere hoffen lässt, verraten wir in unserer Kritik.
Der Plot
Filmstar Daniel (Daniel Brühl) führt offenbar ein perfektes Leben: Der fließend Deutsch, Englisch und Spanisch sprechende Ex-Kölner, der in einer großen Wohnung in Berlin-Prenzlauer Berg lebt, hat eine beruflich erfolgreiche Ehefrau, Kinder, die er liebt und um die sich eine fähige Nanny kümmert, sowie einen Draht zu Hollywood. Dort will man ihn für einen kommenden Superheldenfilm haben – allerdings ist man nicht gewillt, ihm mehr als nur eine einzelne Drehbuchseite zu geben. Vor dem Vorsprechen macht Daniel einen Abstecher in seine Stammkneipe. Dort will er in Ruhe seine Dialoge durchgehen. Allerdings hat Daniel nicht die Rechnung mit Bruno (Peter Kurth) gemacht. Der Fremde kritisiert Daniel für einen seiner ersten Filme – eine Auseinandersetzung mit Ost-Deutschlands Vergangenheit aus westdeutscher Perspektive –, dafür, wie sehr man ihn in all seinen Rollen durchschimmern sieht, und dafür, dass er ein nerviger Nachbar sei. Daniel bemüht sich um freundliche, aber bestimmte Antworten. Aber Bruno bohrt immer tiefer – und lässt erkennen, dass er noch viel, viel mehr über Daniel weiß…
Kritik
Noch vor seinem vielleicht berühmtesten Roman, „Die Vermessung der Welt“, den Detlev Buck in bestechendem 3D verfilmt hat, feierte Schriftsteller Daniel Kehlmann seinen internationalen Durchbruch mit dem doppelbödigen „Ich und Kaminski“. Der wiederum wurde 2015, zwölf Jahre nach Erstauflage des Romans, mit Daniel Brühl in der Hauptrolle fürs Kino adaptiert. Brühl, und so schließt sich der Kreis, holte sich für sein Regiedebüt letztlich Kehlmann ins Boot. Er feiert hiermit sein Debüt als alleiniger Autor eines Kinofilms. Somit ist „Nebenan“ das kuriose Produkt zweier in ihrem Metier sehr erfahrener Männer, die nun gemeinsam einen ersten Tango außerhalb ihres üblichen Tanzbereiches absolvieren. Bezüglich Brühl als Regisseur ist „Nebenan“ ein ansprechender Teaser dafür, was er noch in diesem Bereich schaffen könnte, wenn er nicht noch nebenher die Last der Hauptdarstellerpflicht übernehmen muss.
Der Auftakt lässt zugegebenermaßen den Gedanken aufkommen „Oh, da hat jemand ‚Birdman‘ gesehen“. Jazzige Drums, die frappierend an den Oscar-Gewinnerfilm erinnern, führen uns durch Daniels Wohnung, der angespannt an seine Blockbusterrolle denkt und zudem in dunkel verstellter Stimme mit sich selbst spricht. Aber „Nebenan“ löst sich von dieser bewussten oder unbewussten Referenz, und Brühl findet ein gutes Händchen dafür, ein Beinahe-Kammerspiel zu inszenieren, in dem der dominierende Schauplatz dem Film einen prägenden Charakter verleiht, aber sich die zwei zentralen Schauspieler dennoch gekonnt in den Vordergrund spielen. Brunos und Daniels Streitgespräch, Ego-Messerei, Prahlerei und Einschüchterungsversuche bestimmen den Film, der sich trotz der wenigen Schauplätze nie beengt anfühlt. Und trotzdem gibt die Eckkneipe, geräumig und dennoch klein, schmal und leicht ranzig, diesem Sprach- und Informationsduell eine Grundatmosphäre mit, die das immer überhöhtere Gespräch erdet. Darüber hinaus widersteht Brühl der Versuchung, aus „Nebenan“ ein Eitelkeitsprojekt zu machen. Natürlich gibt er sich den Freiraum, um in den Streitgesprächen mit Bruno auch mal im Rahmen eines erzürnten, verletzten oder verwirrten Monologs seine schauspielerischen Muskeln spielen zu lassen. Dennoch überlässt er ganz klar Peter Kurth („“Wir können nicht anders) als Bruno die prominentere Position.
„Brühl widersteht der Versuchung, aus ‚Nebenan‘ ein Eitelkeitsprojekt zu machen. Natürlich gibt er sich den Freiraum, um in den Streitgesprächen auch mal im Rahmen eines erzürnten, verletzten oder verwirrten Monologs seine schauspielerischen Muskeln spielen zu lassen. Dennoch überlässt er ganz klar Peter Kurth die prominentere Position.“
Und Kehlmann darf ihm nicht nur pampige, kleinliche Sticheleien in den Mund legen – wenn der über die Stasi-Überwachung in der DDR lamentierende, von Vermögensungleichverteilung klagende Fiesling die Figur Daniel und deren fiktiven Karriere und Eigenheiten attackiert, so werden dabei über die Metaebene auch zuweilen berechtigte Momente der (Selbst-)Kritik an Brühl vermittelt. Wie Brühl in Promointerviews zu „Nebenan“ nämlich selbst sagte: Er versteht nicht, wie man im Filmgeschäft sein kann, ohne über sich selbst lachen zu können. In „Nebenan“ lässt uns Brühl konsequenterweise wiederholt pointiert über ihn schmunzeln. Doch leider ist „Nebenan“ auch etwas ungelenk strukturiert, sodass sich der Zwist zwischen Daniel und Bruno (selbst unter Berücksichtigung dessen, wie stilisiert er ist) bemüht anfühlt. Vor allem Daniel muss mehrmals inkohärent zu seiner Charakterisierung reagieren, damit der Film in Bewegung bleibt. Da geht dann manchmal auch der selbstironische Witz verloren, selbst wenn der entsprechende Duktus fortgeführt wird.
Der für uns reizvollste Aspekt dieses Zwists? Wenn sich Bruno in die Karten blicken lässt, weshalb er sich in Daniels Leben einmischt, nennt er als einen Grund, er habe es einfach satt, dauernd von Daniels Dramen zu hören. Dieser Vorwurf erinnert frappierend daran, wie verworren die Beschwerden sind, wenn Leute sich über in Klatsch und Tratsch behandelte Promis beklagen. „Was nerven die uns mit ihren Liebesdramen?“, „Müssen die uns ihre Affären unter die Nase reiben?“, „Ich kann Ben Affleck nicht leiden, der steht mir zu viel in den Schlagzeilen“, heißt es über Menschen, die ihr Leben leben, und denen ungefragt Klatschpresse und selbsternannte Celebrity-Reporter:innen auf Schritt und Tritt folgen, um mit deren Privatleben Geld zu verdienen. Wenn ihr sowas nicht miterleben wollt – dann schaut und hört nicht hin! In „Nebenan“ stecken gesellschaftlich und historisch schwerwiegendere Themen, von der bereits erwähnten Stasi über Neidkultur und als Waffe eingesetzte Eitelkeit, bis hin zu Gentrifizierung und den Kosten des Aufstiegs von Westdeutschland. Doch nicht nur, dass es Stimmen gibt, die das Ost-West-Element in „Nebenan“ besser beäugen könnten als wir: Es fühlt sich fast falsch an, zu sehr auf dieser Seite des Films herumzureiten. Denn es entsteht durchaus der Eindruck, dass Kehlmann und Brühl es mehr als thematische Dekoration oder dramaturgische Stütze nutzen, um den Film aufzuhübschen und Brunos Taten etwas Würze zu verleihen.
„In ‚Nebenan‘ stecken gesellschaftlich und historisch schwerwiegendere Themen, von der bereits erwähnten Stasi über Neidkultur und als Waffe eingesetzte Eitelkeit, bis hin zu Gentrifizierung und den Kosten des Aufstiegs von Westdeutschland.“
Letztlich kommt „Nebenan“ nämlich wiederholt auf das Branchen-Metaelement zurück, sowie auf’s allgemeine Neidthema. Diesen Aspekten gibt er mehr Raum und Tiefe. Der Diskurs über Gentrifizierung, Wendegewinner und Wendeverlierer, über verlogene Westdeutsche und heuchlerisch-mahnende Stimmen aus dem Osten (so lobt sich Bruno, Leute aus dem Osten seien durchweg empathischer – seinen Rachefeldzug und den politischen Rechtsruck im Osten ignorierend)… All das wird dagegen mehr durch Kurths temperamentvoll-sinistre Leistung vorangetragen, weniger auf erzählerischer Ebene.
Fazit: „Nebenan“ ist ein reizvolles Regiedebüt, mit dem Daniel Brühl mit sich selbst, den Pressereaktionen auf ihn und mit den weiterhin bestehenden Anspannungen zwischen Ost- und West-Deutschland abrechnet. Diesen Themen gibt er ungleichmäßig Gewicht – die länger diskutierte, gesellschaftliche Neid-Debatte bleibt seichter als die pointiertere Showbiz-Kritik. Dennoch mündet dies in ein kurzweilig-bissiges Verbalringen zwischen Brühl und Peter Kurth.
„Nebenan“ ist ab dem 15. Juli 2021 in den deutschen Kinos zu sehen.