Ich und Kaminski

Die Kooperation aus Wolfgang Becker und Daniel Brühl führte bereits mit „Goodbye Lenin“ zum Erfolg. Nun kommt ICH UND KAMINSKI – die Verfilmung des gleichnamigen Romans von Daniel Kehlmann. Daniel Brühl spielt darin den narzisstischen Kunstjournalisten Sebastian Zöllner, der nur ein Ziel hat: Den blinden Maler Manuel Kaminski des Betruges überführen, damit sich seine Biographie nach dessen Tod noch besser verkauft. Ein andersartiger Film mit dem Herz am rechten Fleck – mehr dazu in meiner Kritik.
Der Plot
Deutschland kurz vor der Jahrtausendwende. Sebastian Zöllner (Daniel Brühl), Kunstjournalist und Meister der Selbstüberschätzung, plant seinen großen Coup: ein Enthüllungsbuch über den legendären, aber fast vergessenen Maler Manuel Kaminski (Jesper Christensen), Schüler von Matisse und Freund von Picasso, der einst als „blinder Maler“ Berühmtheit erlangte. Der skrupellose und ehrgeizige Karrierist macht sich auf den Weg zu dem entlegenen Chalet hoch oben in den Alpen, wo der greise Künstler zurückgezogen und von Vertrauten abgeschirmt lebt. Er dringt in Kaminskis Haus, Leben und Vergangenheit ein und nimmt ihn kurzerhand mit auf eine halsbrecherische und irrwitzige Reise zu dessen tot geglaubter Jugendliebe. Unterwegs will er ihm mit List und Dreistigkeit seine Geheimnisse entlocken. Aber bald muss er feststellen, dass er dem Alten, ob blind oder nicht, in keiner Weise gewachsen ist.
Kritik
Den blinden Maler Manuel Kaminski gab es nicht. Seine Existenz entspringt der Fantasie von Daniel Kehlmann, jenem Autor, dessen Roman „Die Vermessung der Welt“ erst vor wenigen Jahren von Detlev Buck für die Leinwand adaptiert wurde. Auch Sebastian Zöllners Dasein ist reine Fiktion. Auch wenn wohl ein jeder von uns schon mal mit einem Typen seines Schlages zu tun hatte. Jener Typ „narzisstisches Arschloch“ ist gut und gern im Journalismus zuhause. Kein Wunder also, dass die Kunstsatire „Ich und Kaminski“ aus der Perspektive eines ebensolchen Reporters erzählt. In seinem Buch lässt Kehlmann das überhöhte Ego von Sebastian Zöllner (Daniel Brühl) auf die Extravaganzen einer waschechten Malerlegende (Jesper Christensen) prallen. Und um diese explosive Mischung auch auf der Leinwand direkt einmal hervorzuheben, besetzt Regisseur Wolfgang Becker („Goodbye Lenin“) zunächst einmal Daniel Brühl („Die Frau in Gold“) vollkommen gegen den Strich. Aus Schwiegermutters Liebling wird Jedermanns Albtraum – mit Perücke und Vollbart, ohne jedwedes Fingerspitzengefühl und mit dem Vorhaben, sein einziges Ziel – eine Kaminski-Biographie – zu verfolgen; koste es, was es wolle – und seien es auch nur die Nerven seiner Mitmenschen. Aus Jesper Christensen (demnächst in „Spectre“ zu sehen) wird derweil ebenjener Manuel Kaminski. Eine schwer zu durchschauende Seele mit nicht mehr Charisma als ihr Biograph, aber mit einer Lebensgeschichte, mit der man weit mehr als nur einen Bildband füllen könnte. So trifft der Mann, der gern eine Geschichte hätte, auf einen solchen, dem seine eigene gar nicht so wichtig ist. Kein Wunder also, dass die Frage, um wen es in „Ich und Kaminski“ eigentlich geht, mit der Zeit immer schwerer beantwortet werden kann.
Der Aufbau von „Ich und Kaminski“ entspricht nicht unbedingt dem klassischen Narrativ, dem sich gerade deutsche (Tragik-)Komödien nur zu gern unterwerfen. Beckers Film beginnt wie eine verschrobene Komödie, gewinnt mit der Zeit immer mehr dramatische Selbstfindungs-Züge und mündet schließlich in ein Roadmovie mit einem Finale, das einer Liebestragödie entstammen könnte. Viel Stoff, den sich Becker auf seine 120 Minuten hervorragend aufzuteilen weiß. Dabei hat „Ich und Kaminski“ keine einheitliche Dynamik. Stattdessen übernimmt der Film die Kapitelaufteilung des Romans und kündigt jene mit einer Texteinblendung ein. So haben die verschiedenen Stationen der Zöllner-Kaminski-Odyssee alle einen ganz eigenen Charme, wodurch auch das Gesamtbild „Ich und Kaminski“ zu reifen vermag. Getrieben von feinen Dialogen setzt Wolfgang Becker die Interaktion zwischen den beiden Hauptfiguren gekonnt in den Mittelpunkt und spielt stetig mit der Zu- und Abneigung beider Charaktere. Nebenfiguren wie Kaminskis resolute Tochter Miriam (Amira Casar) oder Sebastian Zöllners Ex-Freundin Elke (Jördis Triebel) fristen ein Schattendasein neben dem herausragenden Schauspiel der beiden Protagonisten und treiben das Leinwandgeschehen nur marginal voran.
„Ich und Kaminski“ reißt viele Themen an, ohne sich gezielt auf eines festzulegen. Als roter Faden dienen die mal humoristischen, mal lehrreichen, mal melancholischen Aufeinandertreffen von Zöllner und Kaminski. Die Aussagen sämtlicher Filmstationen unterscheiden sich jedoch deutlich. Es geht um Vergangenheitsbewältigung, um den Wert der Kunst, um die Mechanismen der Presse, um Selbstbestimmung und um vieles mehr. Sicherlich ließe sich Wolfgang Becker ebenso wie Daniel Kehlmann vorwerfen, unter diesem Wust an Thematiken keine Kernaussage treffen zu wollen. Doch genau darauf wird in „Ich und Kaminski“ wohlweislich verzichtet. Genauso wie darauf, sich ausschließlich auf eine Erzählebene im Hier und Jetzt zu konzentrieren. Die Satire weist einen inszenatorisch bodenständigen Stil auf, verzichtet jedoch nicht auf Überhöhungen, Traumsequenzen und ein sukzessives Verschwimmen von Fakt und Fiktion. Woran man bei den beiden ist, weiß man als Zuschauer konsequenterweise nie. Wenn sich Sebastian Zöllner mit seinem entführten Maler auf den Weg macht, Kaminskis ehemalige Jugendliebe wiederzufinden, gestaltet sich das Treffen mit ebenjener Muse von einst in seiner Weltfremdheit fast surreal. So sieht sich der Zuschauer am Ende nicht nur mit der einfachen Frage überfordert, ob Manuel Kaminski nun tatsächlich blind war, sondern erwischt sich darüber hinaus bei dem Gedanken, dass diese eigentlich so essentielle Frage, durch welche die Geschichte erst ihren Antrieb fand, absolut nichtig ist.
In „Ich und Kaminski“ ist per se alles möglich. Sebastian Zöllner könnte sich auf den letzten Filmmetern als Mörder des Malers erweisen (schließlich verkaufen sich Biographien erst dann so richtig gut, wenn die portraitierte Figur tot ist), als dessen unehelicher Sohn, oder aber als Einbildung in Kaminskis müdem Geist. Es spielt überhaupt keine Rolle, was sich im Laufe der schlanken zwei Stunden, die technisch beeindruckend aber nicht überragend sind, als Wahrheit, und was als Lüge erweist. Sebastian Zöllner wird gen Ende der mehrtägigen Odyssee selbst feststellen, dass er sich nicht mehr sicher ist, ob er sich nun auf einem nostalgischen Trip in Kaminskis Vergangenheit befindet, oder aber in seine eigene. Als Zuschauer mit Hang zum dialoglastigen Kino bleibt einem nur das Amüsement über die verschrobene Zusammenkunft zweier Menschen, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten. Und mit der Zeit erkennt man schließlich, dass das Leben die Kunst weit mehr nachahmt, als die Kunst das Leben.
Fazit: Sympathisch-spröde Komödie mit Hintersinn: Mit der Romanverfilmung „Ich und Kaminski“ gelingt Wolfgang Becker ein gewitzter Blick hinter die Kulissen von Kunst und Kommerz, der von seinem herausragenden Ensemble ebenso getragen wird, wie von den feinen Dialogen und der perfekten Balance aus Komik und Tragik. Ein unkonventionelles Seherlebnis – nichts für die Masse, aber für Zuschauer auf der Suche nach dem gewissen Etwas.
„Ich und Kaminski“ ist ab dem 17. September in den deutschen Kinos zu sehen.
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