Wir können nicht anders

Knallharte Verbrechen in der Dorfidylle – klingt nach den Coen-Brüdern, ist aber der neueste Streich von Detlev Buck, der nach seinen allesamt gelungenen Arbeiten der letzten Jahre diesmal nur bedingt überzeugen kann. Weshalb WIR KÖNNEN NICHT ANDERS enttäuscht, das verraten wir in unserer Kritik.
Der Plot
Nach einer tollen Liebesnacht überredet Edda (Alli Neumann) ihre Bekanntschaft Sam (Kostja Ullmann) zu einem Nikolaus-Ausflug in ihre Heimat, die sie fünf Jahre nicht betreten hat. Die Reise führt sie in die unbekannte zurückgelassene fast leere Provinz, wo keiner tot überm Zaun hängen will. Das Paar wird getrennt und gerät in einen Kampf zwischen Männern, die nichts mehr zu verlieren haben, und Männern, die nicht verlieren können, weil sie lieben. Sie finden wieder zusammen und versuchen gemeinsam in einer völlig überforderten Welt zu überleben. 24 Stunden später hängen sechs Männer überm Zaun…
Kritik
Nein, Detlev Bucks aufgrund der Corona-Pandemie vom Kino zu Netflix abgewanderte Krimikomödie „Wir können nicht anders“ hat nichts mit seiner 1993 veröffentlichten Brüdercomedy „Wir können auch anders…“ zu tun, obwohl sich die Filmtitel ziemlich ähnlich sind. Trotzdem erkennt man die für Buck typische Regiehandschrift auch noch 18 Jahre später wieder. Der gebürtige Bad Segeberger ist bis heute ein herausragend guter Beobachter verschiedenster Klientel und Milieus sowie der damit einhergehenden Stimmungen. Während seine Kinderfilme wie „Hände weg von Mississippi“ oder die „Bibi & Tina“-Filme stets am Puls der Zeit ihrer anvisierten (jungen) Zielgruppe sind, gelingt es Buck auf der anderen Seite, sein Publikum unter anderem für die Berliner Unterwelt („Asphaltgorillas“), das Europäische Entdeckertum („Die Vermessung der Welt“) oder die tiefste Provinz („Karniggels“) zu begeistern. In Letztere kehrt Buck mit seinem neuen Film nun zurück und verkörpert darin auch selbst eine kleine Rolle als Bürgermeister. Des Weiteren hantiert er einmal mehr mit seinen altbekannten Stärken – die hier porträtierte Dorfgesellschaft wirkt durch und durch authentisch, was einerseits an dem starken Spiel sämtlicher Darsteller, auf der anderen Seite aber eben auch daran liegt, wie genau Buck ebenjene denn inszeniert und in was für Szenarien der hier auch für das Drehbuch mitverantwortliche Filmemacher diese stürzt. Trotzdem schmeckt das Endergebnis fad, denn als reine Zur-Schau-Stellung provinzieller Spleens ist „Wir können nicht anders“ leider nur bedingt lustig.
Detlev Buck hält sich in „Wir können nicht anders“ nicht lange an einer (ohnehin unnötigen) Einführung auf. Es genügt, dass sich die beiden Hauptfiguren Edda und Sam irgendwie irgendwo kennenlernen, damit sie sich so schnell wie möglich (und wider Willen) in das für sie vorgesehene Abenteuer stürzen können. Dass dies auf Kosten des Identifikationspotenzials geht, scheint da auf den ersten Blick eher nebensächlich. Schließlich ist „Wir können nicht anders“ keine tiefschürfende Charakterstudie, sondern eine Kriminalgroteske, in der das Wie deutlich spannender ist als das Warum. Gleichwohl kommt man nicht umher, zuzugeben, dass es nicht nur Detlev Buck selbst, sondern auch offensichtlichen Vorbildern wie etwa den Coen-Brüdern in der Regel sehr wohl gelingt, spannende Figuren und absurde Handlungsverläufe zu kombinieren – und so ist es einem von Anfang an ziemlich gleichgültig, wie sich die Ereignisse in „Wir können nicht anders“ entwickeln werden. Zwar stimmt die Chemie zwischen Musikerin und Schauspiel-Newcomerin Alli Neumann („Wach“) und ihrem Kollegen Kostja Ullmann („Mein Blind Date mit dem Leben“), doch da das Drehbuch (Detlev Buck und „Dark“-Autor Martin Behnke) die beiden zügig voneinander trennt und beide ihre Wege längere Zeit ohne den jeweils anderen bestreiten müssen, kommt ebendiese Chemie kaum zur Geltung.
„Gleichwohl kommt man nicht umher, zuzugeben, dass es nicht nur Detlev Buck selbst, sondern auch offensichtlichen Vorbildern wie etwa den Coen-Brüdern in der Regel sehr wohl gelingt, spannende Figuren und absurde Handlungsverläufe zu kombinieren.“
Überhaupt konzentriert man sich bei der Figureninteraktion viel zu häufig auf bloßes Gekeife. Insbesondere in der ersten Hälfte von „Wir können nicht anders“ spielen sich die Dialoge nur selten auf Zimmerlautstärke ab. Stattdessen schreien sich die Charaktere permanent gegenseitig an. In der zweiten Filmhälfte wird es zwar spürbar ruhiger, die Pöbelei bleibt allerdings omnipräsent. Ganz normale Dialoge, in denen sich die Figuren beispielsweise über die Situation oder ihre eigenen Befindlichkeiten austauschen, gibt es hier kaum. Stattdessen wird aus jeder Interaktion ein verbales Handgemenge, das Buck und Behnke mit diversen zynischen Spitzen und gewiss auch dem ein oder anderen kultverdächtigen Spruch anreichern. Doch über eine Filmdauer von 105 Minuten ermüdet das wenig variantenreiche Miteinander der Schauspielerinnen und Schauspieler, wodurch selbst die eigentliche Handlung irgendwann ins Hintertreffen gerät. Dabei ist diese alles andere als komplex. Es reicht, zu wissen, dass auf der einen Seite die guten und auf der anderen Seite die bösen Buben agieren und dass sich beide Seiten – wer hätte das gedacht – nicht grün sind.
Die von uns zu Beginn heraufbeschworenen Stärken eines Detlev Buck finden sich in „Wir können nicht anders“ vorwiegend in den Randerscheinungen wieder. Ein großes Festessen in Anwesenheit des Dorfbürgermeisters etwa steht symptomatisch für Bucks Auffassungsgabe gesellschaftlicher Eigenheiten innerhalb des hier porträtierten Dorfkosmos. Und in einer besonders starken Szene lässt Buck die Komik einer unangenehmen Begegnung alsbald in eine Bedrohlichkeit kippen, die im Kontext zum Rest des Films wie fehl am Platz wirkt, genau dadurch aber auch eine bemerkenswerte Durchschlagskraft besitzt. Schade ist nur, dass der Film gar nicht so viel aus seinem charakteristischen Setting macht. „Wir können nicht anders“ folgt lange Zeit eher den Strukturen eines Roadmovies. Nur in wenigen Einzelszenen bekommt man von der Provinzgemeinschaft so viel mit, dass es den entsprechenden Moment bereichert. So könnte die Geschichte die meiste Zeit über an jedem anderen beliebigen Ort spielen, ohne dass es auf die Atmosphäre allzu große Auswirkungen hätte.
„In einer besonders starken Szene lässt Buck die Komik einer unangenehmen Begegnung alsbald in eine Bedrohlichkeit kippen, die im Kontext zum Rest des Films wie fehl am Platz wirkt, genau dadurch aber auch eine bemerkenswerte Durchschlagskraft besitzt.“
Bleibt zu guter Letzt noch ein Blick auf die Darsteller. Auch hier bleibt Detlev Buck seiner Linie treu und dreht zu gleichen Teilen mit bereits bekannten, aber nicht überhypten sowie weitestgehend unbekannten (dafür umso hoffnungsvolleren) Newcomern. Insbesondere Merlin Rose („Doktorspiele“) gefällt als angemessen hysterisches Fast-Mordopfer und verkörpert ebendiese Hysterie gekonnt, ohne dabei anstrengend zu werden. Sophia Thomalla („Da muss Mann durch“) überrascht als emotional über alles erhabene Femme Fatale mit einem überraschend warmherzigen Spiel und Peter Kurth („In den Gängen“) wird man nach seinem Kurzauftritt so schnell nicht vergessen. Ganz im Gegensatz zum Film an sich, der leider zu den schwächsten Beiträgen des fast vergangenen Netflix-Jahres gehört.
Fazit: Als trockenhumoriger Provinzthriller bleibt „Wir können nicht anders“ weit hinter seinen Möglichkeiten zurück. Sowohl im Anbetracht des Genres als auch Bucks bisheriger Arbeiten, der ähnlichen Stoff bereits deutlich effektiver inszeniert hat.
„Wir können nicht anders“ ist ab sofort bei Netflix streambar.
Auch hier bleibt Detlev Buck seiner Linie treu und dreht zu gleichen Teilen