100% Wolf

Neben dem Horrorkino ist das Animationsgenre dieser Tage ganz vorn mit dabei, das deutsche Kinogeschehen wieder anzutreiben. Neben zahlreichen Großproduktionen geht auch das australisch-belgische CGI-Abenteuer 100% WOLF an den Start, ist aber leider nur bedingt empfehlenswert. Mehr dazu verraten wir in unserer Kritik.

OT: 100% Wolf (AUS/BEL 2020)

Der Plot

Freddy Lupin ist kein gewöhnlicher Junge, sondern stammt aus einer Familie stolzer Werwölfe. Er kann es kaum erwarten, dass er sich zum ersten Mal verwandelt – wie zuvor auch sein berühmter Vater, der ehemalige Anführer des Werwolfrudels. Doch in der Nacht seines 14. Geburtstags, als es endlich soweit sein soll, passiert etwas Schreckliches: Freddy verwandelt sich nicht in einen starken und furchterregenden Wolf, sondern in einen winzigen… Pudel! Was für ein Drama. Freddy wird von seinem Onkel auf die Straße gejagt und lernt in seiner größten Not die clevere Straßenhündin Batty kennen. Gemeinsam mit ihr stürzt er sich in ein turbulentes Abenteuer und landet in einem Hundezwinger. Doch er wird beweisen, dass er trotz seines flauschigen Äußeren innen drin 100% Wolf ist.

Kritik

Regisseur Alexs Stadermann hat sein Animationshandwerk nicht nur von den Besten, sondern auch von der Pike auf erlernt. Bevor er 2012 seine ersten CGI-Serienepisoden inszenierte („Kein Keks für Kobolde“) und 2014 mit „Die Biene Maja – Der Kinofilm“ seinen ersten Langfilm vorlegte, arbeitete er von 1995 bis ins Jahr 2007 als Animator für den Disneykonzern. In diesem technischen Sektor war er zum Beispiel an Kultserien wie „Goofy & Max“ und „Die Abenteuer von Timon und Pumbaa“ beteiligt. Jahre später verantwortete er das australische Deparment solcher Disneyfilme wie „Das Dschungelbuch 2“ oder „Der König der Löwen 3“. Nun möchten wir ungern Vermutungen darüber anstellen, weshalb ausgerechnet Stadermanns Regiekarriere vollkommen ohne Beteiligung des Maushauses auskommen musste. Auffällig ist es dennoch: Ab dem Moment, als der Filmemacher selbst auf dem Regiestuhl platznahm, verschwand Disney aus seiner Vita. Leider haben diese Filme auch bis heute kaum für Aufsehen gesorgt; Im Anbetracht der zweifelhaften Neuinterpretation des Zeichentrickklassikers „Die Biene Maja“ sogar eher im Gegenteil. Sowohl „Die Biene Maja – Der Kinofilm“ als auch die Fortsetzung „Die Biene Maja – Die Honigspiele“ (ein dritter Film ist für Anfang 2022 in Planung) kamen bei der Presse nicht gut weg. Und schaut man sich einmal den aktuellen Wert auf der Online-Filmbewertungsplattform Rotten Tomatoes an, ging es dem Publikum da nicht anders. Stadermanns neuer Film kommt nun insgesamt besser weg. Vielleicht auch, weil man ihm hier nicht vorwerfen kann, sich an einer beliebten Vorlage abgearbeitet zu haben. Und immerhin inhaltlich macht „100% Wolf“ eine weitaus bessere Figur.

Freddy, hier noch in Menschengestalt, und sein geliebter Werwolfpapa.

Der betont actiongeladene Auftakt von „100% Wolf“ katapultiert die (vermutlich vor allem jungen) Zuschauer:innen direkt ins Geschehen und erklärt die – gemessen an so ziemlich allen anderen, für ein erwachsenes Publikum konzipierten, Werwolf-Filmen – verdrehte Welt, in der wir uns befinden: In „100% Wolf“ sind die sich bei Mondschein in Wölfe verwandelnde Menschen Retter in geheimer Mission. Die erste Szene etwa zeigt ein brennendes Haus, aus dem der Vater des Protagonisten Freddy Lupin und seiner Rudelkameraden die darin eingesperrten Menschen befreien. Dass sich die Wölfe bei diesen Aktionen nicht zeigen dürfen, erschwert die ganze Sache. Der Grund dafür ist jedoch naheliegend und leitet sogleich die moderne Botschaft ein: Wer die Werwölfe bei ihren Rettungsmissionen sehen würde, der würde sich vermutlich davon abschrecken lassen, dass es sich hier nunmal um (von der Allgemeinheit als böse wahrgenommene) Werwölfe handelt, eventuell sogar die Jagd auf sie eröffnen. Die Message, dass man sich nicht vom Äußeren einer Person abschrecken lassen sollte, sondern dass die inneren Werte zählen, zieht sich wie ein roter Faden durch „100% Wolf“ und ist aller fehlenden Subtilität zum Trotz – immerhin soll die Botschaft ja vor allem junge Zuschauer:innen erreichen – längst nicht so abgegriffen wie die klassische „Glaub an dich, dann kannst du alles schaffen!“-Moral. Es ist also weniger der Inhalt, der an der australisch-belgischen (!) Koproduktion nicht überzeugt; Eine Erkenntnis, die den insgesamt so schwachen Gesamteindruck von „100% Wolf“ umso enttäuschender dastehen lässt. Denn vor allem die Inszenierung ist hier das Problem.

„Die Message, dass man sich nicht vom Äußeren einer Person abschrecken lassen sollte, sondern dass die inneren Werte zählen, zieht sich wie ein roter Faden durch „100% Wolf“ und ist aller fehlenden Subtilität zum Trotz – immerhin soll die Botschaft ja vor allem junge Zuschauer:innen erreichen – längst nicht so abgegriffen wie die klassische „Glaub an dich, dann kannst du alles schaffen!“-Moral.“

Der für allzu kleine Zuschauer:innen noch deutlich zu aufregende Auftakt fasst nicht nur einen Teil der Botschaft direkt zusammen, wenn die Werwölfe allein aufgrund der menschlichen Vorurteile ihrem Tagwerk möglichst unsichtbar nachgehen müssen. Er steht auch symptomatisch für die arg hektische Visualität, durch die „100% Wolf“ nie zur Ruhe kommt. Selbst in den ruhigen, sogar traurigen Momenten (bereits in den ersten 10 Minuten müssen wir uns von einem wichtigen Charakter verabschieden) wirkt die dominante, knallbunte Farbästhetik unpassend. Und wenn es dann erst an die Actionsequenzen geht, passiert auf der großen Leinwand derart viel, dass man überhaupt nicht mehr weiß, wo man eigentlich gerade hinschauen soll. „100% Wolf“ ist ein neunzigminütiger Zuckerschock. Und die Tatsache, dass sich die zahlreichen – egal ob vier- oder zweibeinigen – Charaktere in ihrer Attitüde extrem ähnlich sind, könnte es einem jungen Publikum bisweilen sogar schwer machen, die Figuren überhaupt zu unterscheiden. Da ist es schon sehr clever, dass immerhin der Wolfspudel Lupin mit einem pinkfarbenen Schopf gesegnet ist. Das beflügelt nicht nur erneut die „Aussehen ist egal!“-Moral, wenn Lupin immer wieder, auch abwertend, auf seine Haarpracht angesprochen wird. Dieses äußerliche Merkmal hebt Lupin automatisch in den Vordergrund. So hat man bei diesem Leinwandgewusel immerhin einen auffällig-wiederkehrenden Faktor, der einem einen Hauch Übersicht verschafft.

Auf seinem Werdegang zum echten Werwolf trifft Lupin auf zahlreiche neue Weggefährten.

Auch der 3D-Animationsstil selbst überzeugt nicht. Daraus, dass es die Kreativen hinter „100% Wolf“ nie darauf anlegen, visuell mit den Big Playern des Animationskinos mithalten zu wollen – etwas, was im Anbetracht des deutlich niedrigeren Budgets ohnehin kaum möglich wäre – machen sie keinen Hehl. Und trotzdem wirkt die optische Ausgestaltung des Films oft einfach unfertig. Den Hintergründen mangelt es an Details und Bewegung, die Zeichnung der Charaktere ist stets auf ein bestimmtes Merkmal (die schaurig aussehenden Werwölfe, der niedliche Lupin…) angelegt, lässt dabei jedoch jedwede Feingliedrigkeit vermissen. „100% Wolf“ würde gerade noch den Charme einer modernen Trickserie erfüllen (wie passend: Mittlerweile gibt es tatsächlich eine Animationsserie zum Film), auf der Leinwand geht der minimalistische, zum visuellen Zeitgeist längst nicht mehr passende Stil schlicht verloren. Zugegeben: Ein Publikum, für dessen Altersklasse ein Film wie „100% Wolf“ gemacht ist, werden derartige Abzüge in der B-Note kaum stören. Und aufgrund seiner – diplomatisch ausgedrückt – kurzweiligen Inszenierung dürfte im Kinosaal zudem kaum Langeweile aufkommen. Der im Deutschen passend zu seinem Äußeren von Kurt Krömer synchronisierte Bösewicht und Eisverkäufer Foxwell Cripp dürfte in seiner Spleenigkeit zudem kaum für ernsthafte Furcht sorgen, dafür gerade die erwachsenen Zuschauer:innen unterhalten. Sein Schurkenhabitus ist schlicht und ergreifend brillant komisch – und seine Schurkenmotivation sogar überraschend. Es sind kleine Lichtblicke in einem Film, der ansonsten weit, weit hinter seinen Möglichkeiten zurückbleibt. Und das ist ja letztlich noch viel enttäuschender, als ein Film, bei dem so gar kein Potenzial hervorblitzt.

„‚100% Wolf‘ ist ein neunzigminütiger Zuckerschock. Und die Tatsache, dass die zahlreichen – egal ob vier- oder zweibeinigen Charaktere – in ihrer Attitüde keinerlei Besonderheit aufweisen, könnte es einem jungen Publikum bisweilen sogar schwer machen, die Figuren überhaupt zu unterscheiden.“

Fazit: Normalerweise ist es ja eher andersrum, doch der 3D-Animationsfilm „100% Wolf“ überzeugt ausgerechnet mit seiner klaren, zeitgemäßen Moral, die allerdings weit hinter der anstrengend-lieblosen Inszenierung regelrecht verschwindet.

„100% Wolf“ ist ab dem 1. Juli in den deutschen Kinos zu sehen.

Ein Kommentar

  • Genau dasselbe habe ich mir bei der Sichtung des Films auch gedacht! Es ist jammerschade, dass die Botschaft des Romans von Jayne Lyons, auf dem dieser Film basiert, durch die hektische und knallbunte Optik nicht richtig ankommt. Der Roman ist wundervoll, der Film hätte es auch sein können, wenn Regisseur und Drehbuchautor ihre Vorlage ernst genommen hätten.

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