Things Heard & Seen

Basierend auf Elizabeth Brundages Bestseller „All Things Cease to Appear“ legt das Regie-Ehepaar Shari Springer Berman und Robert Pulcini mit dem Netflix-Thriller THINGS HEARD & SEEN einen Film vor, der auf längst vergessenen Genrepfaden wandelt. Das Ergebnis ist gleichermaßen reizvoll als auch gewöhnungsbedürftig – und dadurch alles andere als schlecht. Mehr dazu verraten wir in unserer Kritik.
Der Plot
Das Ehepaar Catherine und George Claire (Amanda Seyfried und James Norton) zieht gemeinsam mit seiner kleinen Tochter Franny (Ana Sophia Heger) aus der Großstadt Manhatten in einen kleinen Ort im Hudson Valley. Zunächst scheint es der kleinen Familie hier gut zu gehen. Das junge Glück genießt die blühenden Landschaften, das riesige Herrenhaus, das der hier als Kunstprofessor arbeitende George für seine Lieben ausgesucht hat und mit der Zeit lernt insbesondere Catherine die Gesellschaft der Dorfbewohner zu schätzen. Doch nach einer Weile bricht sich die düstere Seite ihrer Beziehung zu George Bahn, der nicht nur heftig mit einer Studentin (Natalia Dyer) flirtet, sondern die Bedenken seiner an einer Essstörung leidenden Gattin, in ihrem neuen Hause spuke es, nicht ernst nimmt. Nach und nach kommen immer mehr dunkle Geheimnisse ihres neuen Zuhauses, aber auch von George ans Licht…
Kritik
Der mittlerweile diverse weitere Filmstudios und Marken umfassende Disney-Konzern ist in erster Linie für seine familienfreundliche Unterhaltung bekannt. Erwachsenenentertainment wurde und wird bis heute ausgelagert. Ganz aktuell etwa beim Streamingdienst Disney+, wo Produktionen des mittlerweile vom Mäusekonzern geschluckten Studios 20th Century Studios in der Subkategorie Star platziert werden, die auch zahlreiche Film- und Serienproduktionen ab 16 und 18 Jahren umfasst. Früher waren es Produktionsfirmen wie (das von Disney mittlerweile wieder verkaufte) Miramax und das eine verzerrte Mickey Maus im Logo aufweisende Studio Touchstone, worüber die Dachmarke Disney all jene Filme veröffentlichte, die nicht ganz in ihr familienfreundliches Portfolio passen wollten. Und so sind und waren Reihen wie „Scream“ (Miramax‘ Schwesternstudio Dimension Films) oder Kultklassiker wie „Pulp Fiction“ (Miramax) im weitesten Sinne auch „Disney-Filme“, die aber niemals als solche wahrgenommen wurden. Ganz, ganz selten kam es allerdings auch vor, dass Disney selbst den ein oder anderen nicht allzu kindertauglichen Film veröffentlichte. Produktionen wie John Houghs Gruseldrama „Schreie der Verlorenen“, Oz Scotts 45-Minüter „Mr. Boogedy“ oder auch „Das Böse kommt auf leisen Sohlen“ mit den Leinwandlegenden Jonathan Pryce und Pam Grier waren zwar allesamt ab 12 freigegeben, konnten aber gerade für ein junges Publikum ziemlich verstörend sein. 2003 versuchte Disney, dieses Feeling im mit Eddie Murphy besetzten „Die Geistervilla“ wieder aufleben zu lassen, aber je weniger Worte man über diesen Fehlversuch verliert, desto besser. Diese Filme schlugen zwar nie konkret in die Horrorfilmkerbe, verzichteten auf krasse Jumpscares oder anderweitige Effekthascherei. Aber all diesen Beispielen ließ sich attestieren, dass die Macher gekonnt mit dem Genre des Grusel-, Geister- oder eben Horrorfilms zu spielen wussten, um Unbehagen zu schüren, ohne gleich in die Vollen zu gehen. Wer da zu jung in die Werke reingeschaut hat, der konnte durchaus das ein oder andere Trauma davontragen…

Catherine (Amanda Seyfried) sucht Hilfe bei dem Dorfbewohner Floyd (Murray Abraham), der sie in die Welt der Geister einführt.
Nun erscheint die Romanverfilmung „Things Heard & Seen“ von dem Regie-Ehepaar Shari Springer Berman und Robert Pulcini („Der letzte Gentleman“) ja eigentlich bei Netflix und nicht bei Disney+. Und überhaupt hat die Adaption von Elizabeth Brundages Bestseller „All Things Cease to Appear“ nicht einmal über drei Ecken mit dem Mäusekonzern zu tun. Dass unser Text zu dem Schauerdrama dennoch mit einem kurzen Abstecher in die Disney-Erwachsenenfilm-Historie beginnt, liegt in erster Linie daran, dass sich die mit Amanda Seyfried („Mank“), James Norton („Little Women“) und Natalia Dyer („Stranger Things“) sehr ansehnlich besetzte Produktion tonal hervorragend mit ebendiesen Filmen vergleichen ließe. Für „Things Heard & Seen“ kreieren Springer Berman und Pulcini ein klassisches Gruselfilmsetting (altes, abgelegenes Herrenhaus mit knarrenden Türen und vielen verwinkelten Ecken und Gängen), ergänzen es um Horrorthematiken (relativ früh wird anhand gängiger Tropes wie flackernde Lichter oder ein plötzlich anspringendes Radio vermittelt, dass es in dem Anwesen spukt) und platzieren diese altbewährte Kombo inmitten eines klassischen (Ehe-)Dramas, dessen bodenständige Thematiken sich auf der Horrorebene widerspiegeln. So machen es ja auch seit einigen Jahren die jungen Horrorfilmer:innen der aktuell vorherrschenden Genreströmung des „neuen intellektuellen Horrors“ mit ihren Filmen wie „Get Out“, „Hereditary“ und Co.
„Für „Things Heard & Seen“ kreieren Springer Berman und Pulcini ein klassisches Gruselfilmsetting, ergänzen es um Horrorthematiken und platzieren diese altbewährte Kombo inmitten eines klassischen (Ehe-)Dramas, dessen bodenständige Thematiken sich auf der Horrorebene widerspiegeln.“
Nun sind Vergleiche mit letztgenannten Filmen im Falle von „Things Heard & Seen“ arg weit hergeholt. Dafür dringen die auch für das Drehbuch verantwortlichen Shari Springer Berman und Robert Pulcini längst nicht tief genug unter die Oberfläche ihrer Figuren. Und damit offenbart ihr Projekt auch direkt ihr größtes, ergo für den Film im Gesamten am schwersten wiegendes Problem: Während die ganz und gar zurückhaltende Gruselatmosphäre in „Things Heard & Seen“, für die selbst den moderat auftretenden Schockmomenten vorab spürbar der Saft abgedreht wurde, um maximal ein kurzes Zusammenzucken, aber längst kein extremes Hochschrecken zu provozieren, zwar insgesamt sehr zu gefallen weiß („Only God Forgives“-Kameramann Larry Smith macht einen hervorragenden Job!), einem nach klassischem Horror gierendes Publikum aber schlicht zu langweilig sein dürfte, weist der Dramaplot drum herum ebenfalls zu wenig emotionalen Punch auf, um dies ausgleichen zu können. Ja, es ist sehr reizvoll, mit „Thing Heard & Seen“ einen Film zu erleben, der sich auf der einen Seite nie recht in die Karten schauen lässt (Vielleicht springt ja irgendwann irgendwo doch noch das buchstäbliche Monster aus dem Schrank?) und dennoch aufgrund der stilsicheren Regieführung durchgehend für Anspannung sorgt. Und auch das stetig auseinanderbrechende Glück zwischen Catherine und George ist nicht frei von interessanten Beobachtungen. Doch das „gewisse Etwas“ sucht man hier einfach vergebens. Dabei reicht in vielen Momenten schon die unterschwellig brodelnde Interaktion zwischen den einander immer mehr misstrauenden Eheleuten, um Interesse zu schüren.
Gleichwohl resultiert dieses Interesse kaum aus der empfindsamen Aufbereitung dessen, auf welch mannigfaltige Weise eine Ehe scheitern kann. Vor allem im Zusammenspiel mit ihrem jungen attraktiven Gärtner Eddie (Alex Neustaedter) lässt die ansonsten in der Rolle der unglücklichen Ehefrau überzeugende Amanda Seyfried ihr darstellerisches Geschick vermissen, wenn sie lieber auf übertrieben große Gesten anstatt ihr sonst so ausdrucksstarkes Minenspiel setzt. Dasselbe gilt für Georges Interaktion mit seiner verführerischen Studentin Willis. Da sich die Eheleute einander immer mehr vernachlässigen, sind sie umso empfänglicher für äußere Reize – die klassischen „Szenen einer Ehe“ haben andere Geschichten schon deutlich komplexer auserzählt. Doch ausgerechnet in diese erzählerische Leerstelle kann bisweilen der übernatürliche Plot rücken, wenn zwischen Georges sukzessivem Verrohen gegenüber seiner einstigen Liebe und Catherines Befürchtung, in ihrem Haus spuke es, interessante Verbindungen hergestellt werden. Allen voran das starke Spiel von „Better Call Saul“-Star Rhea Seehorn als Catherines besorgte Freundin Justine unterfüttert die lange Zeit vage bleibende Geisterthematik mit konkreten Ausformulierungen über die eventuelle Herkunft und Absicht der übernatürlichen „Hausbewohner“. Schade ist lediglich, dass das Autor:innenduo diese Figur nicht nutzt, um anhand ihrer auch jene Hintergründe von Catharine zu ergründen, die in „Things Heard & Seen“ immer wieder angerissen aber nie erklärt werden oder wenigstens irgendwo hinführen (Stichwort: Essstörung).
„Da sich die Eheleute einander immer mehr vernachlässigen, sind sie umso empfänglicher für äußere Reize – die klassischen „Szenen einer Ehe“ haben andere Geschichten schon deutlich komplexer auserzählt. Doch ausgerechnet in diese erzählerische Leerstelle kann bisweilen der übernatürliche Plot rücken.“
Um den von James Norton die meiste Zeit über mit dem notwendigen Feingefühl gespielten George ist es ohne jedwede Bezugsperson abseits seiner Gattin sogar noch schwächer bestellt. Zwar hat es für die sich überschlagenden Ereignisse auf der Zielgeraden einen Grund, weshalb sein Verhalten die meiste Zeit über ein Rätsel bleibt. Und dennoch hätte man sich hie und da eine immerhin etwas deutlichere Ausformulierung gewünscht, um die Beweggründe aller Beteiligter zu verstehen. Da kann das finale Bild noch so klug gewählt und aussagekräftig sein.
Fazit: „Things Heard & Seen“ ist zu wenig gruselig für einen Horrorfilm und zu wenig intensiv um als Ehedrama zu überzeugen. Eigentlich. Denn oft gelingt es den für Skript und Regie verantwortlichen Shari Springer Berman und Robert Pulcini, die definitiv vorhandenen Stärken des Films einander ergänzen zu lassen und so die bisweilen eklatanten Schwächen zu kaschieren. Das Ergebnis sieht äußerst edel aus, versprüht eine zurückhaltende Schaueratmosphäre und hat trotz seiner Mängel erstaunlich viel Reiz.
„Things Heard & Seen“ ist ab sofort bei Netflix streambar.