Mank

David Fincher ist zurück – und verneigt sich auf Netflix vor dem Filmklassiker „Citizen Kane“. Weshalb MANK jedoch mehr ist als bloße Hommage, das verraten wir in unserer Kritik.
Der Plot
Wir schreiben das Jahr 1940: Drehbuchautor Herman J. Mankiewicz (Gary Oldman) verschanzt sich auf einer abgelegenen Ranch in der Mojave Wüste. Obwohl er nach einem Unfall auf Krücken angewiesen ist und schon lange von Alkoholsucht geplagt, warten auf ihn immens geschäftige Wochen: Innerhalb von bloß 60 Tagen soll er das Skript zum Regie-Debüt von Orson Welles (Tom Burke) verfassen. Das Radio-Wunderkind erhielt einen lukrativen Hollywood-Deal und hat freies künstlerisches Geleit. Das nutzt er aus, indem er den streitlustigen Mankiewicz mit dem Drehbuch beauftragt. Mankiewicz entwickelt, während er von der deutschen Krankenschwester Freda (Monika Gossmann) gepflegt wird, einen Wälzer von einem Drehbuch, den er der britischen Schreibkraft Rita (Lily Collins) diktiert.
Mank, wie ihn alle nennen, malt sich in aller Genauigkeit einen Film über einen reichen, herzlosen Zeitungsmagnaten aus, der die Politik kaltschnäuzig lenkt. Die Inspiration ist offensichtlich: William Randolph Hearst (Charles Dance), den Mankiewicz 1930 kennenlernte, mit dem er sich trotz einiger Differenzen anfreundete und von dem er sich schließlich nach turbulenten Jahren entzweite. So wird „Citizen Kane“ zu Manks ganz persönlicher Abrechnung mit Hearst. Sowie zu einer Sammlung von Erinnerungen an Begegnungen mit Studioköpfen sowie mit der Schauspielerin/Hearst-Geliebten Marion Davies (Amanda Seyfried)… und zu einer kritischen Auseinandersetzung mit sich selbst.
Kritik
Es ist durchaus kurios, wie im Jahr 2020 auf Netflix die fiktionalisierten Verarbeitungen des „alten Hollywoods“ der Studiosystem-Ära zusammenfinden. Neben der im mehrfachen Wortsinne fabelhaften Ryan-Murphy-Miniserie „Hollywood“ feierte auf dem Video-on-Demand-Dienst im ersten Halbjahr 2020 das Drama „Curtiz“ seine Deutschlandpremiere. Tamás Yvan Topolánszky thematisiert in dieser ungarischen Filmproduktion (die ihre Weltpremiere bereits 2018 feierte) die Entszehung des legendären Filmklassikers „Casablanca“. Und nun reicht Netflix die neue Arbeit von David Fincher nach, der zuletzt bei „Gone Girl“, und somit vor immerhin sechs Jahren, Filmregie führte. Sein Drama „Mank“ geht dabei noch einen kleinen Schritt weiter zurück in die Vergangenheit als „Hollywood“ (Murphys Serie spielt kurz nach dem Zweiten Weltkrieg) und „Curtiz“: Fincher behandelt den Schreibprozess von Orson Welles‘ einflussreichem Regie-Debüt „Citizen Kane“, das lange Zeit praktisch jede ernsthafte Umfrage nach dem besten Film der Geschichte anführte. Mittlerweile hat zwar Alfred Hitchcocks „Vertigo“ ein ähnlich zuverlässiges Abonnement auf diesen Titel der Superlative, das macht die Entwicklung der „Citizen Kane“-Story (sowie die Geschehnisse, die den Plot inspirierten) allerdings nicht minder relevant für das Heute. Ebenso, wie dem Aufkommen von ausführlichen Auseinandersetzungen mit dem „güldenen“ Hollywood auf Netflix schwerlich eine gewisse Ironie abzusprechen ist.
Immerhin ist Netflix unter den global führenden Streamingplattformen die mit dem geringsten Anteil an Filmen, die älter als 40 Jahre sind. Und dass sogleich mehrere Loblieder auf Glanzleistungen der Kinogeschichte auf Netflix debütieren, ist angesichts dessen sehr skurril, dass sich der Streamingdienst und die Kinos seit Jahren ganz und gar nicht grün sind. Denn statt klassische Kinoauswertungsfenster zu würdigen, machte Netflix früh klar, seine Eigenproduktionen zeitgleich zum (hypothetischen) Kinostart online stellen zu wollen. Eine nicht zu duldende Forderung für die Kinos, die der Streamingriese daher hinter sich ließ. Netflix rückte erst dann von seiner Position ab, als das Unternehmen fiktionale Projekte in der Hand hatte, von denen es sich ernsthafte Chancen bei den großen Filmpreisen ausrechnete. Diese Filme bekommen seither ihren Alibi-Kinostart, um nach Prestige zu feilschen und sich gegebenenfalls überhaupt erst für diese Awards zu qualifizieren. Ein „Retter der Kinos“ sieht anders aus. Gleichwohl gilt: Die Entscheidungsträger in Netflix‘ Filmsparte haben eine ehrliche Faszination für Orson Welles – so sorgte 2018 Netflix dafür, dass Welles‘ unvollendete, experimentelle Regiearbeit „The Other Side of the Wind“ posthum nach über 30 Jahren Wartezeit vervollständigt und veröffentlicht wurde. Außerdem widmete Netflix‘ diesem Prozess und Welles‘ späten Karriere- und Lebensjahren im Fahrwasser dessen mit „They’ll Love Me When I’m Dead“ eine spannende Dokumentation.
Des Weiteren hat sich Netflix in Zeiten, in denen Mid-Budget-Filme im Kino zur Seltenheit werden, zu einer sehr beliebten Anlaufstelle von Regisseurinnen und Regisseuren entwickelt, die genau diese Stoffe weiterhin bedienen möchten. Und schlussendlich: Ohne Netflix und weitere Streamingdienste hätten wir 2020 angesichts der Corona-Pandemie nur sehr wenige neue Filme genießen dürfen. Kurzum: Es ist alles etwas komplizierter und nuancierter als gedacht. Was der Stichsatz ist, um die Essenz von „Mank“ zu beschreiben. Finchers Neuster dreht sich immerhin auf sogleich mehreren Ebenen um die diffiziler zusammenzufassende Geschichte hinter der legendären Oberfläche.
Reich an Facetten – nicht einfach die nacherzählte Entstehungsgeschichte eines Klassikers
„Mank“ behandelt zunächst einmal den Schreibprozess von „Citizen Kane“. In dem filmischen Meilenstein von 1941 dreht sich alles um einen Reporter, der sich auf Spurensuche in der Vita des kürzlich verstorbenen Zeitungsmagnaten Charles Foster Kane begibt. Gefährliches Halbwissen hat im popkulturellen Gedächtnis die These verankert, dass der Film ein einziger satirischer Angriff auf Medienbaron William Randolph Hearst sei – und auch so manches Filmnachschlagewerk stellt ihn schlicht als solchen dar. Jedoch ist nicht nur verbucht, dass sich sowohl Welles als auch Drehbuchautor Herman J. Mankiewicz an weiteren Personen ihrer Zeit abarbeiteten, es ist ebenso verschriftlicht, dass der Film als generelle, tragisch-bissige Abrechnung mit dem Mythos des Amerikanischen Traums gedacht war – und nicht bloß als filmischer Schlüsselroman über gewisse Einzelfälle. Und selbst, wer beschließt, frei nach der Kulturtechnik „Tod des Autors“ jegliches Recherchematerial außer Acht zu lassen, sollte einsehen, dass „Citizen Kane“ mehr ist als eine bittere, mahnende Kritik an imperialistisch veranlagten Konzernmagnaten. Kanes Leben wird im Laufe von „Citizen Kane“ durch das Prisma zahlreicher Weggefährt:innen und Zeitzeug:innen beleuchtet – und praktisch alle, die dem von Joseph Cotten verkörperten Journalisten Jedediah Leland Einschätzungen geben, haben unterschiedliche Interpretationen, wer Kane in seinem Inneren war. Und in all der Kritik an seinen Eskapaden, seiner Machtgier und seinen Machenschaften schwingt wiederholt Sympathie, Empathie oder wenigstens menschelndes Bedauern ob seines Schicksals mit. Es darf auch nicht vergessen werden, dass Leland in „Citizen Kane“ durchaus als Freund Kanes auftritt.
Diese Widerhaken, diese kleinen Komplikationen innerhalb des Films „Citizen Kane“, ziehen sich zudem durch die von fälschlichen Verallgemeinerungen geprägte Rezeption des Films. Wurde doch lange Welles von der Filmschreibung als Wunderkind geschildert, das bei seinem Debüt auf der Höhe des Schaffens war – und danach vom Studiosystem unermüdlich zermahlen wurde. Oder er war, fragt man spätere Filmgeschichtsschreibung, ein Genie, das über seine eigene Arroganz stolperte. Oder er war ein Großkotz mit Talent, der einmal voll ins Schwarze traf. Die Wahrheit war höchst wahrscheinlich wesentlich komplizierter – und der urbane Mythos, Welles sei wie Kane geendet, kann auch nicht oft genug in Biografien des Regisseurs korrigiert werden. Ebenso kann es nicht genug Hinweise geben, dass Welles den Film keinesfalls im Alleingang geschrieben hat. Mehr noch – sein Ko-Autor Herman J. Mankiewicz merkte nur zu gerne an, dass er das Drehbuch ganz ohne Welles geschrieben hätte. Filmhistoriker schenkten dem jahrzehntelang keinerlei Beachtung. Und als Pauline Kael in einem Essay 1971 gegen den Strom schwamm und Mankiewicz als das Genie hinter dem Drehbuch bezeichnete, wurde sie gar zum Hassobjekt ihrer (vor allem männlichen) Kollegen. Mittlerweile ist die Obsession, monolithische Idole zu kreieren, gesunken – und nunmehr findet Kaels Perspektive viel mehr Gehör als damals …
Zu Beginn von „Mank“ legt es der Film auf ein weiteres Echo dieser „Man muss genauer hinschauen“- und „Der Blickwinkel kann sich ändern“-Thematik an. Denn im ersten Akt kreieren Regisseur David Fincher visuell und Drehbuchautor Jack Fincher (David Finchers 2003 verstorbener Vater, der dieses Drehbuch in den 1990ern geschrieben hat) erzählerisch zahlreiche Parallelen zu „Citizen Kane“. Die sind in ihrer Summe deutlich mehr als bloße „Schau mal‘, ich habe dieselbe Kameraeinstellung / Wortfolge gewählt“-Spielereien – auch wenn man sie auf dem ersten Blick dafür halten könnte. Doch in ihrer Gesamtheit deuten sie anfangs die Interpretationsmöglichkeit an, dass „Mank“ davon handelt, dass Herman J. Mankiewicz beim Schreiben des Drehbuchs vor allem sich in die Figur Kane eingefügt hat: Mankiewicz ist während des Schreibprozesses geistig geschwächt, körperlich gelähmt und meilenweit von seinem einstigen Ansehen entfernt. Genau so wie der späte Kane.
Ehe sich dieser „Oh, davon handelt ‚Mank‘ also!“-Interpretationsansatz verfestigen kann, schlägt „Mank“ allerdings einen neuen Weg ein und zeigt in Rückblenden vermehrt Situationen, in denen sich Mankiewicz als idealistischer Jungspund(-im-Geiste) im Dunstkreis von Hearst, Studioboss Louis B. Mayer und anderen Mächtigen befindet. Es sind Passagen, in denen Mank über deren Weltsicht sowie politische Einflussnahme die Nase rümpft, und in denen er die Mächtigen mehrmals anmault oder vorführt – jedoch hat er weniger Erfolg mit seinem Gegenwind, als ihm lieb wäre. Er und ein Vertrauter machen sich sogar mit einem augenrollend durchgeführten Gelegenheitsjob die Finger schmutzig – mit dem Gedanken, dass ihre Taten schon nicht das Zünglein an der Waage sein werden. In diesen „Mank“-Filmpassagen wird nunmehr die Hypothese aufgeworfen, dass Mankiewicz unter anderem den Reporter Jedediah Leland als eine Art „besseres, fiktionalisiertes Ich“ angelegt hat.
Schau zweimal hin
Selbst Nebenfiguren in „Mank“ machen solche „Es ist komplizierter“-Erkenntnisse durch und/oder werden zu ihrem Mittelpunkt. Tom Burke spielt Orson Welles als selbstverliebten Großkotz – mit konstanterer Haltung als Mank. Und als der arme Tropf, der Manks ausschweifendes Drehbuch in Filmform eindampfen und kohärent umsetzen muss. Die von Lily Collins („Inheritance“) gespielte Schreibkraft Rita, anfangs eine pflichtbewusst-strenge Person, die Mankiewicz mit ihren Blicken teils regelrecht durchbohrt, bekommt von seiner Krankenschwester später reinen Wein eingeschenkt, wie gutherzig und hilfsbereit der krakeelende, ichbezogene, rüpelhafte Künstler sei. Woraufhin Rita geduldiger im Umgang mit ihm wird.
Manks Gattin Sara wiederum wird von Tuppence Middleton („Black Mirror“) mit zurückhaltender, bescheidener Eleganz und gleichermaßen fasziniertem wie dezent gefrustetem Blick zwar so gespielt, dass sie einheitlich geschrieben erscheint. Womöglich sogar wie eine monotone, eindimensionale Figur. Doch denkt man nur eine Sekunde länger über Saras charakterliches Profil und die Dynamik zwischen ihr und ihrem Mann nach, ist sie fast schon ein Enigma – jede Sequenz mit Sara ändert die Vorzeichen, ob sie eine liebende Ehefrau ist, oder eine gehörnte Gattin, die nicht realisiert, wie wenig sie geachtet wird. Oder eine Frau, die ganz genau weiß, wie sehr die Liebe aus ihrer Ehe verschwunden ist, und die nun das Beste daraus macht. Oder eine entspannt zurückgelehnte Natur, die sich amüsiert den Wahnwitz anschaut, der mit ihrem Mann, seinem Beruf und seinem Umgang in ihr Leben zu drängen pflegt. Oder, oder … Ob Sara sich zwischen den zahlreichen Rückblenden-Vignetten des Films wandelt oder in den einzelnen Sequenzen schlicht aufgrund des verschobenen erzählerischen Mittelpunkts anders dasteht, bleibt Interpretationsfrage. Kane lässt erneut grüßen.
Wie famos ist es also, dass sich selbst einzelne Sätze in „Mank“ immer wieder in einen neuen Kontext begeben? Das Skript ist voll mit wiederkehrenden verbalen Bonmots, die aber je nach Situation ganz anders wirken. Und damit nicht genug: Das Spielchen lässt sich sogar noch weiter treiben, denn David Fincher hat mit „Mank“ nicht bloß einen Film geschaffen, der von der Entstehung eines legendären Films handelt, und dabei bei jeder Gelegenheit darauf verweist, dass Ereignisse und Persönlichkeiten facettenreicher sind als man im ersten Augenblick denken würde. Denn, genauso wie „Citizen Kane“, hat „Mank“ eine Komponente, in der diese „Man muss es auch aus einer freundlicher gesonnenen Position betrachten“-Relativierung vollkommen aufgegeben wird. „Citizen Kane“ mag seine Titelfigur partiell humanisiert haben – ihre Taten (wie die Manipulation medialer Berichterstattung zum eigenen Vorteil) allerdings wurden unmissverständlich angeprangert. Gleichermaßen macht auch „Mank“ keinerlei Gefangenen, wenn es um die Schilderung politischer Abgründe im Hollywood/Kalifornien der 1930er- und 1940er-Jahre geht – die frappierend an heutige tagespolitische Probleme erinnern.
Besonders einnehmend geraten ist eine Sequenz, in der Fincher ein festliches Bankett Mitte der 1930er schildert, in der sich Hollywoods Glitzer-und-Glamour-Elite genüsslich zurückgelehnt und an Alkohol labend darüber unterhält, dass sich Deutschland im Antisemitismus suhlt und erste Berichte über Konzentrationslager aufgetaucht sind. Überzeugte Republikaner auf diesem Fest lachen die besorgteren Stimmen ihres Umfelds hinfort – man solle nicht intervenieren, das Problem werde sich von alleine lösen. Zumal es für’s Geschäft schädlich wäre, gegen Deutschland vorzugehen – schließlich sei das ein großer Markt!
Weniger erschreckend, sondern eher mit satirischem Biss (aber nicht weniger dringlich) zeigt Fincher in einer anderen Sequenz, wie es den Republikanern gelingt, durch vehemente Verschiebung des politischen Diskurses und mittels Propaganda im Nachrichten-Look (Fox News winkt milde) die Demokraten als Kommunisten darzustellen und im Volk auf keinerlei Fakten fußende Ängste zu wecken. All dies wird als Inspiration für die desolat-satirischen Passagen von „Citizen Kane“ geschildert. Zugleich führt Fincher mit „Mank“ vor, dass zahlreiche der schlimmsten politischen Facetten des modernen Amerikas nicht etwa neue Probleme sind, sondern ihre Wurzeln tief in der Vergangenheit liegen – und dass Sorgen vor einem Rechtsruck, sozialer Kälte und dem Untergehen relevanter Informationen in einer Flut der tumben Massenkommunikation zeitlos sind. Manks Ärgernisse über ein Hollywood geringer Möglichkeiten (entweder versteht man sich mit einem der drei wichtigen Studiobosse Jack Warner, Darryl Zanuck und Louis B. Mayer, oder man ist raus), in dem jedes Studio seine eingefahrenen Vorlieben hat, räsonieren derweil spürbar mit Finchers eigener Situation als Filmschaffender.
Persönlich eingefärbt, und doch nicht fincheresk?
Obwohl „Mank“ schon jetzt wiederholt als David Finchers persönlichster Film bezeichnet wurde (und es als späte Adaption eines Drehbuchs seines verstorbenen Vaters auch sehr wahrscheinlich sein dürfte), so ist er stilistisch nicht überaus fincheresk. Anders als Quentin Tarantinos „Once Upon a Time in Hollywood“, einem weiteren sehr persönlichem Film eines namhaften Regisseurs, der sich in einer vergangenen Hollywood-Ära abspielt, ist Finchers Auseinandersetzung mit der Kunstform Film nämlich nicht randvoll mit seinen Markenzeichen. Zwar hat der Cast von „Mank“ in Interviews bereits zu erkennen gegeben, dass Fincher wieder einmal seinem Ruf als Regisseur, der Aberdutzende bis gar über 100 Takes verlangt, gerecht wurde. Aber anders als „Social Network“, seine vorherige, fiktionalisierte Nacherzählung wahrer Ereignisse, ist „Mank“ ein pures Drama, und nicht etwa eines, in das Finchers typischen Thriller-Sensibilitäten eingeflossen sind. Und wo Fincher sein Publikum sonst auf eine Armlänge Abstand zu seinen Figuren hält, beweist er dieses Mal vergleichsweise viel Wärme – sowohl bildsprachlich, als auch darin, wie er es seinem Cast gestattet, die Figuren anzulegen:
Vor allem „Mamma Mia!“-Star Amanda Seyfried verleiht als Marion Davies „Mank“ eine herzliche, leichtfüßige Wärme, wie es sie sonst kaum bei Fincher zu spüren gibt. Sie spielt die Ex-Schauspielerin, die nun hauptberuflich Hearsts Geliebte ist, als schillernde Persönlichkeit, die es ausnutzt, dass (fast) alle sie intellektuell brutal unterschätzen. Mit spielerischer Leichtigkeit verteilt Marion tief sitzende Seitenhiebe, äußert mit großen Augen und ironischer Babyschnute punktgenaue politische Analysen und macht sich mit einem liebevoll geäußerten, dennoch höchst neckischen Sarkasmus über ihren Partner lustig. Seyfried vermittelt in dieser Rolle nicht nur eine unbändige Energie, sondern strahlt auch Charme, Verve und smarten Witz aus, was Marion Davies zu einer gleichermaßen faszinierenden, wie facettenreichen Person macht. Ihr koketter Umgang mit der Titelfigur hat gar den Schmiss eines Screwball-Rapports, obwohl zwischen ihnen ganz klar eine respektvolle Distanz herrscht, so dass ihre Dialoge nie wie Flirts wirken – selbst wenn ein idyllischer Spaziergang durch einen Zoo äußerst behaglich inszeniert wird. Gary Oldman blüht vor allem in diesen Schnellfeuer-Szenen im Zusammenspiel mit Seyfried auf, ist aber auch den restlichen Film über als Herman J. Mankiewicz preisverdächtig. Der „Die dunkelste Stunde“-Mime ist schlicht wie gemacht für diese grantige, innerlich brodelnde, hoch sarkastische und dennoch (zeitweise) idealistische Rolle des smarten, aber auch snobistischen Drehbuchautoren voller Feuer und Reue – da übersieht man es gerne, dass Oldman streng genommen etwa zwei Jahrzehnte zu alt für den Part ist.
Das „Gone Girl“-Komponistenduo Trent Reznor & Atticus Ross („Mid90s“) untermalt all das mit einem Score, der exakt so aus der Ära stammen könnte, in der „Mank“ spielt. Für das passende Flair speziell mit historisch akkuratem Material aufgenommen, ist der „Mank“-Score primär jazzy und flott, einzelne Szenen haben dagegen den dröhnenden, leicht scheppernden Klang eines kleinen 30er-Filmorchesters, das die Gefühle der zentralen Figuren subjektiv begleitet. Und der Mono-Tonmix des Films ist selbstredend weniger dynamisch, als heutige Tonstandards, hat allerdings eine tonale Kraft in sich und sorgt für eine akustische Vereinigung sämtlicher Eindrücke – womit dies nicht nur nostalgische Spielerei ist, sondern auch der Grundthematik des Films eine interessante, weitere Facette verleiht.
Bildästhetisch wagen sich Fincher und Kameramann Erik Messerschmidt („Mindhunter“) unterdessen an einem Spagat: „Mank“ wurde mit der Monstro Monochrome gedreht, einer modernen Schwarz-Weiß-Filmkamera. Daher, und weil der Film konsequenterweise für Schwarz-Weiß ausgeleuchtet und ausgestattet wurde, erreichen Fincher und Messerschmidt klarere, ansprechendere Bilder als viele in Farbe gedrehte Filme, die erst in der Postproduktion zu Schwarz-Weiß-Filmen wurden (etwa Alexander Paynes „Nebraska“), in denen das monochrome Bild eine niederschmetternde Stimmung ausdrückt. Mank“ ist mit seinem Schwarz-Weiß-Look zwar hauptsächlich ein visuelles Festessen für Old-Hollywood-Nostalgiker:innen, doch das fidele Licht-und-Schattenspiel, die Bandbreite, in welchen Schattierungen die stilvolle Kleidung und die verwinkelten Schauplätze erstrahlen, und die klare Linienführung in Finchers Bildwelt dürften auch ohne diese „positive Vorbelastung“ ansprechend wirken. Gleichwohl hat Fincher mit 2.20:1 ein modernes, ultrabreites Bildformat gewählt, statt das klassische 1.37:1-Bild von „Citizen Kane“ zu imitieren. Und die Monstro Monochrome bleibt auch ohne Farbe nun einmal eine hochmoderne Digitalkamera, die ihrem Bild in vielen Szenen eine leicht eisige Klarheit verschafft, wo ein historisch akkurates Kameraequipment mitunter eine flauschig-warm assoziierte Unschärfe verursacht hätte.
Ob Fincher bei diesen Entscheidungen inkonsequent war, oder „Mank“ so bildsprachlich von einer reinen Imitation zu einem Film gemacht hat, der auch in seiner visuellen Ästhetik als sein Vorbild nachahmende, dennoch im Heute verwurzelte Reflexion auf das Damals zu erkennen ist, muss an anderer Stelle ausdiskutiert werden. Doch ob bewusst oder unbewusst: Dass Fincher im Jahr 2020 einen warm und einladend aussehenden Schwarz-Weiß-Film erschafft, obwohl diese Ästhetik spätestens seit „Schindlers Liste“ mehrheitlich für deprimierende Konnotationen genutzt wird, und ihm trotzdem einen Hauch digitaler Kälte und Klarheit mitgibt, lässt uns noch einmal festhalten: Es ist alles etwas komplizierter …
Fazit: „Mank“ mutet zunächst schlicht wie eine ausführliche Verneigung vor „Citizen Kane“ und seinen Entstehungsprozess an. Doch David Finchers Drama ist zudem eine passionierter Kommentar darüber, wie komplex (und manchmal dann doch wieder erschreckend einfach) Situationen und Personen sein können.
„Mank“ ist ab dem 4. Dezember 2020 auf Netflix streambar.