Only God Forgives

Wie die Erwartungshaltung das eigene Urteilsvermögen beeinflussen kann, erlebten vor einer Weile sämtliche Kritiker, die den Thriller ONLY GOD FORGIVES auf dem Filmfestival in Cannes zu sehen bekamen. Ein Großteil von ihnen preiste den Arthouse-Film anschließend mit Buhrufen und argumentierte, der Streifen habe ja so gar nichts mit Nicolas Winding Refns Worwerk „Drive“ gemein. Warum das absolut nichts über die Qualität des Films aussagt, lest Ihr in meiner neusten Kritik.

Der Plot

Julien (Ryan Gosling) betreibt mit seinem Bruder Billy (Tom Burke) in Bangkok einen Box-Club, der als Tarnung für einen erfolgreichen Drogenhandel dient. Nachdem Billy eines Tages ein junges Mädchen erst vergewaltigt und anschließend tötet, zieht er damit unweigerlich das Interesse eines blutrünstigen Racheengels namens Chang (Vithaya Pansringarm), aus den Reihen der thailändischen Polizei, auf sich, der es sich erst zur Aufgabe macht, Billy und schließlich all jene zu töten, die auch nur im Entferntesten mit dem Tod des Mädchens zu tun haben. Billys Tod ruft seine und Juliens herrschsüchtige Mutter Chrystel (Kristin Scott Thomas) auf den Plan, die von ihrem Zögling einen kompromisslosen Rachefeldzug erwartet.

„Es ist Zeit, den Teufel zu treffen!“

Kritik

Von Nicolas Winding Refns Noir-Thriller „Drive“ ging 2011 eine fast überall um sich greifende Faszination aus. Ryan Gosling („Crazy, Stupid, Love“) agierte in dem stylischen Ein-Mann-Stück als wortkarger Stuntfahrer, der sich seinen täglichen Adrenalinkick holt, indem er die Fluchtfahrzeuge diverser Ganoven und Krimineller fährt. Was genau den bereits kultähnlichen Status des Films ausmacht, ist im Nachhinein wohl schwer zu definieren. Kritiker bezeichneten den Film als den „coolsten des Jahres“ und der bis dahin ausschließlich einem ausgewählten Publikum bekannte Winding Refn („Valhalla Rising“, „Pusher“) erhielt spätestens mit der Drive’schen Oscar-Nominierung (Kategorie: Bester Tonschnitt) einen Karriereschub im Hollywoodstil.

„Only God Forgives“ ist nicht weniger stylisch. Nicht weniger modern oder hypnotisch. Gleichwohl hat das perfide Rachestück absolut nichts gemein mit einem „Drive“, was erklären würde, weshalb es in Cannes Buhrufe für das dänische Enfant Terrible hagelte. Angesichts der eventuellen Provokation, die Winding Refn mit seinem Film augenscheinlich zu erreichen versucht, könnten ebenjene Unmutsbekundungen sogar gerechtfertigt sein. Schlussendlich sind sie jedoch ein überzogener Ausdruck von Enttäuschung: Sämtliche Verrisse seitens der negativ gestimmten Kritiker bauen darauf auf, dass „Only God Forgives“ kein zweites „Drive“ ist – und sind somit hinfällig. Wer „Drive“ will, soll „Drive“ sehen – oder bis zum Sankt Nimmerleinstag auf eine Fortsetzung warten. Eine Betrachtung von Winding Refns neustem Arthouse-Thriller sollte hingegen gänzlich unvoreingenommen erfolgen und zudem ohne irgendeine Erwartungshaltung. Nur dann entfaltet sich wohl die ganze schockierende Faszination dieses minimalistischen Werkes, das dem Zuschauer zunächst in seiner Intensität die Kehle zuschnürt, nur um im packenden Finale so zuzudrücken, dass einem der Atem stockt.

Dabei geht – und hier lässt sich nun die einzige Gemeinsamkeit zum schon viel zu oft genannten „Drive“ ausmachen – ein Großteil der Atmosphäre von „Only God Forgives“ auf das Konto der künstlerischen Gestaltung.  Nicolas Winding Refn möchte keine Handlung abspulen. Er will sie zelebrieren. Dazu kleidet Kameramann Larry Smith die Story in Bilder, die eindeutig seine bereits in „Eyes Wide Shut“ offengelegte Handschrift tragen. Ruhige, bannende Aufnahmen, die wie selbstverständlich eine kleine Ewigkeit an jeder Szenerie haften und das Wegschauen somit auch in den härtesten Momenten unmöglich machen. Mal offensiv und frontal ins Gesicht, mal beobachtend und fast voyeuristisch versteckt – dabei jedoch nie ausschlachtend sondern vielmehr ausnutzend: Das ist die Bildsprache, mit welcher Nicolas Winding Refn sein „Only God Forgives“ sprechen lässt und es zudem stets in eine an Morgendämmerung erinnernde Farbe taucht. Dabei entsteht oftmals das Gefühl, das Geschehen fände in Zeitlupe statt. Stattdessen nimmt sich die Handlung, die in einem hollywoodtypischen Fortschrittstempo nach rund einer halben Stunde vorbei wäre, immer wieder die nötige Zeit zur Entfaltung. „Only God Forgives“ will nicht gesehen werden. Er will erlebt werden.

Die Handlung rund um den „Angel of Vengeance“ – den Racheengel – Chang, verkörpert von einem furchteinflößenden Vithaya Pansringarm („Hangover 2“), dessen bloße Aura und seine sich nicht auch nur ansatzweise ändernde Mimik ausreichen, um einen nie geahnten Respekt auszulösen, ist schlussendlich nicht viel mehr als das Aneinanderreihen von verschiedenen Racheakten, die sämtliche vorstellbare Gewalt kunstvoll zelebrieren.  Dabei steigert sich nicht nur die Gewalt von Mord zu Mord, vor allem in den Tötungsszenen wird die Intention deutlich, mit welcher der Regisseur an sein Werk heranging. Anders als in Folterorgien à la „Saw“ und „Hostel“ stellt der Streifen die hier dargebrachten Qualen nicht zur Schau oder hat es zum Ziel, sich das Publikum an der Brutalität ergötzen zu lassen. „Only God Forgives“ nimmt sich die Gewalt selbst als Kunst vor und saugt sie aus, bis zum letzten Tropfen. Dabei wird das Töten zur unbequemen Poesie, zu einem mit Blut gemalten Gemälde, das zu bestaunen auf einer nicht definierbaren Grenze zwischen Faszination und Abscheu wandelt.

Dass Winding Refn seinen Film als Kunst versteht und nie auch nur im Ansatz einen Provokationsgedanken verfolgt, findet sich im Detail wieder. Das Schema der Morde durchbricht stets die Szenerie in einer thailändischen Karaoke-Bar, in der jede Tötung ihren abschließenden „Hit“ erhält was dem Ablauf unaufhörlich etwas Surrealistisches verleiht. Das Darstellen der Folterungen lässt sich immer wieder aus mehreren Blickwinkeln betrachten, lässt kontinuierlich eine Identifikation mit Täter und Opfer zu – während der Regisseur zeitweise den Racheengel zu einer Form des Antihelden aufbaut, erhebt sich in gewissen Momenten vor allem ein sich hervorragend in das Ensemble eingliedernder Ryan Gosling, um zum Gegenschlag auszuholen. Auf den ersten Blick ergibt sich so zwar das konventionelle Gut-gegen-Böse-Schema, da in der schmutzigen Untergrundwelt Bangkoks jedoch niemand frei von Sünden ist – viel zu spät erfahren wir, dass Julien selbst ein Mörder ist – begegnet sich hier jeder auf der Augenhöhe seines Gegners. So entwickelt sich eine Gewaltspirale. Nie reißerisch, nie provozierend, einfach nur unendlich konsequent und dabei ohne Rücksicht auf Verluste. Hier wird nicht gesprochen, hier wird gehandelt. Wenn eine ebenso schöne wie gnadenlose Kristin Scott Thomas („Lachsfischen im Jemen“) die Vergewaltigung eines Mädchens durch ihren Sohn für gerecht befindet, wird deutlich: Hier in Bangkok gelten andere Gesetze – auch für Filmemacher.

Trägt den Film allein: Ryan Gosling

„Only God Forgives“ ist kein konventionelles Stück Kino und selbst im Arthouse-Bereich dürfte der Streifen immer noch als Exot gelten. Die FSK vergab ihr 16er-Logo vor allem dafür, dass die Gewaltszenen mit einem abstoßenden Charakter inszeniert worden seien. Viel wichtiger ist aber ihre Erkenntnis, dass der Film gewollt mit symbolträchtigen Bildern spielt und seine bewusst gewählte Künstlichkeit in der Inszenierung nicht zu einer Identifikation mit Handlung und Figuren einlädt. Dabei erhebt sich „Only God Forgives“ als auf eine abstoßende Weise bezauberndes Kunstwerk und Nicolas Winding Refn zu einem Regisseur, dem es Gott sei Dank total egal ist, dass er es gewagt hat, nach „Drive“ einfach mal etwas völlig anderes zu machen.

„Only God Forgives“ ist seit dem 18. Juli in ausgewählten, deutschen Kinos zu sehen.